DerMüller71 schrieb:Und wenn das Universum tatsächlich entstanden ist, wie muss eine Ursache aussehen?
Das ist in der Tat eine interessante Frage. Craig argumentiert wie folgt:
Da es keinen Grund gibt, die Folge von Ereignissen über den Ursprung des Universums hinaus fortzuführen, spricht Ockhams Rasiermesser, das uns auferlegt, nicht mehr Ursachen als notwendig zu behaupten, gegen solche weiteren Ursachen zugunsten einer unmittelbaren ersten Ursache für den Ursprung des Universums.
Meiner Ansicht nach wird hier das Parsimonie-Prinzip falsch angewendet. Es ist keineswegs klar, ob die Ursache für den Ursprung des Universums eine einzelne und einzige sein kann (geschweige denn muss!), oder ob es ein Bündel von Ursachen unbekannter Zahl ist, welches hier zusammenwirkt, um die Entstehung des Universums auszulösen. Analog ist das mit der Entstehung des Lebens. Hier war es auch nicht eine Ursache, sondern eine Vielzahl von Kausalketten, die an einem konkreten Ort zu einer konkreten Zeit zusammenwirkten und so die Entstehung des ersten evolutionsfähigen Organismus auslösten.
Schon hier ist also die Argumentation sehr problematisch. Doch weiter:
Zudem muss diese Ursache beständig sein, da, noch einmal, ein infiniter temporaler Regress von Veränderungen nicht existieren kann.
(Wir dürften jedoch nicht berechtigt sein, auf die Unveränderbarkeit der ersten Ursache zu schließen, denn Unveränderlichkeit ist eine modale Eigenschaft und aus der Beständigkeit der Ursache können wir nicht darauf schließen, dass sie sich nicht ändern kann. Doch wir können wissen, dass die erste Ursache beständig ist, zumindest insofern, als sie abgesehen vom Universum existiert.)
Aus der Beständigkeit der ersten Ursache ergibt sich ihre Immaterialität. Denn was immer auch materiell ist, bringt unablässige Veränderung mit sich zumindest auf molekularer und atomarer Ebene, doch die nichtverursachte erste Ursache existiert in einem Zustand absoluter Beständigkeit.
Auch hier ist problematisch, dass Craig zunächst von der Möglichkeit der Veränderlichkeit der ersten Ursache spricht, um danach die Immaterialität damit zu begründen, dass Materialität zugleich Veränderung mit sich bringt. Wenn also Veränderlichkeit eine Eigenschaft der ersten Ursache sein kann, dann kann sie zugleich auch materiell sein. Anderenfalls wäre es ein Widerspruch das eine zuzugestehen und zugleich dasselbe auszuschließen, um auf Immaterialität zu schließen.
Setzt man voraus, dass die Zeit einen Anfang hatte, muss die Ursache des Anfangs der Zeit abgesehen vom Universum zeitlos sein. Daraus folgt, dass sie raumlos sein muss, denn sie ist sowohl immateriell als auch zeitlos, und keine räumliche Entität kann sowohl immateriell als auch zeitlos sein.
Auch diese Argumentation wirft einige Probleme auf, die zu hinterfragen sind. Wenn die Zeit einen Anfang hatte, kann damit nur die Zeit gemeint sein, die Bestandteil der Raumzeit des Universums ist. Die Voraussetzung betrifft also nur das Universum und nicht die erste Ursache.
Man könnte folglich ebenso annehmen, dass die erste Ursache nicht "diese" Zeit hatte - also nicht die des Universums - sondern eine andere, die nicht Eingang in das Universum gefunden hat. Es ergibt sich also nicht zwingend eine zeitlose erste Ursache, sondern allenfalls eine erste Ursache, die nicht "diese" Zeit besaß.
Ebenso trifft das auf die Argumentation bezüglich des Raums zu. Auch hier lässt sich allenfalls voraussetzen, dass die erste Ursache nicht über "diesen" Raum verfügte, aber nicht, dass sie zwingend raumlos gewesen ist.
