Überwachung und Einschränkung der Bürgerrechte
08.07.2007 um 13:18
INNENMINISTER SCHÄUBLE*Sehr viel mehr als nur ein würdiger Nachfolger desSozialdemokraten Schily
Der Mann kann mit Genugtuung auf eine politischeBilderbuchkarriere zurückblicken. In seinen nunmehr schon 64 Lebensjahren hat er nahezuall das erreicht, von dem die Liebhaber der Götze Macht als junge Menschen träumen.Bundestagsabgeordneter, Parlamentarischer Geschäftsführer, Chef des Kanzleramtes,Fraktionsvorsitzender, Innenminister. Nur einer konnte noch besser pokern. Sein alterChef und Förderer Helmut Kohl vermasselte ihm die Erfüllung seines größten Traums:Kanzler ist Wolfgang Schäuble nicht geworden.
Seit über vier Jahrzehnten kennt erall die Schliche und Rituale, die nötig sind, um sich im Dickicht der Parteien undParlamente durchzusetzen. Studierter und promovierter Jurist ist er, aber das bürgerlicheBerufsleben - braver Beamter im Finanzministerium, Steuerberater wie der Vater oderRechtsanwalt - hat ihn wohl nie so richtig gelockt. Seine Leidenschaft ist seitJünglingstagen die Politik. Ring Christlich Demokratischer Studenten, Junge Union, CDU -das war und ist seine wirkliche Lebenswelt. Die professionellen Beobachter derZeitenläufe haben dafür die Bezeichnung "Berufspolitiker" geprägt. Und die Klugen unterihnen ahnen, welche menschlichen Defizite, welche gesellschaftliche Wirklichkeitsferneeine solche Lebensrolle in der Regel mit sich bringt.
Der Schwabe Schäuble gehörtseit langem zu den wirklich Einflussreichen in der politischen Klasse der Republik. Dassdieses Leben im Jahre 1991 von einer persönlichen Tragödie heimgesucht wird, sieht derZuschauer aktueller Fernsehnachrichten allabendlich auf den ersten Blick: WolfgangSchäuble sitzt im Rollstuhl.
Dieser gewaltsame Einbruch in seine persönlicheExistenz hat sein privates Leben zweifellos tief verändert. Aber von welch einembesonderen Exemplar des homo politicus hier die Rede ist, beweist, wie wenig das Attentateines Schizophrenen seine öffentliche Rolle verändert hat. Denn Schäuble ist einMachtverliebter, ein Mitmischer, ein politischer Selbstdarsteller geblieben. DieWangenknochen treten stärker hervor, wenn die Fernseh-Scheinwerfer aufleuchten, als inden Jahren vor den drei verhängnisvollen Schüssen in der Gaststätte Brauerei Bruder - derBlick ist härter geworden. Aber das Spiel um Einfluss und Öffentlichkeit hat ihn nichtlosgelassen.
Als Innenminister nun erst recht nicht. In dieser Rolle hat ihn derSicherheitswahn allerdings nicht weniger heimgesucht als die meisten seiner illustrenVorgänger. So wusste der Oberpfälzer Hermann Höcherl schon 1963 einen der vielenAbhörskandale der Bonner Republik besonders humorvoll zu decken. Seine fleißigenVerfassungsschützer - so klagte der CSU-Innenminister - könnten bei ihreraufopferungsvollen Arbeit für Volk und Vaterland das Grundgesetz schließlich nichtständig unter dem Arm mit sich herumschleppen. Einen seiner Nachfolger, FriedrichZimmermann, nannten der freche Volksmund und einige besonders gemeine Mediensymbolträchtig Friedrich "Schwurfinger". Der spätere oberste bundesdeutscheVerfassungsschützer hatte 1960 in einer Spielbankaffäre einen glatten Meineid geschworen.Ein medizinisches Gutachten machte damals klar, dass der Mann bei dieser Straftat nichtso ganz bei Sinnen war. Zum Glück schließt ein solches Schicksal in Deutschland nichtaus, dass man trotzdem eine Spitzenrolle auf der politischen Bühne spielenkann.
Bleiben wir gerecht. Von Innenministern wie Gustav Heinemann - der hatte1950 gar den Mut, Adenauers Wiederbewaffnungspolitik mit Kabinettsrücktritt zurquittieren - oder dem Freien Demokraten Gerhart Baum gibt es nichts Arges zu vermelden.Auch sein Parteifreund Werner Maihofer, der 1978 zurücktrat, war ein Verfechter liberalerGrundwerte.
