Na auf diese Studie sollte man denn doch nicht so leicht hereinfallen.
Was für Gründe kann es wohl geben, daß ein Kind seltener als ein anderes Bock darauf hat zu teilen? Klar: wenn es zu Hause Geschwister hat und sowieso ständig teilen muß. Da isses was Besonderes, wenn man mal was nur für sich allein kriegt und die Erlaubnis bekommt, nix abgeben zu müssen. Einzelkinder hingegen haben nicht so einen Druck, für die ist Teilen ne Abwechslung. Und siehe da - in praktisch allen Staaten der Welt haben Religiöse mehr Kinder als Nichtreligiöse. Oder um es krasser zu formulieren (war kürzlich erst bei Spektrum der Wissenschaft online zu lesen): In keiner Gesellschaft der Welt kann sich der säkulare Bevölkerungsanteil durch eigene Reproduktion dauerhaft halten. Einkindfamilie ist also die Regel.
Bezeichnenderweise nimmt dieses unterschiedliche Verhalten in Sachen Teilen-Nichtteilen mit zunehmendem Alter ab. Es ist also mehr ne Sache der Entwicklungsphase als des kulturellen Kontextes.
Na, und das "Moral Licensing" ist auch so ne Interpretationssache. Ne sehr despektierliche, wenn man genauer hinsieht. Erst einmal ist es keine "schlimme Tat", etwas geschenkt zu bekommen und es für sich zu behalten. Daß andere leer ausgehen, ist zwar richtig, doch keine Notsituation, die nach Abhilfe schreit. Würde eine Probandengruppe praktisch vollständig alles behalten, dann wäre das einungesundes Verhalten. Wenn aber nur 60...70% der religiösen Kinder teilen statt 80% bei den säkularen[*], dann heißt das immerhin, daß jedes religiöse Kind in 60...70 Prozent aller Situationen teilt und nur in30...40 Prozent alles für sich behält. Es teilt also häufiger aus freien Stücken, als es nicht teilt. Das ist ein gesundes Verhältnis, und ein gelegentliches "ich habe schon geteilt,diesmal behalte ich alles für mich" ist völlig in Ordnung und keine Belohnung für die guten Taten der anderen Male. Gesunder Egoismus. Kein übertriebener.
Wenn hingegen die Erklärung des "Moral Licensing" korrekt wäre, wäre jedes großzügigeTeilen durch ein negatives Motiv verursacht. Ich habe ein schlechtes Gewissen, ich muß endlich mal was "Gutes" tun, um nicht immer nur ein Arschloch zu sein. Da tut man das Gute nicht, weil man an die anderen denkt und möchte, daß denen was Gutes widerfährt. Nein, Moral Licensing bedeutet, daß ich gut bin, weil ich schlecht bin. Was für einMenschenbild!
Ich will nicht in Abrede stellen, daß es auch so ein "berechnendes" Verhalten gibt. Es aber derart zu verallgemeinern, dastrage ich nicht mit. Spätestens, wenn Menschen sich selbst in Gefahr bringen, um anderen zu helfen, kann ein "wasbringt das mir" nicht alsMotiv des Handelns veranschlagt werden. Und wenn es da ohne Berechnung geht, wird es auch in vielen anderen, harmloseren Situationen ohne gehen.
Belohnung für ein Tun ist ein didaktisches Mittel, dient der Erziehung, aber es zielt darauf ab, daß sich das so geförderte Verhalten eines Tages verselbständigt und ohne Belohnung auskommt. Wer alles mit "Belohnung" erklärt, der hält sich selbst für auf ewig unselbständig. Wersich selbst (und andereMenschen) anders betrachtet, der kommt auf andere Interpretamente. "Moral Licensing" teilt mir also mehr über die Erfinder und Befürworter dieser Denke mit als über die damit Gemessenen.
* So das ausgezählte / ausgewertete Verhalten der Kinder in dieser Studie
https://www.cell.com/cms/attachment/2040398933/2053881826/gr1.jpgP.S.: Irgendwie ist die Formatierung fehlerhaft.