Craig setzt wie folgt fort:
Folglich muss die nichtverursachte erste Ursache sowohl Zeit als auch Raum transzendieren und die Ursache für deren Entstehung sein. Ein solches Wesen (sic!) muss ferner enorm mächtig sein, da es ohne materielle Ursache die gesamte physische Realität erschuf, einschließlich aller Masse, Energie und der Raumzeit selbst.
Auch diese Argumentation ist nicht belastbar. Die erste Ursache befindet sich jenseits des diesseitigen Raums und der diesseitigen Zeit, da sie kausal der Entstehung des Universums vorausging, aber daraus folgt noch nicht zwingend die Transzendenz jeglichen denkbaren Raums und jeglicher denkbaren Zeit, die dieser ersten Ursache zukommen könnten, sondern allenfalls eine Verortung jenseits unserer Raumzeit, die ebensogut in einer anderen Raumzeit situiert sein kann, die nicht die unsrige ist.
Der Sprung von "erster Ursache" zu "enorm mächtiges Wesen" ist derart drastisch, dass ich das im Zitat noch einmal eigens hervorgehoben habe. Auch das Verb "erschuf" markiert die Wendung von einem "irgendwas" zu einem willentlich handelnden Wesen, das dann im Schluss-Satz als Gott im Sinne von Thomas von Aquino apostrophiert wird. Zuvor wird aber noch über mögliche Kandidaten für die erste Ursache gesprochen, die dieses "Wesen" sein könnten:
Denn es scheint nur zwei Kandidaten zu geben, die als immaterielle, anfangslose, nichtverursachte, zeit- und raumlose Wesen beschrieben werden können: entweder abstrakte Objekte oder ein körperloser Geist. ... Es fallen einem keine anderen Kandidaten ein, die treffenderweise als immaterielle, anfangslose, nichtverursachte, zeit- und raumlose Wesenheiten beschrieben werden könnten.
Doch kein abstraktes Objekt kann die Ursache für den Ursprung des Universums sein, denn abstrakte Objekte sind nicht an kausalen Relationen beteiligt. Und selbst wenn sie es wären, könnten sie nicht willentlich die kausale Macht ausüben, etwas zu tun, da sie keine agierenden Personen sind. ... Folglich muss die Ursache des Universums ein körperloser Geist sein.
Die Argumentation, dass einem keine weiteren Kandidaten einfallen, ist denkbar schwach. Denn selbst wenn keine weiteren Kandidaten denkbar bzw. vorstellbar wären, bedeutet das nicht, dass es dennoch geeignete Kandidaten geben könnte, die den geforderten Kriterien Genüge tun würden. Da jedoch bereits die Argumentation zur Herleitung der geforderten Kriterien fragwürdig ist, ist das Argument der Einfallslosigkeit - selbst wenn es valide begründet wäre - an sich bereits fragwürdig, da die Kriterien, die an die Beschaffenheit der ersten Ursache angelegt werden, möglicherweise gar nicht so einschränkend wären, dass einem nichts anderes einfiele als ein körperloser Geist.
Den Rest der Argumentation erspare ich mir, da wohl absehbar ist, worauf es hinausläuft:
Wenn das Universum eine Ursache hat, dann existiert ein nichtverursachter, personaler Schöpfer, der abgesehen vom Universum anfangslos, beständig, immateriell, zeitlos, raumlos und enorm mächtig ist. ... Dies ist, wie Thomas von Aquin zu bemerken pflegte, das, was jedermann unter "Gott" versteht.
Quelle: William Lane Craig: Der kosmologische Kalam-Gottesbeweis. In: Joachim Bromand, Guido Kreis (Hrsg.): Gottesbeweise von Anselm bis Gödel. Suhrkamp Verlag Berlin 2011 (stw 1946) S. 564 bis 598