JackMarco schrieb:Abgesehen davon, ist das System, in dem wir leben nicht reiner Kapitalismus, sondern korporatistischer Kapitalismus, was das Ganze noch schlimmer macht.
Die "Partei der Vernunft" klingt ganz interessant (hab mir das Programm nicht durchgelesen), aber sie fordert eine "natürliche Wirtschaftsordnung". Damit meinen sie eigentlich freie Marktwirtschaft mit anarchokapitalistischen Tendenzen (sie rechnen sogar vor, was man mit nur 3% Steuern schon alles machen könnte).
Gerade für Deutschland wäre so ein Programm höchst unrealistisch, weil uns der Mut fehlt, so einen "Feldversuch" mal zu unternehmen. Ich glaube aber, dass ein solcher Libertarismus gar nicht so schlecht abschneiden würde, wie von den ganzen Antikapitalisten in ihren schlimmsten Horrorvisionen befürchtet. Das könnte sogar überraschend positive Wirkungen haben, woher wollen wir z.B. wissen, dass nicht plötzlich wieder jeder Arbeit hätte, wenn die hohe Abgabenlast wegfallen würde? Was wir ja durch direkte und indirekte Steuern alles bezahlen müssen ist enorm. Würde das alles wegfallen, wäre klar dass das BIP erstmal enorm steigen könnte, weil sich die Profite, die durch staatliches Eingreifen an vielen Stellen geschmälert werden, total entfesseln würden.
Hong Kong ist ja extrem wirtschaftsliberal. Es ist jetzt zwar auch nicht unbedingt ein Vorbild für uns, aber eben auch nicht die Hölle auf Erden. Und die "Partei der Vernunft" meint das bestimmt anders als Hong Kong und würde sagen, dass es keinen einzigen wirtschaftsliberalen Staat gibt, so wie sie sich das vorstellen. Ähnlich wie ja manche Kommunisten sagen es gab nie Sozialismus.
Wir sollten auch Anarchokapitalisten vielleicht mal beginnen, ernst zu nehmen. So wie wir ja auch die Linken, wie Sarah Wagenknecht, ernst nehmen. Diese bleiben aber von jeglicher politischer Diskussion ausgeschlossen, dabei sind ihre Argumente nicht ganz übel. Auch wenn mir solche Ansichten zu radikal sind, gibt es für mich keinen Grund sie nicht ernstzunehmen, weil das alles auf Vorurteilen beruht.
So mischte sich im 19.Jahrhundert der Staat nicht allzu sehr in die Wirtschaft ein. Und dann entfesselten sich besonders ab 1850 die Unternehmensgewinne und brachten einen lang andauernden Boom. Die Sozialstaatlichkeit führte Bismarck zu einem Zeitpunkt ein, als die Wirtschaft schon recht weit entwickelt war. Um 1900 dürfte die Staatsquote immernoch weit unter dem Niveau gelegen haben, wie wir sie heute haben, aber trotzdem war die extreme Armut stark zurückgegangen. Wenn jetzt argumentiert wird, dass uns Wirtschaftsliberale zurück ins 19.Jahrhundert bringen wollen, dann kann man einwenden, dass die Produktivität heute ja extrem viel höher ist, und deshalb können wir ökonomisch schonmal nicht dahin zurück. Außerdem war das 19.Jahrhundert auch nicht nur schlecht, wie wir an dem Aufschwung gesehen haben, und dem Manchester-Kapitalismus konnte man zwar vieles vorwerfen aber eines nicht: die Wirtschaft ist durch ihn nicht zusammengebrochen.