Unruhen in Libyen - warum?
22.02.2011 um 11:00einzige westlich reporterin vor ort sagt dass es dort nicht um demokratie gehthttp://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/_den_demonstranten_geht_es_nicht_um_demokratie_/332192.php
Den Demonstranten geht es nicht um Demokratie
Vereinfacht gesagt, funktioniert Libyen so: Auf der einen Seite gibt es diesen monströsen Repressionsapparat und auf der anderen ein System an Wohltaten aller Art. Diese Neubauwohnungen gehören dazu, sie können billig mit zinsfreien Krediten gekauft werden, die unter Umständen nicht einmal zurückbezahlt werden müssen. Die Grundnahrungsmittel werden subventioniert, der Kraftstoff; Arbeitslose werden für Jobs bezahlt, die gar nicht existieren. Solche Zuwendungen sind besonders im Osten wichtig, um die Leute bei Laune zu halten. Dort sitzen große, mächtige Stämme und die können nicht leiden, dass im Westen einer von einem kleinen anderen Stamm, nämlich Gaddafi, alle Macht hat. Und sie sind extrem konservativ. Die Frauen laufen total verhüllt herum, was auch eine Form von Protest ist. Gaddafi hatte ja erst den Kopftuchzwang abgeschafft...
Zudem gucken die Leute, weil sonst nichts los ist, den ganzen Tag Facebook. Da erschien ebenfalls ein Aufruf zum "Tag des Zorns" - am 17. Februar. Wer dahinter steckte, weiß niemand. Es konnten alle möglichen Leute und Gruppierungen sein, bis hin zu Gaddafi selber, der als Revolutionsführer dem Volk ja auch die Köpfe der Regierung anbieten könnte. Strategie: Wir besetzen den Grünen Platz in Tripolis, bevor es andere tun. Da sind wir wieder bei der Demonstration, an der ich teilgenommen habe. An diesem 17. Februar gab es tatsächlich eine Kundgebung pro Gaddafi und gegen Al-Dschasira. Man muss da mitwirken, als einzige ausländische Beobachterin steht man eh unter Dauerverdacht.
Hatten Sie keine Angst?
Natürlich! Das war kein Sonntagsspaziergang. Dass scharf geschossen werden kann und Leute in den Knast wandern, war extrem präsent. Dennoch: Erst mal war das wie eine große Party, wie nach einem Sieg bei der Fußball-WM. Es gab alte Frauen, die mit Bussen herangekarrt wurden, bezahlte Demonstranten mit bunten Gaddafi-Bildchen und Fähnchen. Derweil ging im Osten schon die Post ab, aber davon erfuhr man zunächst nur vom Hörensagen.
Was wollen die Demonstranten?
Jedenfalls keine Demokratie. Es geht um Machtverteilung, um alte Rechnungen, um Rache. Ich habe keine einzige Person getroffen, die von Demokratie redete. Was sollte auch besser werden, wenn sich die Wirtschaft für Ausländer öffnet? Die Privilegien, die Wohltaten der Subventionierungen sind sie dann los, die Frauen müssen Angst haben, dass es fundamentalistischer wird. Am Donnerstag gab es das Gerücht, das in einer der Berber-Städte, in denen es besonders rumorte, die staatlichen Banken angewiesen wurden, jedem, der vorbei kommt, umgerechnet 30000 Euro auszuhändigen. Auch die Tuareg werden immer mit Geld ruhig gestellt. Abordnungen von Tuareg sollen sich nach Tripolis begeben haben, um Ergebenheitsadressen auszuhändigen, um zu verhindern, dass ihnen der Hahn abgedreht wird. Gaddafis Revolution hat nichts mehr anzubieten außer Geld und Waffen. Das funktioniert eine Weile, es gibt ja von beidem genug, aber es gibt keine gemeinsame Idee, keinen Enthusiasmus mehr. Die Proteste entwickeln eine Eigendynamik. Das hat nichts mit politischem Willen zu tun. Einer schießt, dann gibt es wütende Trauer, dann wird noch mehr geschossen, und auf diese Weise eskaliert das. Nun wird gefordert, Gaddafi muss weg. Klar, er ist ja auch derjenige, der die Armee geschickt hat. Interessant ist unser Reflex: Protest ist gut und bringt Demokratie. Aber das ist nicht mehr als ein Wunschdenken à la CNN."