Aber spätestens seit Otto Schily seine Vergangenheit als RAF-Anwaltund Grüner innerlich dementierte, ist die Welt im Innenministerium wieder in Ordnung.Gerhard Schröders bester Mann wusste uns beredt klar zu machen, wie viel Gefahr durchMenschenuntat den deutschen Staatsbürger an jeder Straßenecke bedroht. Seine Botschaftblieb schlicht und durchschlagend: Vertrauen ist nicht gut, und grundgesetzlich genaubegrenzte Kontrolle ist auch nicht besser. Da sollte mehr geschehen. Im Menschenschlummert per se das Böse, sagte Otto Schily Abend für Abend in der Tagesschau, und weildas so ist, bevölkert die Welt eine Unzahl noch zu enttarnender Verbrecher, Terroristenund Steine werfender Demonstranten. Die eigenen Untertanen und die vielen Reisenden, dieins Land wollen, müssen beobachtet, gefilmt, passsicher gemacht werden, sonst flippen sieaus. Ein Western-Sheriff war er, wie ihn John Waynes Drehbuchschreiber nicht schönerhätten zeichnen können.
Wolfgang Schäuble mausert sich da längst zum würdigenNachfolger des Sozialdemokraten. Schon Schily hatte uns unter seinen vielengrundgesetzlichen Taschenspielertricks auch gezeigt, wie großartig die neuen Technologienuns Staatsbürger immer besser und schneller erkennbar, verfolgbar, bis ins Privatestehaftbar machen können. George Orwells Big Brother, einst Horrorfigur jedes aufrechtenDemokraten, verkümmerte schon damals zum zahnlosen Zwerglein.
Wolfgang Schäubleaber weiß, was für ein Dilettant dieser Otto Schily in Wirklichkeit war. Er entdecktinzwischen neue herrliche Zukunftsperspektiven: die Schnüffelei an Geschäfts- undPrivattelefonen und in den Internet-Mails. Die Bundeswehr als Verbrechensaufklärerin indeutschen Bahnhöfen und Schützerin der Atomindustrie. Tieffliegende Tornados zurEinschüchterung von Demonstranten, die einfach keine Lust haben, jedeRegierungsentscheidung mit Jubelchören zu begleiten. Am besten jeden in Haft nehmen, dernicht auf der Stelle nachweisen kann, dass er die Regierung liebt und Hilfe schwört, wennes gilt, alle Feinde Brandenburgs in den Staub zu werfen. Und weil der liebe Gott gut zuden deutschen Innenministern ist, schickte er ihnen endlich die radikalen Islamisten aufdie Erde.
So treten wir in das Zeitalter ein, in dem den Minister und die Herrendes Bundeskriminalamtes oder der diversen Nachrichten- und Geheimdienste nichts mehr vomtotalen Sicherheitskrieg abhalten kann. Die braven Jungens von der Bundeswehr verteidigenunsere Freiheit am Hindukusch (in der Realität wohl mehr die Freiheit der Drogenhändler,der einheimischen Söldnerführer und der internationalen Ölkonzerne), während Schäuble siean der Heimatfront nicht verkommen lässt. Jede Woche das neueste Terror-Bulletin aus demInnenministerium. Am liebsten persönlich vor der Fernsehkamera vom Chefkoch selbstverkündet. Seine Erkenntnisse stammen übrigens aus erster Quelle. August Henning heißtsein Staatssekretär. Und der war einmal Chef des Bundesnachrichtendienstes.
Alsoeine kleine Auswahl aus jüngeren Zeiten: In Heiligendamm, so erklärte Schäuble in denMonaten vor dem G 8-Gipfel, drohe der lang erwartete Bürgerkrieg. Anhänger des SchwarzenBlocks waren zunächst verblüfft, wie stark sie der verhasste Staat einschätzte. Dasmachte ihnen richtig Mut, und sie gingen noch froher auf die Reise an die deutscheOstsee. Al Qaida schickt Selbstmörder ins schöne heile Deutschland, ließ dasBundeskriminalamt (BKA) vor wenigen Tagen vermelden. Ein Video - dessen Herkunft unddessen Aussagekraft im Dunkeln bleiben - soll das beweisen. Bitte keineverantwortungslosen Nachfragen, wir wissen doch: New York, 11. September 2001, Madrid,11. März 2004, London, 7. Juli 2005, Kofferbomben in Köln. Terrornester in Hamburg. Inunseren Städten - brandneue Geheimdiensterkenntnis - leben Millionen Muslime. Zumindestim Sinne notwendiger Gefahrenabwehr ist davon auszugehen, dass unzählige von ihnen längstdie gefährlichen Bomben im eigenen Hochhauskeller basteln.
