Invasion der Hoffnungslosen: Armutstouristen erobern den Westen
01.09.2011 um 14:25
Einfach mal zum Nachdenken statt billiger "Ausländer raus"-Parolen:
Heribert Prantl (Süddt.zeitung) im NDR:
„Was ihr den ärmsten, den geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan ...“
So sagt es Jesus, so steht es beim Evangelisten Matthäus. Wer sind die Ärmsten, und was
tun wir den Ärmsten an? Manchmal werden lebende, manchmal tote Flüchtlinge an die
Küsten Europas geschwemmt. Ungezählte Flüchtlinge, die sich auf den Weg übers Meer
machen, gehen einfach unter, sie werden vom Meer verschluckt. Wenn das absaufende
Schiff besonders groß ist, gibt es neue Fotos aus Lampedusa. Die Insel Lampedusa ist für
die Flüchtlinge eine Rettungsinsel im Mittelmeer. Viele erreichen die Insel aber nicht; und
denjenigen, die sie erreichen, hilft das nichts. Man schickt sie wieder weg. Man verfrachtet
die meisten Flüchtlinge umgehend dorthin, wo sie herkommen. Das Mittelmeer ist ein
Massengrab: Seit Jahresbeginn sind dort zweitausend Tote gezählt worden. Sie waren
Bootsflüchtlinge auf dem Weg nach Europa; sie sind verdurstet auf dem Wasser, sie sind
ertrunken auf hoher See oder vor Lampedusa, sie sind erfroren in der Kälte der
europäischen Flüchtlingspolitik. Die gezählten und die ungezählten Toten sind auch an
ihrer Hoffnung gestorben. Diese Hoffnung bestand darin, die Not hinter sich zu lassen und
in Europa Freiheit und ein besseres Leben zu finden.
Flüchtlinge sind Botschafter. Sie sind die Botschafter des Hungers, der Verfolgung, des
Kriegs, des Leids. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist ihre Depesche. Indes:
Europa mag diese Botschafter nicht empfangen, die EU sie nicht aufnehmen. Die
europäischen Außengrenzen wurden so dicht gemacht, dass es dort auch für die
Humanität kein Durchkommen mehr gibt. Europa schützt die Grenzen, aber nicht die
Flüchtlinge. Die toten Flüchtlinge im Mittelmeer sind Opfer unterlassener Hilfeleistung.
Der nasse Flüchtlingstod ist unheimliche Routine geworden. Er wird behandelt wie ein
Schicksal, das man nicht ändern kann. Europa nimmt den Tod in dem Meer, das die
Römer Mare Nostrum nannten, fatalistisch hin, weil man fürchtet, dass Hilfe noch mehr
Flüchtlinge locken könnte. Hilfe gilt als Fluchtanreiz. Deshalb laufen keine Hilfsschiffe der
Marine aus, um Flüchtlinge zu retten; deshalb gibt es keine europäischen Hilfs- und
Aufnahmeprogramme. Der Tod der Flüchtlinge ist Teil einer Abschreckungsstrategie.
