Sportdirektor Matthias Sammer, der die deutsche Nationalmannschaft 1996 zumEuropameisterschaftstitel führte, glaubt gar nicht an die These vom Zusammenhang zwischenDiskriminierung und Leistungsniveau. "Die gibt es doch auch in höherklassigenFußballvereinen", sagt er. Sammers Ansatz klingt danach, als habe er seine Philosophieals Spieler in eine Theorie des Handelns überführt. "Der Sport ist davon abhängig, werihn vorstellt", sagt er. "Wer gibt die Führung vor? Wer ist der Trainer? Entscheidendsind die Köpfe." Das ist natürlich richtig - aber manchmal sind eben genau die Köpfe dasProblem.
Der DFB wirkt noch ein wenig ratlos, wenn es um die Integration derZuwanderer geht. Theo Zwanziger hat die Problematik erkannt, und alsgesellschaftspolitisch engagierter Präsident ist sie ihm auch erkennbar wichtig. Was derVerband konkret tun kann, ist allerdings die zweite Frage. "Fußball ist dieIntegrationsmaschine Nummer eins", sagt Zwanziger, "aber Integration ist auch etwas,woran man arbeiten muss." Richtig ist, dass es für viele Einwanderergruppen einfacherist, im Fußball Anerkennung zu finden als im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt -doch das nur bis zu einem gewissen Niveau.
Eine Maßnahme des Verbands ist es,Menschen mit Migrationshintergrund in die Gremien zu holen. Ende Dezember ernannte derDFB eine Integrationsbeauftragte: Die 47-jährige Gül Keskinler wurde von derIntegrationsbeauftragten des Bundes, Maria Böhmer, vorgeschlagen. Die gebürtige Türkinnahm 1998 die deutsche Staatsbürgerschaft an, sie ist CDU-Mitglied, Mitglied derZuwandererkommission ihrer Partei und nahm schon 2006 am Integrationsgipfel derBundeskanzlerin teil.
Integrationsoffensive, Integrationsbotschafter,integrationsfreundliche Instrumentarien - vieles von dem, was Theo Zwanziger ankündigt,klingt abstrakt. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Fußball überhaupt vieleEinflussmöglichkeiten hat. Frank Kalter hat ein gewisses Interesse mancher Landesverbänderegistriert. "Auf einmal entdecken alle, dass das ein Problem ist", sagt er. "Aber dieseAntworten kann man nicht von heute auf morgen geben."
Das liegt zum Beispieldaran: Der Soziologe hat in seiner Studie festgestellt, dass das Eintrittsalter in einenVerein der türkischen Kinder sich dem der deutschen annähert, je besser sie die deutscheSprache sprechen, je mehr deutsche Freunde sie haben und je höher der Bildungsgrad ihrerEltern ist. "Auch die Häufigkeit der Sporttätigkeit sowie ihr Erfolg sind hochgradigbildungsabhängig", sagt Kalter. Das betrifft Durchsetzungsfähigkeit,Leistungsbereitschaft, den Umgang mit Misserfolgen - auch wenn es gewiss nochunterprivilegierte Talente gibt, für die der Sport sozialen Aufstiegbedeutet.
"Das Hauptproblem ist die soziale Herkunft, die versteckt in die Bildungübergeht", so Kalter. Von 100 deutschen Kindern gehen 42 auf das Gymnasium, von 100türkischen nur zwölf. An den Hauptschulen ist das Verhältnis genau umgekehrt. Wenn dieFußballerkarriere im reichen Deutschland auch eine Frage der Bildung geworden ist, liegtgenau hier der Grund für die kurzen Karrieren vieler türkischer Kids. Das heißt aberauch: Es geht gar nicht mal so sehr um die Integration im Fußball, sondern dieIntegration in die Gesellschaft.
Mangelnde Integration ist häufig auch der Grund,warum die meisten Talente für das Land ihrer Eltern spielen. Selbst wenn ein YildirayBastürk sich gar nicht vorstellen kann, in der Türkei zu leben. "Meiner Meinung nachsteht im Vordergrund, dass sich die Spieler nicht als Deutsche fühlen", meint Otto Addo.Er spielt für Ghana. "Ich fühle mich schon als Deutscher, aber von Teilen derGesellschaft wirst du nicht als einer anerkannt." Einmal wurde Addo dreimal an einem Tagvon der Polizei angehalten, weil die Beamten einen Schwarzen mit Mercedes offenbarseltsam fanden.
Darius Zifonun hat eine weitere Erklärung. Er ist ebenfallsSoziologe und hat sich in Mannheim mit den türkischen Vereinen beschäftigt. Um dem Idealder teilnehmenden Beobachtung gerecht zu werden, hat er sogar eineSchiedsrichterausbildung gemacht und Spiele gepfiffen. "Es spielt auch eine Rolle, dassder DFB in der Vergangenheit kein Auge auf die Migranten geworfen hat", sagt Zifonun."Wenn Sie mit den Vätern der heutigen Spieler sprechen, erzählt Ihnen jeder, wie er nichtin diese oder jene Auswahl kam. Diese Missachtungserfahrungen sind im kollektivenGedächtnis aufbewahrt. Der DFB mag sich heute Mühe geben, aber das Misstrauen ist nochda." Oft sind es genau die Väter, die gegen das Engagement in der deutschen Elfsind.
"Der türkische Verband hatte in den neunziger Jahren seine Agentur, und wirhaben damals nicht mal unsere Argumente dagegengesetzt", sagt Zwanziger. "Nach der WM1990, der EM 1996 und den Auswirkungen der Wiedervereinigung haben sich manche ja fürunschlagbar gehalten. Wenn du auf einem solch hohen Sockel hockst, gehst du nicht soaggressiv ran wie andere." Heute spricht man selbst mit den Talenten, zeigt ihnenPerspektiven auf, besucht die Eltern. Aber es gibt auch Grenzen. Matthias Sammer: "Ingewissen Bereichen, nämlich der Familie, können wir nur bedingt Einfluss nehmen. WennGlaubensfragen, Nationalstolz und Identität ins Spiel kommen, haben wir nur bedingtArgumente."
Manchmal wird mit harten Bandagen um die Talente gekämpft. DerDeutschmarokkaner Adil Chihi vom 1. FC Köln entschied sich erst für den DFB, zwei Monatespäter revidierte er seine Entscheidung. Angeblich war der marokkanische Botschafter imAuftrag des Königshauses bei den Eltern vorstellig geworden. "Wir werden nicht mitunsauberen Mitteln arbeiten", sagt Theo Zwanziger zu solchen Fällen.
Wird dieNationalelf des Jahres 2020 also aus lauter Mehmets und Murats bestehen? "Sie sindherzlich willkommen. Aber sie müssen sich gegen die Deutschen, die Italiener, dieAfrikaner durchsetzen", sagt der Sportdirektor. Der Präsident ist optimistischer: "Dasist sehr gut möglich. Wenn Deutschland integrationsfreundlicher wird." Davon wirdabhängen, ob er rechtbehält.
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