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Deutsche Unternehmen in Ungarn (iep-Studie 2024)
02.11.2024 um 14:55Das Institut für Europäische Politik hat im August dieses Jahres eine Studie über deutsche Unternehmen in Ungarn veröffentlicht (PDF auf IEP). Dabei werden drei „illiberale Wirtschaftspolitiken“ konstatiert, welche den Wettbewerb verzerren:
1. In strategisch wichtigen Wirtschaftsbereichen wären Wettbewerbsbestimmungen ausgeschlossen und eine richterliche Überprüfung nicht möglich.
2. Ausländische Unternehmen werden durch Sondersteuern benachteiligt.
3. Das öffentliche Vergabewesen sei verzerrt, protegierte Unternehmen würden bevorzugt.
Die politischen Handlungsempfehlungen des Instituts für Deutschland:
1. Kompetenzen der Europäischen Kommission nutzen und ausbauen
2. Investitionsschutz in der EU stärken
3. Institutionalisierung der Koordination zwischen Unternehmen und Politik
4. Beibehaltung des bilateralen deutsch-ungarischen Dialogs
5. Abbau sozioökonomischer Ungleichheiten in Europa
Hintergrund:
Deutschland ist für Ungarn der wichtigste Handelspartner. Gleichzeitig benachteilige die durch Fidesz seit 2010 betriebene Zentralisierung der Macht bei der Exekutive verstärkt ausländische Investoren. Dadurch seien die Kopenhagener Kriterien gefährdet, welche eine stabile Rechtsstaatlichkeit als Grundvoraussetzung einer EU-Mitgliedschaft bestimmen. In Ungarn existiere eine „Rechtsstaatsregression“.
Seit 2010 sei das vorgebliche Ziel der Orbán-Regierung „die vorgebliche Rückgewinnung und der Ausbau nationaler Souveränität“. Dabei würden illiberale Praktiken wie in China, Singapur oder Russland angewendet. Hintergrund sei, dass Orbán nach der Finanzkrise von 2008 den starken Einfluss von ausländischen Investoren, die Einfluss auf „die nationale Subventions-, Standort- und sogar Bildungspolitik“ hatten, seit Regierungsantritt 2010 zurückdrängen will.
Seit 2012 gibt es sogenannte strategische Partnerschaftsabkommen (SPA) mit ausländischen Firmen, die jedoch Bedingungen erfüllen müssen:
sie müssen seit mindestens fünf Jahren in Ungarn aktiv sein, mehr als 1.000 Beschäftigte haben, einen signifikanten Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) leisten und mindestens zehn Prozent der verwendeten Materialien von ungarischen Unternehmen geliefert bekommenAktuell gebe es etwa 100 SPAs vor allem in der Automobil-, Elektronik-, und Pharmabranche. Ohne SPA wird es für ausländische mittlere und kleine Unternehmen schwierig, in Ungarn zu investieren. Sie werden aus dem Markt gedrängt bzw. zum Verkauf an Fidesz-nahe Unternehmen angehalten.
Ein wesentliches Mittel des staatlichen Eingriffs seien Ministerialdekrete, welche die Befugnisse der ungarischen Wettbewerbsbehörde ausßer Kraft setzen. Vor allem in der Landwirtschaft, im Energiesektor sowie im Medien- und Telekommunikationsbereich werden solche Dekrete eingesetzt, um gewünschte Investoren zu bevorzugen.
Sondersteuern kommen im Finanz-, Energie- oder Baustoffbereich sowie im Einzelhandel zum Einsatz.
Bei der öffentlichen Auftragsvergabe lässt sich beobachten, dass oft nur ein Anbot vorliegt, sich Firmen absprechen und Dritte aus dem Antragsprozess gedrängt werden. Auch durch politischen Druck.
Die Schlussfolgerung:
Diese Studie verdeutlicht, dass der politische Illiberalismus in Ungarn, der zu einem Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien führt, untrennbar mit einem starken Etatismus verknüpft ist. Das Ziel der Regierung, die nationale Souveränität zu erhalten und zu stärken, ist nur durch massive Markteingriffe in ausgewählten Bereichen durchsetzbar.Da diese Politik zu Konflikten mit der EU führt, wird die Hinwendung Ungarns zu östlichen Partnern (China, Russland) als Versuch einer Diversifizierung gewertet.
Zur Durchsetzung bereits existierender Kompetenzen der Europäischen Kommission empfiehlt die Studie nicht nur die Achtung auf die Unabhängigkeit der Wettbewerbsbehörde bzw. der ausschreibenden Instanzen, sondern auch die Durchsetzung sogenannter Interimsmaßnahmen, die Rechtsgüter schützen, aber auch finanziell ahnden können. Vertragsbruchsverfahren würden zu lange dauern. Auch eine Wiedereinrichtung der 2016 aufgelösten Fachgerichte für Rechtsstreitigkeiten in der EU wird angeregt.
Zum Schluss wird als Ursache des Aufstiegs illiberaler Regierungsformen in Osteuropa auf die weiterhin soziale Ungleichheit zwischen westeuropäischen Staaten und den ehemals kommunistischen Staaten hingewiesen. Diese habe die EU zu adressieren.
Denn ein Binnenmarkt ohne sozialpolitische Komponente untergräbt langfristig die Legitimität des europäischen Einigungsprozesses.