Die Politiker in der Europäischen Union spielen den Pontius Pilatus und waschen die
Hände in Unschuld. Was soll man machen? Sollen die Leute halt nicht in die klapprigen
Boote steigen! Sollen sie bleiben wo sie sind! Sollen sie sich eben nicht in Gefahr
begeben! Wer sich aufs Meer begibt, der kommt drin um! Was soll man machen? Die EUPolitik
macht Sicherheitspolitik und betrachtet das Meer als Verbündeten. Das Meer ist
das „Ex“ der Grenzschutzagentur Frontex, der Europäischen Agentur für die operative
Zusammenarbeit an den Außengrenzen. Die EU sichert die Grenzen mit einem Netz von
Radaranlagen und Satelliten, mit Hubschraubern und Schiffen, die die Flüchtlingsboote
abdrängen. Diese Politik gilt als erfolgreich, wenn keine oder möglichst wenige
Flüchtlinge Europa erreichen. Frontex ist nicht zuständig für Flüchtlingshilfsaktionen,
sondern nur für Flüchtlingsabwehraktionen. Mit welchen Mitteln diese Abwehr
funktioniert, fragt kaum einer, allenfalls ein Verein wie Pro Asyl, der seinen Flüchtlings-
Gottesdienst unter das Motto von Psalm 69 stellt: „Lass die Tiefe mich nicht
verschlingen.“
Millionen Afrikaner sind seit Jahren auf der Flucht, von Land zu Land. Sie fliehen nicht nur
vor Militär und Polizei, nicht nur vor Bürgerkrieg und Folter. Vielen Millionen drohen
absolute Armut und Hunger; und es lockt die Sehnsucht nach einem Leben, das
wenigstens etwas besser ist. Die Flüchtlinge gelten als Feinde des Wohlstands. Die
Europäische Union schützt sich vor ihnen wie vor Terroristen: man fürchtet sie nicht
wegen ihrer Waffen, sie haben keine; man fürchtet sie wegen ihres Triebes, sie wollen
nicht krepieren, sie wollen überleben - sie werden also behandelt wie Triebtäter, und sie
werden betrachtet wie Einbrecher, weil sie einbrechen wollen in das Paradies Europa.
Deswegen wird aus dem „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, wie sich
Europa selbst nennt, die Festung Europa.
Die Flüchtlinge flüchten, weil sie nicht krepieren wollen. Sie kommen zum Beispiel aus
den Bürgerkriegsgebieten, sie sind von dort geflüchtet nach Libyen – und befinden sich
auf einmal wieder im Bürgerkrieg. Manche flüchten daher weiter, sie drängen in die
altersschwachen Schiffe, die sie nach Lampedusa, auf die europäische Vorposten-Insel
bringen sollen. Die afrikanischen Flüchtlinge sind jung, und das Fernsehen lockt noch in
den dreckigsten Ecken der Elendsviertel mit Bildern aus der Welt des Überflusses. Ob uns
die Migration passt, ist nicht mehr die Frage. Die Frage ist, wie man damit umgeht, wie
man sie gestaltet und bewältigt. Migration fragt nicht danach, ob die Deutschen ihr
Grundgesetz geändert haben, sie fragt nicht danach, ob einige EU-Staaten sich aus der
Genfer Flüchtlingskonvention hinausschleichen.
Die meisten Flüchtlinge bleiben in ihrer Region, sie versuchen ein Leben in den
afrikanischen Nachbarstaaten. Nur ein sehr kleiner Teil der Flüchtlinge bricht auf nach
Europa, und nur die allerwenigsten erreichen Europa. Dort freilich wird von einem
Flüchtlingsstrom geredet. Aber das ist fast lächerlich. Es handelt sich nur um ein dünnes
Rinnsal. Der am besten funktionierende Teil der EU-Flüchtlingspolitik ist nämlich die
Abwehr- und Rückführungspolitik. Wenn mit neuen Regierungen in Nordafrika wieder die
alten Abkommen geschlossen werden können, beglückwünschen sich die Außen- und
Innenminister der EU-Länder. Rückführungsabkommen sind Abkommen nach dem Motto
„aus den Augen, aus dem Sinn“. Man zahlt viel Geld dafür, dass das Asyl dort hinkommt,
wo der Flüchtling herkommt und kümmert sich nicht darum, was mit den wieder
abgeschobenen Flüchtlingen passiert. Wie gesagt: Man spielt den Pontius Pilatus und
wäscht die Hände in Unschuld.
