Guter Artikel aus dem Spiegel
Kritik an Euphorie in den USA
Warum Amerika über Bin Ladens Tod jubeln darf
Die Deutschen mögen sich nicht recht freuen über den Tod von Osama Bin Laden, zumindest nicht laut. Sie schimpfen lieber über das vermeintlich blutrünstige Amerika. So bleibt der erschossene Terrorist doch Sieger - indem er Europa und die USA entzweit.
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Eines muss man Osama Bin Laden lassen: Auch als Toter hat er noch immer Macht - etwa Europäer und Amerikaner daran zu erinnern, wie fremd sie einander geworden sind.
Vor fast zehn Jahren, als Bin Laden mehr als 3000 unschuldige Menschen an einem Tag töten ließ, wurde auch Europa ein bisschen amerikanisch. "Wir sind alle Amerikaner", titelte "Le Monde" nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Deutschland war keine Ausnahme: Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder versprach Washington "uneingeschränkte Solidarität".
Von dieser Eintracht ist nicht mehr viel übrig. In deutschen Leserbriefen heißt es: "Bin Laden hatte keine Chance. Er wurde schlicht und einfach von den US-Boys kaltschnäuzig mit der Gewehrkugel liquidiert."
Kommentatoren erinnern daran, dass der Chefterrorist ein "54-jähriger Familienvater" gewesen sei. Bürger stellen Strafantrag gegen Angela Merkel, weil die Kanzlerin Freude über Bin Ladens Tod bekundete. Der Vorwurf: "öffentliche Billigung eines vorsätzlichen Tötungsdelikts". Und ein TV-Moderator fragt angewidert: "Was ist das für ein Land, das eine Hinrichtung derart bejubelt?"
Ja, was ist das für ein Land, dieses riesige Experiment namens USA? Amerika ist vieles. Oft selbstverliebt, großmäulig, manchmal abstoßend arrogant und aggressiv. Fähig zu Grandiosem, auch zu grandiosen Fehlern.
So wie im Krieg gegen den Terror, als der damalige US-Präsident George W. Bush den Globus in Freund und Feind unterteilte - und so spätestens mit der Irak-Invasion die Entfremdung vom Rest der Welt beschleunigte, auch von Europa. Das haben übrigens die Amerikaner selbst bemerkt, sonst regierte jetzt nicht Barack Obama im Weißen Haus.
"Er war der Drache, der am Ende des Korridors lauerte"
Aber es ist eben auch das Land, in dem Bin Laden am 11. September 2001 am spektakulärsten zugeschlagen hat, dem er bis zum letzten Atemzug den Kampf angesagt hatte. Das Land, das er so in Geiselhaft nahm und in eines der ängstlichen Blicke verwandelte. Junge Amerikaner, von denen viele besonders laut über Bin Ladens Ende gejubelt haben, sind mit diesen Blicken groß geworden. Die 9/11-Generation hat Angst kennengelernt wie wohl keine vor ihr. Manche von ihnen haben Bin Laden mit den Bösewichten verglichen, die sie aus ihren Märchenbüchern kennen. "Er war der Drache, der am Ende des Korridors lauerte", schreibt eine junge Frau in der "Washington Post". Natürlich habe sie feiern müssen, als dieser besiegt war.
Erleichterung ließ sie jubeln in der Nacht von Bin Ladens Tod, nicht Blutdurst. Sie hätte wohl genauso laut geschrien, wäre der Terrorist bloß gefasst worden.
Der Präsident hat die Bilder des toten Terroristen nicht als Trophäen zur Schau gestellt. Bei der Jubelfeier am Ground Zero in New York ging es in leisen Tönen um die Opfer der Terroranschläge, nicht um lautes Vergeltungsgeschrei.
Was wir gerade erleben, ist nicht der kollektive Tanz der Amerikaner um eine Leiche. Sondern eher die Hoffnung auf das Ende einer kollektiven Geiselhaft. Auch wir Deutschen kennen den finalen Rettungsschuss als letztes Mittel, um einen Geiselnehmer zu bremsen.
Zu fragen, ob Bin Ladens Tötung angemessen war, ist dennoch legitim. Wenn die Navy Seals seinen Zufluchtsort in Abbottabad wirklich problemlos hätten einnehmen können, wäre eine Festnahme die richtige Lösung gewesen, allen politischen Folgekosten zum Trotz. Die Amerikaner stellen solche Fragen durchaus, längst durchleuchten US-Medien kritisch jede Sekunde der Pakistan-Mission.
Viele Deutsche wollen keine Einwände hören
Viele der deutschen Kritiker wollen jedoch gar nicht nachfragen, sie wissen ja schon immer alles. Sie tun so, als sei die Militäroperation eine Art "Tatort"-Festnahme der Kripo Ludwigshafen gewesen - und Bin Laden ein Terrorist im Ruhestand, der nur zu gern den Anweisungen der Beamten Folge geleistet hätte.
Details stören dabei nur: Dass sich Waffen in Bin Ladens Versteck befanden und geschossen worden ist. Dass sich die Soldaten in keiner Phase sicher sein konnten, ob sie in eine Selbstmordfalle rennen, ob hinter der nächsten Tür eine Sprengfalle lauert. Dass der Plan für Bin Ladens Festnahme im tiefsten Pakistan bis zur letzten Minute eine Rechnung mit vielen Unbekannten war, dass die Jagd nach ihm schon oft spektakulär gescheitert war. Auch dass Bin Laden, der nun angeblich keine Chance erhielt sich zu ergeben, dafür fast zehn Jahre Zeit hatte.
Al-Qaida hat übrigens gleich nach seinem Tod geschworen, den Kampf gegen Amerika fortzusetzen.
Viele Deutsche wollen solche Einwände nicht hören, selbst wenn sie nun Obama vorträgt, nicht mehr Bush. Obama sagt immerhin: "Jeder, der bezweifelt, dass der Verursacher von Massenmord auf amerikanischem Boden nicht bekommen hat, was er verdiente, der sollte sich das Hirn untersuchen lassen."
Die Sofort-Kritiker rührt das nicht. Sie bemühen sich gar nicht zu verstehen, dass Amerika - allen eigenen Fehlern zum Trotz - immer noch einen nationalen Alptraum durchmacht, was Emotionen einiger seiner Bürger hochschießen lässt, manchmal auch auf hässliche Weise.
Stattdessen fragen also Deutsche hochmütig-pauschal: "Was ist das für ein Land?" Und zeigen genau das Verhalten, dass sie den Amerikanern vorwerfen.
Viele der deutschen Kritiker wollen jedoch gar nicht nachfragen, sie wissen ja schon immer alles. Sie tun so, als sei die Militäroperation eine Art "Tatort"-Festnahme der Kripo Ludwigshafen gewesen - und Bin Laden ein Terrorist im Ruhestand, der nur zu gern den Anweisungen der Beamten Folge geleistet hätte.
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