Rußland raus
Dem US-Präsidentschaftskandidaten John McCain dient das Land wieder als Feindbild
und zugleich als Hebel für die Hegemoniesicherung in der NATO.
Im "neuen kalten Krieg" soll das energiereiche Zentralasien dem russischen Einfluß
entzogen werden
Der frühere georgische Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili hat am Wochenende
den Präsidenten des Landes, Michail Saakaschwili, beschuldigt, mit ihm gemeinsam
militärische Pläne für eine Rückeroberung von Abchasien und Südossetien entworfen
zu haben. »Abchasien war unsere strategische Priorität, aber im Jahr 2005 arbeiteten
wir Pläne aus, um sowohl Abchasien als auch Südossetien einzunehmen«, erzählt der
im Exil in Paris lebende Exminister.
Der ursprüngliche Plan habe einen zangenförmigen Angriff von zwei Seiten auf
Südossetien vorgesehen. Ziel sei die gleichzeitige Einnahme der Hauptstadt Tschinwali
(im Süden, nur wenige Kilometer von der georgischen Grenze entfernt),
des Roki-Tunnels (der einzigen Landverbindung zwischen Südossetien und Rußland)
und der Stadt Java (Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks nördlich von Tschinwali,
des eigentlichen Kerngebiets der Südosseten) gewesen.
Alle Überlegungen in der Vergangenheit, die sich mit einem möglichen Überfall auf
Südossetien beschäftigten, hatten als selbstverständlich vorausgesetzt, daß
Georgien gleich in der allerersten Phase versuchen würde, den Roki-Tunnel zu
besetzen, um russische Militärhilfe zu verhindern.
Dabei könnten, so war die vorherrschenden Annahme in russischen Militärkreisen,
Fallschirmjäger zum Einsatz kommen. Daß Saakaschwili in der Nacht auf den 8. August
statt dessen Tschinwali durch schwere Artillerie zerstören ließ, ohne sich um den
Tunnel zu kümmern, erklärt Okruaschwili jetzt damit, daß sich der Präsident darauf
verlassen habe, die USA würden auf diplomatischen Kanälen eine russische
Intervention verhindern. Der US-Regierung gibt der Exminister eine Mitschuld an
den Ereignissen, da sie Saakaschwili bedingungslos unterstützt hätten
(Reuters und Civil Georgia, 14.9.2008).
Tatsächlich ist nicht vorstellbar, daß Saakaschwili die militärisch aussichtslose
Konfrontation mit Rußland herbeigeführt hätte, wenn er sich nicht der Unterstützung
maßgeblicher US-amerikanischer Kreise und Stellen, wenn auch vielleicht nicht der
Regierung insgesamt, sehr sicher gewesen wäre.
Was Saakaschwili sich von diesem Unternehmen versprochen hat, ist seinem eigenen
Redefluß zu entnehmen: Erstens Modernisierung und Verstärkung seiner
Streitkräfte und der militärischen Infrastruktur des Landes durch die NATO-Staaten,
an erster Stelle natürlich die USA. Zweitens Finanzgeschenke der USA und der
Europäischen Union für die georgische Wirtschaft, die die Kriegsschäden mehr als
wettmachen. Drittens breite internationale Solidarisierung mit Georgien und seinen
Ansprüchen auf Südossetien und Abchasien. Viertens beschleunigte Integration
Georgiens in die NATO, einschließlich einer Beistandsgarantie »gegen eine weitere
russische Aggression«, und das heißt in Wirklichkeit: für den Versuch, das
militärische Abenteuer des Überfalls auf Südossetien (und/oder Abchasien) zu
wiederholen.
Bisher sieht es so aus, als würde Saakaschwilis Hoffnung, für die Zerstörung
Tschinwalis und die Provokation eines Krieges mit Rußland reichlich belohnt zu werden,
vollauf in Erfüllung gehen. Freilich nicht unbedingt für ihn selbst. Sein alter
Kampf- und Weggefährte Okruaschwili hat vermutlich Recht, daß Saakaschwilis
Tage gezählt sind.