Als vor 25 Jahren die deutsche Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl gegründet wurde,
kamen die meisten Flüchtlinge aus Osteuropa. Sie flüchteten vor sozialistischen
Diktaturen oder den Kriegen im zerfallenden Jugoslawien und sie stellten Asylanträge in
Deutschland. Die Flüchtlinge waren, so sagt es der Pro-Asyl-Vorsitzende Jürgen Micksch,
„Vorboten“ für den bevorstehenden Zusammenbruch des Ostblocks. So ähnlich ist es
heute. Die Flüchtlinge aus dem Süden sind Botschafter von politischen, kulturellen und
sozialen Umbrüchen. Die europäischen Staaten aber, so klagt Pro Asyl, sind auf diesen
Umbruch so wenig vorbereitet wie die Diktatoren, vor denen die Flüchtlinge fliehen. Die
EU-Staaten behandeln die Staaten im und nach dem Umbruch so, wie sie diese vor dem
Umbruch behandelt haben. Die ersten Verhandlungen mit Aufständischen (so in den
letzten Wochen mit dem Übergangsrat der Rebellen in Bengasi) werden geführt, um sie zu
Rückübernahmeabkommen zu bewegen. Sind das die vordringlichsten Interessen der
europäischen Demokratien? Soll sich der arabische Frühling dieses Bild von der EU
machen: Die europäische Demokratie als große exklusive Veranstaltung, die den
Reichtum drinnen und die Not draußen halten möchte und sich selbst genug ist?
Es stört viele Europäer, dass gerade nach den ersten Erfolgen der Befreiungsbewegung in
Afrika und einigen arabischen Staaten Menschen von dort aufbrechen. Und sie sind
pikiert, wenn die Bilder aus Lampedusa als österliche Bilder betrachtet werden – die
Bilder von Menschen, die alles hinter sich lassen wollen, um ein neues Leben in Europa zu
beginnen. Das passt vielen Europäern nicht, sie halten es für einen unheiligen, einen
heillosen Exodus, für einen, der nicht im Buche steht. Es ist vielleicht eine Zumutung, die
hochriskante, oft tödliche Flucht übers Mittelmeer als österliches Ereignis zu betrachten.
Aber der Osterglaube ist ja auch eine Zumutung – und so werden dieser Glaube und die
Bilder aus Lampedusa zu einer Aufforderung, sich ein neues Weltbild und eine neue
Politik zuzumuten.
Seit 1993 lügt sich das neue deutsche Asylrecht so die Welt zurecht. Damals wurde das
Asylgrundrecht des Grundgesetzes, der alte Artikel 16 Absatz 2 geändert und in den
Artikel 16 a transformiert und damit faktisch abgeschafft. Dieses neue deutsche Asylrecht,
das den Namen Asylrecht nicht ernsthaft verdient, wurde zum schlechten Vorbild für das
Flüchtlingsrecht in der EU. Es verspricht, was es nicht hält. Es gaukelt Schutz vor, den es
nicht gibt. Es definiert andere Staaten als sicher, auch wenn sie es nicht sind. Das neue
Asylrecht hat einfach eine lange Reihe von Ländern in eine Liste geschrieben und erklärt,
in all diesen Ländern seien Flüchtlinge sicher. Drittstaatenklausel – das klingt harmlos, sie
ist aber messerscharf; sie bedeutet: Ein Flüchtling, der auf der Flucht auch nur einen Fuß
auf den Boden eines anderen als des deutschen Staates, also eines Drittstaates gesetzt
hat, ist hierzulande chancenlos. Er gilt in Deutschland nicht mehr als politisch verfolgt,
selbst wenn er noch so glaubhaft von seiner Folter berichtet. Es zählt nur der Weg, auf
dem er gekommen ist; auf diesen Weg wird er sofort und ohne weitere Prüfung
zurückgeschickt; er hat auch nicht die Chance, darzulegen, dass er in dem Land, in das er
zurückgeschickt wird, nicht sicher ist. Also zurück mit ihm nach Griechenland, wenn er
über den Landweg in die EU gekommen ist.
Griechenland ist für viele Flüchtlinge, die sich auf dem Landweg via Türkei durchschlagen,
das erste EU-Land, das sie erreichen. Dorthin werden sie dann abgeschoben, obwohl es in
Griechenland kaum einen Schutz für Flüchtlinge gibt. In Griechenland kommen
Flüchtlinge sofort ins Gefängnis und bleiben dort bis zur Abschiebung. Das Asylverfahren
in Griechenland besteht in der staatlich organisierten Jagd auf Flüchtlinge zu Wasser und
zu Lande, es besteht in staatlich organisierter Unmenschlichkeit gegen Männer, Frauen
und Kinder. Was tatsächlich in Griechenland (oder anderswo) passiert, interessiert die
Abschiebebehörden nicht: Sie schauen nicht in die Berichte des UNFlüchtlingskommissars,
nicht in die von Amnesty International, Pro Asyl oder Human
Rights Watch. Sie schauen nur in die Listen und dort steht: Griechenland gehört zu den
sicheren Staaten – Flüchtlinge, die via Griechenland nach Deutschland eingereist sind,
werden dorthin zurückgeschoben. „Was ihr den ärmsten, den geringsten meiner Brüder
getan habt, das habt ihr mir getan ...“.
