Link: www.spiegel.de (extern)Wer Barack Obama an der Berliner Siegessäule gesehen hat, weiß: Dieser Mann wird der 44. Präsident der USA. Er ist nicht nur anspruchsvoll, sondern wird auch Ansprüche erheben - nämlich so etwas wie ein Weltpräsident zu sein.
Also, das muss man erst mal hin bekommen, so einen gewaltigen Ritt durch die Weltgeschichte, der die eigene Familie, die Luftbrücke, die Terroristen, frei flanierendes Nuklearmaterial, die Polkappen, den Zweiten Weltkrieg, amerikanische Fehler, Iran, Irak, Afghanistan, Freiheit und noch so allerlei in Sätze hüllt, und das Ganze in wenig mehr als 30 Minuten.
Was davon bleibt?
Dass Barack Obama ein Politiker aus Leidenschaft ist, der von großem Ernst und großem Drang zur Utopie von einer besseren Welt beseelt ist. Dass er ein großer Redner ist, der es zwanglos versteht, sein Publikum in sein Weltgemälde hineinzuziehen, wobei er nicht einmal auf Effekte abzielt, die rauschenden Beifall erheischen. Dass er ein typischer Amerikaner ist, will sagen: ein Idealist aus dem Geiste der US-Erfolgsgeschichte, der ganz nebenbei den Anspruch erhebt, so etwas wie ein Weltpräsident zu sein. Er könnte ja auch sagen: Wir sind eine Weltmacht, die einzige, die es momentan auf Erden gibt, und ich werde in diesem Sinne handeln, wobei Ihr mitmachen dürft, beim Versuch die Welt ein bisschen zu retten, denn ich bin anders als George W. Bush, ganz anders.
Aber Barack Obama hat einen eigenen Sound, utopischer, er spricht die allgemeinmenschliche Sehnsucht nach den besseren Verhältnissen an – und er spricht die Sehnsucht nach kraftvollen, dynamischen, weltbewegten Präsidenten und Bundeskanzlern an. Mit diesem Schwung und mit dieser Strahlkraft hat er Hillary Clinton weggefegt und so wird er auch John McCain am 4. November hinter sich lassen. So hat er die Herzen der Amerikaner im Sturm erobert und so erobert er jetzt die Herzen der Europäer.
Wer ihn den kurzen Weg von der Siegessäule zum Rednerpult laufen sah, im wiegenden Gang des Basketballspielers, jung, entschlossen und konzentriert, der wird sich kaum vorstellen können, dass John McCain, 25 Jahre älter und ein Schmerzensmann, der die Arme zum Jubeln nicht heben kann, weil sie ihn in Vietnam gequält haben, noch eine Chance hat.
Europa erlebt in diesen Tagen den 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Wer ihm zuhört, ahnt schon, dass er nicht nur anspruchsvoll ist, sondern auch Ansprüche erheben wird. Vermutlich ist er auch im kleinen Kreis im Kanzleramt ein angenehmer Mensch, der Neugierde weckt.
Aber er wird die Hilfe der Deutschen, der Briten und Franzosen in Afghanistan und im Irak einfordern. Er dürfte die Nato nicht aus der Pflicht entlassen – darin liegt die Tücke des einnehmenden "Wir" und des ohrwurmartigen "Yes, we can". Ansonsten werden diese abgebrühten Europäer hoffen und beten, dass Präsident Obama es nicht ganz so ernst meint mit der Weltenrettung morgen, die Polklappen, Darfur und die Mohnernte hinten in Afghanistan inbegriffen.
George W. Bush ist gestern, die Texas-Variante der arroganten Weltmacht. Obama ist schon heute: die Alle-Menschen-wollen-doch-eigentlich-Brüder-sein-und-die-Welt-retten-Utopie.
Wir, die wir die leicht blutarme, pragmatische Demokratie mal schätzen, mal verfluchen, müssen uns schnell an Barack Obama gewöhnen, den neuen Anführer einer pathetischen Demokratie, die alle schönen großen Worte liebt, die unser Herz erwärmen und unseren Verstand alarmieren.
Heute lassen wir uns mal wärmen, vom Mann an der Siegessäule. Und dann schauen wir weiter.