http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article12398598/Aufstand-in-Arabien-Friedensbewegung-schweigt.htmlAufstand in Arabien – Friedensbewegung schweigt
Die Menschen in Arabien kämpfen für ihre Freiheit. Doch die deutschen Gutmenschen halten sich mit Lichterketten und Solidaritätsbekundungen zurück. Warum?
Gibt es etwas Schöneres, als daheim auf dem Sofa zu sitzen, Bier bei Fuß, und aus sicherer Entfernung zuzusehen, wie sich Demonstranten Schlachten mit der Polizei liefern? Gestern in Tunis, heute in Kairo und Alexandria, morgen vielleicht in Damaskus und Riad?
Das ist wie “Tatort” und “Soko Leipzig” in einem. Rein theoretisch sollte man annehmen, dass angesichts der Bilder, die uns aus Arabien erreichen, auch in der Bundesrepublik etwas los sein müsste. Dass allerorten Soli-Kundgebungen stattfinden, dass die verschiedenen Zweige der deutschen Demokratie- und Friedensbewegung den Menschen zu Hilfe eilen würden, die für Freiheit und Menschenrechte, für ein selbstbestimmtes Leben also, ihr Leben riskieren. Aber nichts dergleichen passiert.
Es herrscht Ruhe an der deutschen Friedensfront. Claudia Roth, die eben erst nach einem Besuch in Teheran für mehr “Kulturaustausch” eintrat, um die “Zivilgesellschaft” im Iran zu stärken, schweigt. Konstantin Wecker, der 2003 nach Bagdad reiste, um sich dort zusammen mit Saddam Hussein fotografieren zu lassen, hat gerade Wichtigeres zu tun. Auch Horst-Eberhard Richter, sonst mit friedenspolitischen Ratschlägen schnell zur Hand, hält sich bedeckt, völlig synchron mit den “Ärzten gegen den Atomkrieg”.
Und der Rest der Friedensbewegung wartet auf besseres Wetter, um wieder nach Gaza segeln zu können, abgelaufene Medikamente und kämpferische Parolen im Gepäck. Diese revolutionäre Ruhe ist schwer zu begreifen. Sie dürfte zwei Ursachen haben.
Erstens demonstrieren die Menschen in Tunesien, Ägypten und Jemen nicht gegen den Imperialismus, den Kapitalismus und den Zionismus. Sie verbrennen keine US-Fahnen und rufen nicht “Tod für Amerika!” und “Israel muss weg!” Das aber müssten sie tun, wenn sie von uns ernst genommen werden wollten. Sie demonstrieren nur für Freiheit und Wohlstand, wie die Ossis vor dem Fall der Mauer, und das macht sie verdächtig. Wahrscheinlich wollen sie alle nur mal im Kaufhaus des Westens shoppen und rechnen fest mit einem Begrüßungsgeld.
Keine Kalaschnikow im Anschlag
Zweitens sehen sie so merkwürdig aus. Die Männer tragen normale Hemden und T-Shirts, die Frauen, vor allem die in Tunesien, sind nicht einmal verschleiert. Und das sollen echte Araber sein? Echte Araber sehen wie Osama bin Laden aus, sie verstecken sich hinter Vollbärten und ihre Frauen unter Burkas, Hijabs und Tschadors; die Angehörigen der besseren Stände tragen eine Kalaschnikow über der Schulter, die einfachen Menschen gehen nie ohne ein Messer aus. Das sind authentische Araber, wie wir sie aus den Büchern von Karl May kennen, edel, wild und unberechenbar. Die Demonstranten aber sehen aus wie wir, wenn wir eine Gartenparty feiern. Vielleicht ein wenig lauter, aber sonst kaum von einer Gruppe Hertha-Fans nach einem Heimspiel zu unterscheiden. Deswegen nehmen wir sie nicht für voll. Deswegen bleiben Soli-Demos aus.
Bis auf eine. In Berlin demonstrierten vor ein paar Tagen Hunderte von Autonomen “Für ein selbstbestimmtes Leben”. Es ging um ein besetztes Haus in Friedrichshain, das demnächst geräumt werden soll. Selbstbestimmt leben bedeutet: mietfrei wohnen. Erst wenn die Araber das verstanden haben, können sie mit unserer Solidarität rechnen.