Diese Abschieberei hat derzeit freilich ein Jahr Pause: Weil die Bundesregierung fürchtete,
dass das Bundesverfassungsgericht die elende Abschiebungspraxis nach Griechenland
nutzt, um die schlimmsten Regeln der Flüchtlingsabwehr positiv zu korrigieren, hat der
Bundesinnenminister die Abschiebung nach Griechenland für ein Jahr ausgesetzt.
Vor bald 20 Jahren produzierte die BBC einen bewegenden Film über Flüchtlinge. Er heißt:
„Der Marsch“. Der Film erzählt vom Aufbruch verzweifelter Menschen aus einem
sudanesischen Flüchtlingslager. Angeführt von dem charismatischen Lehrer Isa El-Mahdi
zieht ein zunächst kleiner Treck in Richtung Europa. „Wir haben keine Macht außer der, zu
entscheiden, wo wir sterben wollen. Alles was wir verlangen, ist: Seht uns sterben!“ Auf
dem Weg zur marokkanischen Küste schwillt das Heer der Hoffnungslosen auf
Hunderttausende von Menschen an. Der Marsch wird zum Medienereignis, die EUKommissarin
verhandelt mit El-Mahdi. Der erklärt: „Als ich klein war, sagte man uns: Wenn
ihr studiert, werdet ihr eines Tages auch reich. Ich studierte hart. Ich arbeitete hart. Doch
mein Land wurde arm und ärmer. Eines Tages hatten wir nichts. Warum habt ihr so viel
und wir so wenig? Seid ihr bessere Menschen? - Es heißt, ihr in Europa habt viele Katzen.
Es heißt, eine Katze kostet mehr als 200 Dollar im Jahr. Lasst uns nach Europa kommen
als eure Haustiere. Wir können Milch trinken. Wir können vor dem Feuer liegen, wir
können eure Hand lecken. Wir können schnurren – und wir sind viel billiger zu füttern!“
...“Was ihr den ärmsten, den geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir
getan ...“.
Das Publikum wurde seinerzeit vor der Ausstrahlung dieses Films beruhigt: Man solle sich
keine Sorgen machen, es handele sich um eine erfundene Geschichte. Doch aus der
Fiktion wird Realität. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge muss immer wieder in
dramatischen Appellen darauf hinweisen, dass die Essensrationen für Hunderttausende
von Flüchtlingen in den afrikanischen Hungergebieten wegen fehlender Finanzmittel
drastisch reduziert werden müssen. Im Film endet die Geschichte damit, dass sich die
Armee der Habenichtse und das Militär des Westens gegenüberstehen. Man weiß nicht,
wie die Konfrontation weitergeht, man weiß nicht, wie sie endet. Feuer frei auf die
Elenden? Das wäre der apokalyptische Höhepunkt einer militarisierten Flüchtlingspolitik.
Und das wäre der Untergang eines Kontinents, der sich das freie Europa nennt.
Welche Zukunft hat so eine Politik des Abwimmelns, Abwehrens, Abschiebens,
Wegschauens? Bei einer EU-Konferenz im finnischen Tampere im Oktober 1999 räumten
die Staats- und Regierungschefs der EU erstmals ein, dass eine Politik des bloßen
Einmauerns nicht funktionieren kann. Zwar wurde damals auch zum x-ten Mal
beschlossen, die Außengrenzen noch besser zu sichern. Andererseits räumten die
Politiker aber ein, dass Verfolgte weiterhin Aufnahme finden müssten. Flüchtlinge sollen
also wenigstens eine kleine Chance haben, Schutz in der EU zu finden. In Tampere wurde
das Europa-Modell einer Festung mit einigen Zugbrücken kreiert. Über die Zugbrücken
sollen die politisch Verfolgten kommen dürfen. Diese Zugbrücken existieren aber bis
heute nur auf dem Papier. Stattdessen gibt es vorgeschobene Auffanglinien in Nordafrika
– in Libyen, Tunesien, Algerien, Marokko und Ägypten. Die Nordafrikaner sollen sich,
irgendwie, um die Flüchtlinge kümmern. Wie? Da schaut man dann nicht so genau hin.
