http://www.vitaler-markt.de/Kastner%20Europa.htm@all<<"Entgegen der landläufigen Überzeugung haben gerade nicht die Rationalität des Marktes und mit ihr die angebliche Objektivität der ökonomischen Wissenschaft entscheidend dazu beigetragen, den christlichen Glauben aus der “unmündigen Welt” zu schaffen.
An die Stelle des alten Glaubens ist vielmehr ein neuer Glaube getreten: Es ist der Glaube an die dynamische Kraft des menschlichen Egoismus, der durch die “unsichtbare Hand” des Marktes den “allgemeinen Nutzen” mehrt. Mit der weithin unhinterfragten Konstruktion der “unsichtbaren Hand” reiht sich die moderne Marktwirtschaft selbst wieder ein in die obskure Welt der Mythen und Erzählungen. Ihr Fundament ist zutiefst irrational und gemessen an den selbstgestellten Ansprüchen der Aufklärer in höchstem Grade vormodern.
Es besteht in dem neuen, alte Glauben an die ordnende “Weltvernunft”, eine Idee, die Adam Smith aus dem Gedankengut der heidnisch-antiken Religion der Stoa entliehen hat - und den mit ihr verbunden Wertewandel ihren wohl schillerndsten Widerhall gefunden hat in der Menschheitstragödie von Goethes Faust: Auf die Frage, wer er denn nun sei, entgegnet Mephistopheles: “Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will, doch stets das Gute schafft”. Goethe, der selbst sieben Jahre lang Finanzminister am Weimarer Hof war, kannte die Schriften des schottischen Nationalökonomen und zitiert nahezu wortwörtlich dessen Beschreibung über das Wesen der von ihm idealisierten “unsichtbaren Hand”, die den Egoismus der Einzelindividuen auf dem Markt der unbegrenzten Möglichkeiten wie selbstverständlich zum Wohle aller verwandele. Nur vor dem Hintergrund dieses neuen, unhinterfragten Dogmas scheint überhaupt erklärlich, wie etwas, das bis dato als “sündhaftes, unsittliches und gemeinschaftsschädigendes Verhalten” galt, überhaupt salonfähig werden konnte.
Bisweilen und sporadisch ist auch in der scheinbar aufgeklärten neuen Weltordnung Aufbegehren festzustellen. So hat Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika “Centesiums annus” (1991) scharf vor einer “Vergötzung des Marktes” gewarnt. Die immerhin mit einiger Autorität verlautbarten Worte verhallen jedoch im weiten Rund der globalisierten Ökonomie, solange diese immer noch und allgemein als das gilt, was sie de facto nicht ist: Ein rein pragmatisches Konzept zur effizienten Um- und Neugestaltung der Welt.
Wie wenig Wertesystem und Ökonomie tatsächlich auseinander zu dividieren sind, zeigen indes die allenthalben innerhalb der wirtschaftlichen Verfassung offenbar werdenden Krisensymptome: Der Sozialstaat lässt sich angesichts eklatant sinkender “Steuermoral” immer weniger aufrecht erhalten - trotz ausufernder Gesetzesmechanik, die stets bemüht ist, die immer wieder neu ausfindig gemachten “Steuerschlupflöcher” zu stopfen. Allein in Deutschland werden, so der Bund der Steuerzahler, pro Jahr steuerpflichtige Gelder in Höhe von 400 Mrd. Euro am Fiskus vorbei auf Steueroasen lanciert.
Wo Geld alles ist, was zählt und kein Wille ist, Solidarität auf dem Umweg von Staat und Geld zu organisieren, da ist das Gesetz ein allzu stumpfes Schwert, der Hydra der Steuerlücke Einhalt zu gebieten. Und was des großen Mannes Steuerhinterziehung ist, ist des kleinen Mannes “Sozialbetrug” respektive “Schwarzarbeit” - die sog. “Schattenwirtschaft” ist seit 1975 in Deutschland jährlich im Schnitt um rd.4% gestiegen und liegt gegenwärtig bei einem Volumen von 340 Mrd.€. Es handelt sich mithin um Geld, das außerhalb und neben der staatlich organisierten Solidaritätssysteme verdient wird. Dahinter nun steht jene für die Marktwirtschaft charakteristische, im Zitat von Adam Smith durchscheinende Motivation, die längst den Charakter eines Heilsversprechens angenommen hat, wie es jeder Religion eigen ist. Es tritt in der Ersatzreligion der Geldwirtschaft jeden Tag aufs Neue in Erscheinung und wird durchgehend von einer Konsum-, Medien und Bilderwelt unterfüttert. Es ist die mittlerweile tief im Unterbewusstsein verankerte Botschaft, Glück mit Geld kaufen zu können." >>
Welches Muster verbindet den Krebs mit dem Hummer und die Orchidee mit der Primel und diese vier mit mir? Und mich mit Ihnen? (Gregory Bateson)