@Kc Allein, ich fürchte, da liegt es nicht an der Uniform, sondern am Drill.
USA: Debatte um strenge Erziehung Laut gebrüllt, Tigermutter
Süddeutsche Zeitung, 21.01.2011
Von Petra Steinberger
Angesichts der Bestleistungen chinesischer Schüler fürchtet Amerika den Abstieg in die Bedeutungslosigkeit. Auch deshalb ist die Aufregung über die Erziehungsmethoden asiatischer Mütter so groß.
Was würde man von einer Mutter halten, deren Kinder das Folgende niemals machen dürften: Woanders übernachten. Sich mit Freunden zum Spielen treffen. Im Schultheater mitspielen. Sich darüber beschweren, dass sie nicht im Schultheater mitspielen. Fernsehen oder Computerspielen. Sich selbst aussuchen, was sie neben der Schule noch unternehmen wollen. Etwas schlechteres als eine Eins schreiben. Etwas schlechteres als den ersten Platz in jedem Fach zu belegen - außer in Sport und Theater.
Man würde wohl überlegen, das Jugendamt einzuschalten, weil der Verdacht naheliegt, dass diese Mutter ihre Kinder misshandeln, oder zumindest ihre obsessiv-neurotischen Geistesverwirrungen an ihnen auslassen könnte. Natürlich weiß man noch nicht, dass man gerade einer Tigermutter begegnet ist. Besser gesagt: einer chinesischer Mutter.
In den Vereinigten Staaten und Großbritannien weiß man das inzwischen sehr genau, spätestens seit die selbst ernannte Tigermutter Amy Chua vor knapp zwei Wochen im Wall Street Journal einen Essay veröffentlichte: "Warum chinesische Mütter besser sind." Es war ein Exzerpt aus ihrem kurz darauf erschienenen Buch "Battle Hymn of the Tiger Mother" - "Schlachtgesang der Tigermutter" (auf Deutsch erscheint es nächste Woche bei Nagel & Kimche unter dem Titel "Die Mutter des Erfolges"). Innerhalb weniger Tage schoss das Buch bei Amazon unter die ersten fünf der Bestsellerliste, Tendenz steigend. Amy Chua wurde derweil zur meistbeschimpften und gefürchtetsten Mutter der Nation.
Amy Chua, Juraprofessorin in Yale und Verfasserin zweier vielgelobter Bücher über internationale Konflikte und ethnische Minderheiten, spricht an, wovor sich westliche Mittelstandseltern und Bildungseliten zutiefst fürchten - vor der überragenden Bildung jener erfolgreichen asiatischen Kinder, vor den kleinen Mathematikern, Musikern und Ingenieuren, die dem eigenen Nachwuchs vielleicht eines Tages, vielleicht schon längst den Rang abgelaufen haben. "Chinesische Eltern verstehen, dass nichts Spaß macht, bis man gut darin ist", schreibt sie. "Um gut in etwas zu werden, muss man arbeiten, und Kinder wollen von sich aus niemals arbeiten, weshalb es so wichtig ist, dass man sich über ihre Wünsche hinwegsetzt. Das verlangt von den Eltern viel Willenskraft, denn das Kind wird sich weigern."
Für westliche Eltern klingt das nach brutalem Zwang und Gewaltanwendung, ein Tabu in der Erziehung. Doch chinesische Eltern verstünden, so Chua, dass sie mit dieser Methode eine Aufwärtsspirale in Gang setzten. Ein Kind, das Erfolg hat, wird Selbstvertrauen und Selbstwert bekommen, was wiederum das viele Lernen und Arbeiten leichter macht. Und so können chinesische Eltern noch einmal mehr von ihren Kindern verlangen. Da, wo westliche Eltern aufgeben, meint Chua, da fangen chinesische Eltern gerade erst an mit dem Druck. "Eines der schlimmsten Dinge, die man dem Selbstwertgefühl eines Kindes antun kann, ist, es aufgeben zu lassen." Und, vielleicht bedenkenswerter: "Chinesische Eltern setzen bei ihren Kindern Stärke voraus, nicht Unsicherheit."