„Was ihr dem ärmsten, den geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir
getan ...“.
Das Papier der Genfer Flüchtlingskonvention, soeben 60 Jahre alt geworden, wird brüchig.
Und das Versprechen der Europäischen Union, sie sei ein Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts gilt nur für europäische Menschen. Die Menschenrechte in der
Union sind teilbar. Und das Asyl in Europa ist eine Fata Morgana geworden: schön, aber
unerreichbar. Schutz gibt es dann nicht mehr in Deutschland, Italien oder sonstwo in der
EU, sondern allenfalls weit weg von der Kontrolle durch Justiz und Öffentlichkeit. Und
wenn der Schutz dann kein Schutz ist, sondern Auslieferung an das Land, aus dem der
Flüchtling geflohen ist – dann kräht kein Hahn danach. Aus den Augen, aus dem Sinn. Aus
den alten Kolonialländern werden nun also neue, sie werden eingespannt zur Flüchtlings-
Entsorgung. Entsorgung ist teuer, das ist aus dem Umweltschutz bekannt.
Dementsprechend wird den einschlägigen Ländern finanzielle und sonstige Hilfe
angeboten. Die Europäer finanzieren, die anderen parieren. Die Staaten Nordafrikas
erhalten Nachtsichtgeräte und Schnellboote, auf dass diese verhindern, dass Flüchtlinge
überhaupt nach Europa kommen.
Man spricht von „illegaler Einwanderung“. Wann ist ein Mensch illegal? Ist es illegal, wenn
er sich zu retten versucht? Bleiben wir trotzdem beim eingeführten politischen Wort. Eine
Politik, die das, was sie „illegale Einwanderung“ nennt, zu verhindern versucht, kann
ohnehin nur dann erfolgreich sein, wenn sie auch ein gewisses Maß an legaler
Einwanderung akzeptiert. Wenn überhaupt keine Einwanderung zugelassen, wenn gar
niemand aufgenommen wird, wenn es auch keine nachhaltigen Versuche gibt, die
Verhältnisse in den Fluchtländern zu verbessern – dann wird die Politik allein von den
Menschenschmugglern gemacht. Über deren Menschenverachtung kann man dann
lamentieren; sie kann gedeihen, weil es in der EU-Politik keine Achtung für die Flüchtlinge
gibt. Es gäbe schon ein Mittel, um die Verhältnisse in den Herkunftsländern zu verbessern:
Fair play. Solange europäische Butter in Marokko billiger ist als die einheimische, solange
französisches Geflügel in Niger weniger kostet als das dortige, solange schwimmende
Fischfabriken alles wegfangen, was zappelt – so lange muss man sich über den Exodus
aus Afrika nicht wundern. Die EU-Subventionspolitik ist auch eine Politik, die
Fluchtursachen schafft. Die politischen Wirren in den Herkunftsländern kommen dazu.
Gegen eine falsche Politik helfen keine neuen Mauern und keine Flüchtlings-Auffanglager
an den Küsten. Solche Versuche fördern nur die Illusion, europäische Export-Lebensmittel
weiter subventionieren zu können und den europäischen Reichtum nicht teilen zu
müssen. „Unsere Menschlichkeit entscheidet sich am Schicksal Afrikas“, sagte einst
Bundespräsident Horst Köhler. Er ist als Präsident zurückgetreten, aber sein Satz gilt. Die
Europäische Union muss aufhören damit, an einem neuen Eisernen Vorhang zu bauen. Sie
muss Verfolgten wieder Schutz und Zuwanderern eine quotierte Chance geben. Europa
ohne Humanität ist kein Europa.