Das Ministeriumspricht, und der Bürger durchlebt Schreckensvisionen. Irak liegt in Deutschland. Wenn dieabendlichen Nachrichten Bilder aus den mit Toten und Verletzten übersäten Straßen Bagdadsausstrahlen, denkt der Deutsche an Berlin, München oder Frankfurt. Wir sind umzingelt vonden Mächten des Bösen. Das Grundgesetz ist für den Schulunterricht, die Wirklichkeit -leider, leider - ist ganz anders.
Genug der Ironie. Die wöchentlichenSchauermärchen aus dem Innenministerium und den ihm untergeordneten Sicherheitsbehördennehmen längst Dimensionen an, die selbst einem erfahrenen Satiriker nicht einfallenwürden. Schäuble und der deutsche Konservatismus schützen das Grundgesetz zu Tode.Niemand wird angesichts der Terroraktivitäten von al Qaida die Sicherheitslage in denwestlichen Industrienationen verniedlichen wollen. Das wäre nicht nur verantwortungslos,sondern schlichtweg dumm. Aber Schäuble und Co. betreiben nicht nüchterneSicherheitspolitik, sondern bewusste Panikmache. Der Terror wird von ihnen politischinstrumentalisiert. Mit dem Ruf nach mehr Sicherheitsgesetzen trampeln sie langsam dieFreiheit zu Tode, die sie vorgeben zu verteidigen.
Fällt der Blick auf die letzten250 Jahre westeuropäischer Geschichte, lässt sich rasch erkennen, dass es umGrundsätzliches geht. Denn dem europäischen, nicht zuletzt dem deutschen Konservatismushat das, was die Revolutionen des 18. Jahrhunderts in Amerika und Frankreich politischauslösten, und was seit den Tagen der französischen Enzyklopädisten um Rousseau, Voltaireund Diderot unter der Flagge der Aufklärung segelte, nie gepasst. Die Revolutionen von1830 oder 1848, der Demokratisierungsversuch von Weimar - wo immer es um diedemokratische Freiheit ging, ließen die Konservativen schießen. Vom Habsburg-FeldherrnRadetzky (1848) bis zum Reichswehrchef Hans von Seekt (1923), von Gustav Noske (1919) biszu Walter Ulbricht (1953). Wen diese bunte Reihe verblüfft, der sei daran erinnert, dasskonservatives, antidemokratisches Denken in nahezu allen politischen Parteien ihrestarken Vertreter hat.
Auch die konservativen Eliten der alten Bundesrepubliktaten sich schwer damit zu akzeptieren, dass Demokratie Volksherrschaft meint undAufklärung gesellschaftliche und individuelle Selbstbestimmung. Ihre tiefe Abscheugegenüber den rebellierenden Studenten von 1968 und der ihr folgenden Kulturrevolution -deren Fragezeichen in diesem Zusammenhang nicht zur Debatte stehen - findet seine Wurzelnin dem Unvermögen, unter Demokratie mehr zu verstehen als formale Wahlrituale. Von deralten DDR muss da nicht geredet werden. Ulbricht, Honecker oder Mielke waren in ihremtiefen Misstrauen gegenüber dem eigenen Volk selbst von einem Konrad Adenauer nicht zuschlagen.
Die derzeitige Diskussion um die Sicherheitslage steht also ganz in derTradition deutscher Politik. Wer sich bedroht fühlt, sucht nach einem starken Beschützer.In solchen historischen Augenblicken schlägt die Stunde der Grundrechte-Verkürzer. EinPolitprofi vom Kaliber Schäubles weiß fraglos um solche massenpsychologischen Phänomene.Er nutzt sie.
Wer es nicht glaubt, wer dahinter düstere Verschwörungsthesenvermutet, der blicke auf zwei große westliche Demokratien, auf das nicht enden wollendeSterben in Irak und die wachsende Verstrickung der NATO-Soldaten in Afghanistan. Dieimmer noch amtierenden Regierungen in Washington und London haben nicht nur die Welt,sondern auch ihre eigenen Völker bewusst belogen, um deren Zustimmung zur Auslösung einesKrieges zu erschleichen. Welche Freiheit wird da eigentlich noch verteidigt? Was sindangebliche Geheimdienstberichte über drohende Terroranschläge, von denen Politiker düsterraunen, angesichts der Lügen von Ex-Außenminister Powell vor dem UN-Sicherheitsrat imFebruar 2003, kurz vor der Irak-Intervention, wirklich wert? Wir müssen nicht nurgegenüber potenziellen Selbstmordattentätern wachsam bleiben.
Der Autor istehemaliger Chefredakteur des Hessischen Rundfunks.