Putin - Russlands größter Präsident?
16.05.2014 um 16:35Anti-Imperium schrieb:Warum wird so viel über Russlands Machozeitalter und Homophobie berichtete, während andere Staaten, die weitaus brutaler gegen Homososexuelle durchgreifen komplett verschont bleiben von unserer westlichen Presse?Aus einem einfachen Grund, man soll sich nicht ein Beispiel an schlechteren Systemen nehmen. So sind auch Vergleiche zu den noch intoleranteren Systemen dieser Welt schwer. Man sollte sich an besseren Beispielen orientieren und so sollte dies auch Russland. Z.B. Skandinavien, neben ihrer hohen sozialen Stabilität, ihrer modernen Wirtschaft (z.B. Schweden) ist eben auch die Toleranz gegenüber der LGBT Community sehr hoch. Mit anderen Worten die fortschrittlichsten Gesellschaften dieser Welt denken kaum noch über solche Themen nach, da sie schlicht und einfach eine Selbstverständlichkeit geworden sind, somit wird es eben auch nicht mehr zum Problem und man braucht sich darüber kaum noch den Kopf zerbrechen in solchen Ländern, man kümmert sich lieber um die wirklich wichtigen Themen des Alltags.
Russland ist global gesehen im "Mittelfeld" bei solchen Themen, seit dem Gesetz jedoch mit Tendenz Richtung Rückschritt, denn die Macht der orthodoxen Kirchen und des rechten Flügels der politischen Instanz sind eben maßgeblich bei solchen Gesetzgebungen beteiligt. Das bedeutet nicht das die Regionen in Russland da einheitlich abgestimmt sind, im Westen und äußersten Osten ist man da sehr modern in Russland und betrachtet solche Themen als irrelevant, jedoch sind die meisten Regionen im Herzen Russlands eben noch deutlich konservativer und nach dem Zusammenbruch der UdSSR gab es eben eine Art religiöse Wiedergeburt.
Die westliche Presse ist ziemlich starrsinnig und versucht Feindbilder zu erschaffen, der einfache Russe ist nicht groß anders als der einfache Kerneuropäer, jedoch sind eben die politischen und religiösen Instanzen deutlich anders verteilt zwischen Ost und West.
Das es Länder gibt die direkt gegen die Homosexualität vorgehen aufgrund religiöser und staatlicher Vermischung der Politik, bei denen auch der Säkularität der Gesellschaft verhindert wird ist kein Wunder, denn diese Staaten sind Theokratien, das sind die denkbar schlechtesten Beispiele. Russland sollte jedoch aufpassen das die Kirche nicht noch mehr Einfluss auf die Gesellschaft gewinnt, denn diese Entwicklungen sind IMMER ein Rückschritt auf gesamtgesellschaftlicher Ebene.
Anti-Imperium schrieb:Was Frauenrechte angeht ist Russland vielen lateinamerikansichen Staaten ebenfalls um Jahrzehnten weit fortgeschrittenerDas bestreite ich auch nicht! Lese noch mal meinen vorherigen Beitrag durch, ich selbst bin weder pro- noch contrarussisch im Denken, jedoch kann man sagen das es mit den Frauenrechten zur Zeit der UdSSR weiter war als heute. Jedoch diese Vergleiche sind immer problematisch, denn sie führen dazu das man sich "ausruht" und sich sagt, na ja könnte ja schlimmer sein wie da oder da, also lassen wir es so. Diese Einstellung ist in meinen Augen starrsinnig und man sollte lieber daran denken das jede Gesellschaft sich in einem dynamischen Prozess von Generation zu Generation befindet. Entwicklungsstagnation ist ein Zeichen von Konservativismus.
Ich selbst bin ein Freund der deutsch/russischen Freundschaft und wünsche mir auch eine Eurasische Union und mehr Abstand zur Nato und den USA, jedoch keine Ablehnung, nur eben mehr Distanz und wieder etwas mehr Nähe zu Russland, beide Seiten sind wichtig für den Kern Europas und man kann zur Zeit auf keine der beiden verzichten.