McCains antirussische Strategie Was könnten auf der anderen Seite die Motive
US-amerikanischer Kreise gewesen sein, dem georgischen Präsidenten für den
Überfall vom 7. August grünes Licht zu geben, wenn nicht sogar ihn ausdrücklich
dazu zu ermutigen? Man kann in diesem Zusammenhang davon ausgehen,
daß allen westlichen Regierungen schon seit Monaten klar war, daß eine solche
Militäraktion Georgiens - mit der Saakaschwili immer wieder gedroht hatte -
auf jeden Fall eine schlagkräftige russische Antwort zur Folge haben und damit eine
weitgehend voraussehbare Kettenreaktion auslösen würde.
Russische Politiker, unter anderem Ministerpräsident Wladimir Putin,
haben den Verdacht geäußert, daß das Unternehmen darauf abgezielt haben könnte,
die Präsidentenwahl im November zugunsten des republikanischen Kandidaten,
John McCain, zu beeinflussen (siehe jW-Thema vom 2.9.2008).
Diese These ist plausibel. Feindselige Einstellung und aggressive Agitation gegen
Rußland gehören schon seit Jahren zu den Hauptmerkmalen der außenpolitischen
Vorstellungen McCains. Seit Januar 1993 ist er Vorsitzender des International
Republic Institute (IRI), einer vorgeblich unabhängigen Organisation.
In Wirklichkeit ist das IRI, ebenso wie das National Democratic Institute for
International Affairs (NDI) der Demokraten, eine Parteiorganisation
die hauptsächlich aus dem Staatshaushalt finanziert wird, um politische Wühlarbeit
in Ländern zu fördern, in denen die USA gern ein bißchen »Regime Change«
bewirken möchten.
Angesichts der Tatsache, daß sich sein demokratischer Gegner, Barack Obama,
dem Republikaner in den letzten Monaten immer weiter angepaßt hat, stellte die
Haltung zu Rußland bis zum Kaukasus-Krieg den einzigen wesentlichen Unterschied
auf dem Gebiet der Außenpolitik zwischen den beiden Kandidaten dar.
Der Republikaner profitiert also vom Umstand, daß die Mainstreammedien der USA
seit dem Krieg auf massive antirussische Propaganda alten Stils,
die fast schon in Vergessenheit geraten war, umgeschwenkt sind.
Das läßt den Kandidaten als denjenigen dastehen, der es »immer schon gewußt« hat.
In einem Grundsatzartikel für die Ausgabe November/Dezember 2007 der Zeitschrift
Foreign Affairs hatte McCain ein düsteres Bild der russischen Entwicklung
gezeichnet und zu einer »neuen Herangehensweise des Westens an dieses
revanchistische Rußland« aufgefordert. Mit »revanchistisch« ist gemeint,
daß Rußland sich seit der Übernahme der Präsidentschaft durch Putin (Dezember 1999)
nicht nur wirtschaftlich von den verheerenden Folgen der Jelzinschen Kleptokratie
erholt hat, sondern auch Ansätze einer nationalen Außenpolitik entwickelt und der
Unterwerfung des gesamten postsowjetischen Raums unter die Vorherrschaft von USA
und EU entgegenzuarbeiten versucht.
McCain schrieb damals: »Wir sollten damit beginnen, sicherzustellen, daß die G8,
die Gruppe der acht höchstindustralisierten Staaten, wieder ein Club der führenden
marktwirtschaftlichen Demokratien wird. Er sollte Brasilien und Indien einschließen,
aber Rußland ausschließen. Statt Rußlands atomare Erpressung oder seine
Cyberattacken (gemeint sind angebliche Störmaßnahmen gegen Estland - K. M.)
zu tolerieren, sollten die westlichen Nationen klarmachen, daß die Solidarität der
NATO, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer, unteilbar ist und daß die Türen der
Organisation für alle Demokratien offenbleiben, die der Verteidigung der Freiheit
verpflichtet sind. Wir müssen auch unsere Programme zur Unterstützung der Freiheit
und der Herrschaft des Rechts in Rußland verstärken. Wir müssen hervorheben, daß
echte Partnerschaft mit uns für Rußland offenbleibt, aber nur unter der Voraussetzung,
daß es sich verpflichtet, innen- und außenpolitisch als verantwortungsbewußter Akteur
zu handeln. Allgemein gesprochen muß Amerika die demokratische Solidarität
wiederbeleben, die den Westen während des Kalten Krieges vereinte.«
Bei Interesse Fortsetzung unter :
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/NATO/russland.html