Die Thesen, die Amy Chua in ihrem Buch aufstellt, könnten nun einfach nur ein weiteres Kapitel in den so genannten "Mommy Wars" sein, die Amerika, und damit zeitversetzt auch den Rest der westlichen Pädagogen, Eltern und anderer mit der Erziehung von Kindern befassten Menschen seit Jahren zerreißen. Chuas Beschreibung ihrer Erziehungspraxis ist mehr als provokativ. Als die jüngere ihrer beiden Töchter, die damals siebenjährige Lulu, ein Klavierstück nicht ordentlich einübt, schleppt Chua ihr Puppenhaus ins Auto und droht, es der Heilsarmee zu schenken, wenn Lulu das Stück bis zum nächsten Tag nicht perfekt beherrscht. Sie droht ihr mit Essensentzug, sie droht ihr mit Weihnachten und Chanukka ohne Geschenke, sie droht damit, Lulus Kindergeburtstag für zwei, drei, vier Jahre ausfallen zu lassen. Lulu darf nicht vom Klavier aufstehen, nicht aufs Klo gehen, kein Wasser trinken. Irgendwann beherrscht Lulu das Stück - nach viel Tränen und Geschrei. Chua ist sehr stolz.
Ein solcher Erziehungsentwurf erscheint auf den ersten Blick als diametrales Gegenteil zum populären "Attachment parenting", jener verständnisvollen, auf die Bedürfnisse des Kindes für das Kind eingehenden Erziehungswolke, auf der es sich ein Großteil der westlichen Welt gerade gemütlich gemacht hat. Man darf dem Kind nicht wehtun, murmelt es aus dieser Wolke, es muss sein eigenes Tempo, seine eigenen Werte entdecken, es muss seine sozialen Kompetenzen erlernen, Teamfähigkeit, Empathie. Man muss es fördern, aber vorsichtig. Anderenfalls könnte es zerbrechen.
Was tatsächlich eine wunderbare Idee ist - wäre da nicht diese Unsicherheit, ob das wirklich der richtige Weg ist. Wäre da nicht die jüngste Pisa-Studie, in der die Schüler von Shanghai mit Abstand am besten abgeschnitten haben. Wäre da nicht die wachsende Sorge, mit dem Wirtschaftswunderland China bald nicht mehr mithalten zu können. Wäre da nicht, vor allem in den USA, die damit einhergehende Angst vor dem Abstieg des Landes in die Bedeutungslosigkeit. Was nützt es, fragen sich nicht wohl wenig Eltern der amerikanischen Middle Class, wenn sie nachts wach liegen, was nützt es, dass meine Kinder einmal kreativ sind und mitfühlend und sozial kompetent, dass das richtig so ist und gut, wenn ihnen diese kleinen Leistungsmaschinen so weit voraus sind? Amy Chua hat mit ihrem Buch genau diesen Schwachpunkt, den logischen Bruch im amerikanischen Ethos getroffen, nachdem man seinen Kindern - neben Verständnis und Nähe - auch die Waffen der Bildung mitgeben muss, um in einer konkurrierenden kapitalistischen Gesellschaft erfolgreich zu bestehen.
Wohl wegen dieser stets mitschwingenden Unsicherheit ob eines vermuteten Kulturkampfes zwischen dem Westen und Asien ist die Reaktion auf Amy Chuas Buch so heftig. Sie sei wahnsinnig, eine Narzisstin, eine schlechte Mutter. Die Empörung erinnert in vielem an die Diskussion um die so genannten "asiatischen Werte", die Anfang der neunziger Jahre die Meinungsseiten und Diskussionsrunden beschäftigten.
Dabei ähnelt Chuas Geschichte zunächst einmal der Geschichte aller aufstrebenden Immigranten. Ihre Eltern, chinesische Akademiker, kommen wie viele andere nach Amerika, arbeiten sich bis zur Erschöpfung, um ihren Kindern die beste Ausbildung zu ermöglichen. Die danken es ihnen, indem sie erfolgreiche Anwälte, Professoren und Ärzte werden. Nur bei der dritten Generation, der von bei Chuas Kindern, läuft es dann gern in die falsche Richtung. Denn viele von ihnen überlassen sich der westlichen Idee von Selbstverwirklichung und werden Künstler, Event-Organizer, Medienschaffende. Was Chua vermeiden möchte.
Vermeiden wollte. Denn, rudert sie inzwischen zurück, ihr Buch sei keine Handlungsanweisung, sondern eine Biografie. "Dies sollte", heißt es denn auch im Untertitel des Buches, "eine Geschichte darüber werden, dass chinesische Eltern ihre Kinder besser erziehen als westliche. Doch stattdessen handelt sie von einem bitteren Kampf der Kulturen, einem flüchtigen Geschmack von Ruhm und darüber, wie ich von einer Dreizehnjährigen gedemütigt wurde."
Beide Töchter sind extrem erfolgreich. Doch Lulu hat die Tigermuttermethode nie akzeptiert. Damit findet sich Chua schließlich ab. Liest man dann genau, ist vieles in Chuas Beschreibung zwar hart und streng, aber schließlich auch selbstironisch - und damit sehr amerikanisch.
(SZ)
Tja, vom Tiger lernen heisst, zum Bettvorleger zu werden!