Anti-Imperium schrieb:Aber solche Fakten werden immer wieder gerne ignoriert um Putin zu dämonisieren.Du hast scheinbar nur meine Kritik an Putin gelesen, jedoch meine positiven Worte die ich über ihn geschrieben habe überlesen. Putin ist ein Machtmensch, jedoch auch ein Verantwortungsträger, in wirtschaftlicher Hinsicht war er ein Segen für Russland, gesellschaftlich jedoch zunehmend mehr ein Fluch, natürlich ist der Westen an den Sanktionen schuld und ich halte dieses Vorgehen auch für kindisch, nur ist Putin eben auch nicht gänzlich unschuldig an der momentanen Situation. Man sollte niemanden blind vertrauen schenken, weder den Leuten in Kiew, den Leuten in Brüssel, den Leuten in Washington, Berlin und eben auch Moskau nicht. Man sollte die Politik wieder menschlicher gestalten, dazu gehören eben auch Frauenrechte, Rechte für die LGBT-Community, Menschen mit Migrationshintergrund, ethnischen Minderheiten usw. Russland ist gewiss in vielen Punkten vorbildlich, doch es gibt eben noch viel was sich da verändern muss um ein Zeichen zu setzen das der Wille da ist. Russland war noch nie wirklich eine Demokratie, das ist mit einem Lernprozess verbunden der übrigens auch in westlichen Staaten noch einsetzen muss, denn zur Zeit leben wir alle im westlichen Parlamentarismus mit Tendenz zu einer Plutokratie. Russland ist eine autokratische und autoritäre Demokratie. Ost und West sind beide keine wirklichen Demokratien, Putin weiß das, sieht es jedoch noch nicht an der Zeit in Russland für solch ein System. Denn die Selbstbestimmung und Selbstverwaltung eines Volkes ist damit verbunden das das Volk in der Lage ist Verantwortung zu übernehmen. Diese Frage sollte sich auch Deutschland stellen!
Ich sag es mal so, die UdSSR war in vielen Punkten moderner als das heutige Russland, jedoch hat Russland vieles versucht aus dieser Zeit zu bewahren, konnte jedoch nicht damit rechnen das die Zeit von Jelzin für so viel Frustration sorgt das die ganze Gesellschaft einen Ruck nach rechts gemacht hat und auch Richtung religiöser Machtzunahme. Russland ist für mich ein Land das zwischen einem modernen, fortschrittlichen Staat und einer konservativen Wertegesellschaft schwebt. Das Volk in Russland ist pluralistischer als man es im Westen in den Medien verkauft und man vergisst das auch Russland interne Dialoge führt und selbst in der Regierung dort gibt es unterschiedliche Weltbilder, ich erinnere bezüglich des umstrittenen Gesetzes mal an Medwedew, denn dieser ist im Denken durchaus fortschrittlicher aber auch loyal zu Putin:
Premier Dmitri Medwedew sieht keine Notwendigkeit für eine gesetzliche Einschränkung „der Homosexualität“.http://de.ria.ru/politics/20121207/265095140.html (Archiv-Version vom 15.07.2014)
„Bei weitem nicht alle moralischen Fragen, bei weitem nicht alle Verhaltensgewohnheiten und bei weitem nicht alle Fragen der zwischenmenschlichen Kommunikation muss man per Gesetz regeln – weil sich nicht alle Beziehungen zwischen den Menschen gesetzlich regeln lassen“, sagte er am Freitag in einem Interview für russische Fernsehsender.
Seine Sicht der Dinge halte ich für rational und auch verständlich. Ich hätte mir gewünscht das er Putin dies bewusst macht vor diesem Gesetz, denn erst dieses Gesetz hat den Westen so sehr verstimmt und die antirussische Haltung verstärkt, vorher gab es eben nur wirtschaftliche und verteidigungspolitische Unstimmigkeiten, nach dem Gesetz gab es eben auch gesellschaftliche. Ein positives Zeichen wäre es wenn Putin dieses Gesetz zurück nimmt. Seine Sicherheits- und Außenpolitik ist meiner Meinung nach jedoch durchaus verständlich und kann diese als nötiges Gegengewicht zur Nato betrachten, in der Hinsicht sollte Russland konsequent bleiben und sich dem Expansionismus des Westens nach der Wende nicht beugen. In diesen Fragen stehe ich sogar hinter der Politik Putins!
Vltor schrieb:Erbe der UdSSR? Heißt das, Putin will auch einem Nationalsozialistischen System beistehen, welches dadurch Europa unterwerfen kann?Die UdSSR war INTERNATIONALISTISCH! Nationalistisch war die Zeit des Stalinismus in der die UdSSR durch den 2. WK einen Rechtsruck der Verteidigungspolitik erlebt hat, jedoch war dies eine Folge des Expansionismus der Nazis! Stalin war durchaus eine Art von östlicher Nationalsozialist, jedoch die UdSSR als solche war Internationalistisch ausgerichtet, erst im Zuge des Kalten Krieges wurde daraus ein isolationistischer Völkerbund und eine zentralistische Volksunion. Das heutige Russland ist jedoch nicht sozialistisch, es ist bis ins Mark kapitalistisch und auch nationalistisch. Da besteht kaum ein Unterschied zur aktuellen Regierung in Kiew. Beides sind Nationalismen die da kollidieren.
