Der Angriff auf die Inder in Mügeln
10.09.2007 um 17:50
Nur ein Zufall, pures Glück, dass es bei blauen Augen blieb, da hätte es auch Krüppel geben können, da hätte der Mob auch totschlagen können, viel hat wohl nicht gefehlt. Man kann nur hoffen, dass die Täter allesamt ausfindig gemacht werden, und man ihnen nicht nur mit den gesetzlichen Strafen einbleut, dass so etwas nicht geschehen darf. Nie geschehen darf. Aber - leider Gottes - es passiert stets und ständig, nicht nur in Deutschland. Wer mal eben auf die Schnelle in der einschlägigen Suchmaschine des Internets die Wörter "Schlägerei" oder "Massenschlägerei" eingibt, der erhält für die letzten 14 Tage, und nur im deutschen Sprachraum, auf einen Schlag 42 Zeitungsmeldungen, in denen von brutalen Schlägereien, auch massenweise, berichtet wird. Die Gelegenheiten sind Feste aller Art, Disko-Nächte, Fußballspiele, Kirmes. So gut wie immer ist Alkohol im Spiel, und immer hat es Verletzte gegeben, auch Schwerverletzte, sonst hätte es die Polizeimeldung kaum in die Zeitunggeschafft.
Warum sind diese vergleichbar gewalttätigen Ereignisse in Berlin kein Thema, warum gibt es keine Schlagzeile über die Lokalteile hinaus? Dumme Frage. Deutsche Antwort: Weil Mügeln eine politische Tat war, eine Aktion von Rechtsradikalen oder sogar Rechtsextremisten. Aber: Ist das so? Woher weiß man das eigentlich? Hat das Kanzleramt schon ermittelt? Hat die Kanzlerin mitsamt der Politiker-Gilde sowie einer anständig sein wollenden Öffentlichkeit schon mehr Informationen über die Tat als die tätige Staatsanwaltschaft? Warum mischt man sich hier leichthändig und schwerwiegend in ein laufendes oder gar schwebendes Verfahren ein? Warum darf in diesem Fall vor dem erkennenden Richter geurteilt werden? Ist die Sache deshalb schon klar, weil eine ganze Gruppe von Ausländern Opfer des losschlagenden Mobs war? Und fragen wir im Sinne der Aufklärung gleich mal weiter: Gibt es im Falle Mügeln wirklich einen eindeutigen Unterschied zu den Schlägereien, bei denen dieJugend von Nachbarstraßen oder Vierteln oder ganzen Dörfern aufeinander losgeht und die jeweils anderen mit rüden Beleidigungen herabsetzt, um skrupelloser zuschlagen zu können? Sind beispielsweise die Banden nordafrikanischer, deutsch-russischer oder auch türkischer Zuwanderer, die sich in ghetto-ähnlichen Quartieren hermetisch organisieren und starkmachen gegen die fremden Deutschen, deren Jugend jagen, erpressen und terrorisieren, sind das Rechtsextremisten? Nein, hier wird jeder vernünftige Mensch auf soziale Bedingungen einer elenden Jugend hinweisen, wird über die auch dem modernen Menschen noch eingebrannten archaischen Muster räsonieren, wird auf die instinktiven Sicherungen gegen das Fremde hinweisen, Sicherungen, die als extreme Form des Schutzes und der Selbstbehauptung auch die Form der Aggression annehmen können. Und dies nicht nur beim Prekariat.
Warum ist das im Fall Mügeln alles anders, warum hat man aus dem Fußballweltmeisterschaftsfall Potsdam nichtsgelernt; nichts gelernt aus dieser krachenden Blamage einer grotesk hysterischen Reaktion von eilfertiger Politik und der ebenfalls von allen guten Geistern verlassenen Bundesanwaltschaft? Es gibt in Deutschland eine Reflextaste, die wie im Schlaf gedrückt wird, wenn Ausländer Opfer sind oder zu sein scheinen. Und besonders heftig wird sie gedrückt, wenn die Tat im so genannten Osten geschieht. Sofort flammt die alarmierende Leuchtschrift "Rechtsextremismus" auf, und es wird routiniert ein Betroffenheits- und Ermahnungsrepertoire abgespult inklusive der Forderung nach noch mehr antifaschistischer Volkshochschule - als ob das auch nur die Bohne brächte, wenn man sich nicht gleichzeitig um Familien, Ausbildung und Arbeit kümmert, also um die Basis.
Aber, letzte Frage: Ist der deutsche Reflex nicht hilfreich, ist es nicht gut, in jedem Verdachtsfall lieber zu viel als zu wenig Alarm zu geben, den Anfängen blitzschnell zu wehren? Nein, ist es nicht. So, wie das auch jetztwieder geschieht, ist es fatal. Denn die leichfertige offiziöse und allgemeine Vorverurteilung, das Anprangern ganzer Landstriche, die eitel behauptete und brüstend zur Schau gestellte moralische Überlegenheit, das hat mehr Verknüpfungen mit rechtsextremistischer oder sagen wir: rassistischer Mentalität als das Land sich leisten darf. Darüber muss man noch mehr erschrecken als über einen Mob, der rast und sein Opfer haben will.