US-Regierung gibt Fehler zu
01.04.2005 um 00:37
31. März 2005, 22:30, NZZ Online
Breites Versagen der US-Geheimdienste
Untersuchungskommission fordert zusätzliche Reformen
Die Arbeit der amerikanischen Geheimdienste weist laut dem Bericht der präsidialen Untersuchungskommission zahlreiche und teilweise erschreckende Schwachstellen auf. Die Kommission belegt dies unter anderem mit den Fehleinschätzungen zum Irak, die sie vernichtender Kritik unterzieht. Die bisher eingeleiteten Reformen reichen nicht aus.
A. R. Washington, 31. März
Die überparteiliche Kommission zur Durchleuchtung der amerikanischen Geheimdienststrukturen hat am Donnerstag nach gut einjähriger Tätigkeit ihren Bericht abgeliefert und mit Ausnahme einiger sicherheitspolitisch heikler Abschnitte auch dem breiten Publikum zugänglich gemacht (auf dem Internet über www.wmd.gov). Präsident Bush hatte die vom demokratischen Ex-Gouverneur Charles Robb und von dem republikanischen Bundesrichter Laurence Silberman geleitete Untersuchungskommission im Februar 2004 eingesetzt, nachdem sich die Annahmen über die irakischen Rüstungsanstrengungen über weite Strecken als falsch herausgestellt hatten.
Der Bericht befasst sich denn auch eingehend mit dem Fallbeispiel Irak und kommt zu vernichtenden, wenn auch längst nicht mehr überraschenden Schlüssen. Auf anderen Gebieten erkennt die Kommission aber ebenfalls beunruhigende Schwachstellen. Zwischen den Zeilen lässt sie durchblicken, dass die Geheimdienste in ihren Einschätzungen zu Nordkorea, Iran oder China auf ähnliche Weise im Dunkeln herumtappen wie vor dem Krieg in der Irak-Frage. Weitere Reformen sind ihrer Ansicht nach deshalb dringend nötig.
Kein politischer Druck
Nicht zum Mandat der Kommission gehörte es, zu untersuchen, ob die politische Führung die geheimdienstlichen Informationen auf verantwortungsvolle Art genutzt hatte. Auf die parteipolitisch befrachtete Frage, ob die Administration Bush die Informationen auf unlautere Weise instrumentalisiert habe, geht der Bericht somit nicht ein. Immerhin hält er fest, dass die Geheimdienste ihre Einschätzungen nicht auf politischen Druck hin abgegeben hätten.
Umgekehrt herrschte aber auch kein Klima, in dem die Analytiker zu grösserer Skepsis gegenüber den dominanten Meinungen zum Irak ermuntert worden wären. Zu den schweren Fehlern der Geheimdienste gehörte es, dass sie die politische Führung nicht genügend auf das quellenmässig schwache Fundament ihrer Schlussfolgerungen hinwiesen. Gleichzeitig fordert die Kommission von den Politikern, Geheimdienstberichte als das zu akzeptieren, was sie sind – mit Unsicherheiten gespickte Beurteilungen.
Trotz dieser Einschränkung geht die Kommission mit den Geheimdiensten hart ins Gericht. Sie verwendet dabei schonungslose Formulierungen. Fast auf jeder Seite ist von Versagen, Unterlassungen, Irrtümern und anderen Fehlern zu lesen. Namentlich über die berüchtigte Irak-Analyse vom Oktober 2002, die als wichtigstes Argumentarium für den Einmarsch diente, zieht die Kommission mit beissender Kritik her.
In fast allen ihren Vorkriegsannahmen über irakische Massenvernichtungswaffen hätten sich die Geheimdienste völlig geirrt. So gab es kein aktives Atomwaffenprogramm, keine Bestände an biologischen und chemischen Kampfstoffen, keine für den Einsatz von B-Waffen bestimmten unbemannten Flugkörper. Einzig das Urteil, dass der Irak Raketen mit unerlaubter Reichweite entwickle, traf zu.
Die Ursachen dieser Fehleinschätzungen erkennt die Kommission im ungenügenden Sammeln von Informationen und in groben handwerklichen Schnitzern bei der Analyse. Obwohl der Irak schon vor über einem Jahrzehnt als ein wichtiger Gegner auf dem Radarschirm der Geheimdienste aufgetaucht war, versäumte man es, das Sammeln von Informationen zu forcieren. Lücken in den Kenntnissen füllte man bei der Auswertung bequem mit Annahmen, die niemand in Frage stellte.
Aber auch Pfusch war mit im Spiel: Die Fehleinschätzung, dass die vom Irak importierten Aluminiumzylinder höchstwahrscheinlich nicht für die Artillerie, sondern für die Anreicherung von Uran bestimmt seien, hätte wirklichen Waffenexperten nicht passieren dürfen. Ebenso peinlich war die Blauäugigkeit gegenüber den gefälschten Dokumenten, die angeblich Saddam Husseins Hunger auf afrikanisches Uran belegten.
Altbekannte Schwachstellen
Vereinzelt spendet die Kommission auch Lob, etwa im Fall Libyen und bei der Zerschlagung des Atomtechnologie-Schmugglerrings von Abdul Qadeer Khan. Insgesamt erblickt sie jedoch systematische Schwächen: mangelnde Koordination der 15 Aufklärungsdienste untereinander, Führungsschwäche, schlechte Prioritätensetzung, ungenügendes Sammeln und Auswerten von Informationen.
Diese Diagnose ist nicht neu, aber die Kommission scheint sehr skeptisch, dass die in den letzten beiden Jahren eingeleiteten Reformen wirksam genug sein werden. Sie richtet grosse Hoffnungen auf die neu geschaffene Position eines nationalen Geheimdienstdirektors, fordert aber eine Klärung seiner Kompetenzen und weitere organisatorische Änderungen. Beispielsweise regt sie ein Geheimdienst-übergreifendes Zentrum für den Kampf gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen an, wie es schon im Anti-Terror-Bereich existiert. Neue Führungsstrukturen sollen die stärkere Konzentration auf Prioritäten ermöglichen.
Aber auch die Art und Weise, wie der Präsident als oberster «Konsument» von Geheimdienstinformationen bedient wird, soll sich ändern. Die täglichen Bulletins für das Weisse Haus seien zu marktschreierisch aufgezogen und hätten, im Falle des Iraks, über Monate hinweg an katastrophaler Einseitigkeit gelitten, kritisiert der Bericht.
(Quelle: http://www.nzz.ch/2005/03/31/al/newzzE6ZCGPBS-12.html)
Die Wahrheit ist seltsamer als die Fiktion, weil die Fiktion Sinn machen muss.