Vltor schrieb:Aber im ernst, Putin unterstützt sehr wohl Nationalisten - im eigenen Land - oder nutzt diese teilweise schlicht aus. Hauptsächlich indirekt, aber die Nähe des - noch eher zersplitterten - radikalen Rechten Sektors und des Kremls ist offensichtlich.Natürlich ist Russland nationalistisch, ebenso wie auch der Westen der Ukraine, mehr und mehr auch die Länder Europas, leider! Ich sehe das in einer kausalen Wechselwirkung nationaler Spannungspolitik zwischen Ost und West, so auch zwischen den einzelnen Nationen "dazwischen".
Putin ist in vielen Punkten ein "seichter" Nationalist, er ist jedoch fähig internationale Dialoge zu führen ohne sich selbst zu überhöhen, ganz im Gegensatz zur Außenpolitik der USA. Russland ist da durchaus rationaler und weniger aggressiv, mehr defensiv.
Vltor schrieb:Putin ist alles mögliche, aber sicher kein Vorkämpfer gegen Nationalismus und Faschismus.Gegen Nationalismus sicherlich nicht, gegen Faschismus jedoch durchaus, denn eine Oligarchie ist eine Form des wirtschaftlichen Faschismus und Putin hat in seinem Land in der Hinsicht ziemlich reinen Tisch gemacht und die wirtschaftliche Willkür unterbunden die in einem Faschismus münden kann. In Kiew sind Nationalisten und zum Teil auch Faschisten Teil der Regierung, in Russland und im Osten der Ukraine sind Nationalisten, Sozialisten, Kapitalisten, Konservative, Liberale, Demokraten und auch Autokraten vertreten. Im Westen der Ukraine wird die Stimme der Vernunft und des Pluralismus mehr und mehr erdrückt von Radikalen und Extremisten. Ähnliches kann man natürlich auch im Osten beobachten. Ich denke beide Seiten sind sich ähnlicher als ihnen lieb ist, mit dem Unterschied das beide unterschiedliche ethnische Zugehörigkeiten haben, es ist also ein Konflikt zwischen Nationalismen und einer zeitgenössischen Form des Tribalismus.
Es ist eindimensional und kurzsichtig die Schuld bei einer Seite zu suchen, in der Kausalität gibt es eben zu jeder Kraft eine Gegenkraft, in der Dialektik zu jeder These eine Gegenthese. Dialog würde bedeuten Kompromisse zu ermöglichen, einen Konsens zu bilden, Diplomatie zu betreiben und irgendwann vielleicht eine Synthese und Brücke zu finden. Ich sehe die Ukraine als eine mögliche Brücke des Föderalismus zwischen Europa, den USA und Russland. Dazu müssten die Leute in Kiew und auch dem Osten der Ukraine jedoch Bereitschaft zum Dialog zeigen, keiner darf den anderen ausschließen und aussperren vom "Runden Tisch". Sonst ändert sich nix und die Spirale der Gewalt wächst. Stichwort Syrien.
Putin ist und bleibt für mich eine Art Hassliebe, seine restriktive Politik gegenüber der LGBT Community ist für mich ein Dämpfer (ja ich weiß das es schlimmere auf der Welt gibt, doch diese sollten sich auch langsam mal dem gesellschaftlichen Fortschritt öffnen). Seine Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik jedoch mag ich, außerdem mag ich auch seine rationale und trockene Art. Putin braucht einfach eine Prise Empathie mehr und schon könnte ich mir vorstellen könnte er zu einer internationalen Vorbildsfigur der Geschichte werden. Er ist eben kein Duckmäuser wie eine Merkel, sondern jemand der auf den Tisch hauen kann, gleichzeitig dabei rational und sachverständig bleibt. Es ist eben ein verflixter Zwiespalt der es so schwer macht ihn einschätzen zu können. Am Anfang gab er sich weltoffen, dann wurde er bestimmter als er gemerkt hat das die Nato ihn verarscht hat, nun verfällt er zunehmend in einen Isolationismus und die Sanktionspolitik des Westens bestätigt noch diesen Kurs, daher sind in meinen Augen auch diese Sanktionen gegen ihn und das Land mehr als kontraproduktiv. Man sollte ihn einfach mehr Respekt zollen und auch mal auf seine Sicht der Dinge eingehen, zum Dialog gehören Kompromisse und das muss auf beiden Seiten erfolgen, wenn nicht, wird sich am momentanen Zustand nix ändern, es wird nur schlimmer...