Zukunftsvision: Kein EU-Beitritt der Türkei
23.05.2007 um 08:29
Hier nochmal:
"Die Türkei ist noch nicht reif für volleDemokratie"
Erdogans Politik steht nicht im Einklang mit dem säkularen Staat -Ex-General Edip Baser verteidigt Rolle des Militärs
von Boris Kalnoky
Dertürkische Premier Erdogan
DIE WELT: In Europa sagt man, die Türkei sei nichtdemokratisch, so lange der politische Einfluß des Militärs bestehen bleibt.
EdipBaser: Es ist umgekehrt. Von Anfang an basierte die republikanische Armee, gegründet vonMustafa Kemal Atatürk, auf dem Ideal der Demokratie. Sie war immer die Beschützerin dersäkularen Demokratie. Nur, ohne Sicherheit kann es gar keine funktionierende Regierungund auch keine Demokratie geben. Man braucht ein sicheres Umfeld und eine gewissepolitische, gesellschaftliche Infrastruktur. Leider sind die politische Elite, dieIntellektuellen und die Medien ihrer Verantwortung nie gerecht geworden, eine solcheInfrastruktur zu schaffen.
WELT: Es sind die Politiker, die versagt haben und bisheute versagen?
Baser: Ja. Deswegen mußte die Armee vier Mal intervenieren, 1960,1971/72, 1980 und 1997. Jedesmal waren die Demokratie und der säkulare Staat inGefahr.
WELT: Das klingt so, als sei die türkische Gesellschaft noch nicht volldemokratiefähig.
Baser: Die türkische Gesellschaft ist leider tatsächlich nochnicht reif genug. Denn Demokratie setzt Partizipation voraus, aber wann immer etwas inunserem Land falsch läuft, gibt es keine Reaktion aus dem Volk. Das ist aber nicht derFehler der Türken, sie sind bereit für Demokratie, es ist der Fehler der Politiker, diekeine partizipatorische Demokratie fördern. Zum Interessenausgleich braucht manfunktionierende gesellschaftliche Organisationen, die bei uns weithinfehlen.
WELT: Aus EU-Perspektive stellt sich da die Frage, ob man ein solches Landaufnehmen soll?
Baser: Die Türkei ist beitrittsfähig, aber die EU muß diebesonderen Umstände der Türkei erkennen und respektieren. Demokratie ist wie der Stoff,aus dem man Kleider macht, nicht das Kleid selbst. Es gibt verschiedene Modelle. Manfordert von uns Meinungsfreiheit, aber in Frankreich findet sie ein Ende, wenn jemandbehauptet, es habe keinen Genozid an den Armeniern gegeben. Ich respektiere das, aber manmuß auch uns respektieren. Das ist ein doppelter Standard den uns da manchezumuten.
WELT: Würde ein EU-Beitritt die Demokratisierung fördern?
Baser:Es könnte helfen. Aber es ist seltsam, man sagt uns die Verhandlungen werden 15 Jahredauern und dann vielleicht ergebnislos bleiben, aber was fordert man von uns alsAllererstes? Das Sicherheitssystem zu schwächen. Unsere Gesetze wurden schonumgeschrieben, etwa das Recht, Verdächtige vier Tage ohne Anklage festzuhalten. Aber wirkämpfen gegen Terror und Separatismus und haben den Nahen Osten vor der Haustür. Wirbrauchen Mittel, die etwa in Deutschland nicht nötig sind.
WELT: Heißt das, dieReformen sind schon zu weit gegangen?
Baser: Zum Teil, ja. Die Europäer forderneine Unterordnung des Generalstabs unter das Verteidigungsministerium. Bisher berichtetder Generalstab dem Ministerpräsidenten. Eine Verlagerung zum Verteidigungsministeriumgeht nicht. Wenn der Generalstab zu einer Art Berater des Verteidigungsministers wird,dann öffnet das einer Politisierung der Armee die Tür. Wenn die Zeit reif ist, werden wirsolche Änderungen selbst und ohne Druck von außen vornehmen, natürlich vor einer vollenEU-Mitgliedschaft.
WELT: Hat die EU vielleicht böse Absichten gegenüber derTürkei?
Baser: Viele Menschen hier glauben, daß die EU nur eine Türkei aufnehmenwird, die geteilt, geschwächt und verkleinert ist. Manchmal denke ich auchso.
WELT: Die Armee ist der Garant des säkularen Staates, aber nun regiert eineislamische Partei. Will die AKP die Türkei islamisieren?
Baser: Manche ihrerSchritte sind nicht in Einklang mit dem säkularen Staat, und das sorgt für Unruhe beimMilitär. Der Bildungsgrad der meisten AKP-Abgeordneten ist erschreckend. Und nur 25Prozent der Wähler haben tatsächlich für sie gestimmt. Jetzt versucht die AKP, alleSchlüsselposten in der Verwaltung und im Justizsystem zu besetzen. Gerade erst hatPräsident Sezer sein Veto gegen 460 solcher Ernennungen eingelegt. Aber sie respektierendas nicht. Die meisten Institutionen werden nun von amtierenden Chefs geleitet, die vonder AKP kommen, und für die keine präsidiale Zustimmung nötig ist.
WELT: Man sagt,Regierungschef Recep Tayyip Erdogan will sich dieses Jahr vom Parlament zum Präsidentenwählen lassen. Da würde es dann keine präsidialen Vetos mehr geben.
Baser: Wenn erPräsident wird, dann wird das Volk dagegen aufbegehren. Wenn die AKP klug ist, undaufrichtig in ihren Beteuerungen, dem Land zu dienen - ich möchte an die Aufrichtigkeitder Parteiführung glauben - dann sollte sie eine neutrale Persönlichkeit zum Präsidentenwählen lassen.
WELT: Wie gestalten sich die Beziehungen zu den USA?
Baser:Sie waren immer gut, wir hatten aber in den letzten Jahren leider viele Probleme.Zunächst einmal war da der Irak-Krieg und die unglückliche Weigerung unseres Parlamentes- wegen eines extremistischen Segments der AKP-Fraktion - den USA einen Aufmarsch überdie Türkei zu erlauben. Die USA haben da überreagiert, und verhafteten später im Nordirakein Dutzend unserer Männer, die seit Jahren dort mit den Peschmerga (kurdischeWiderstandskämpfer, d. Red.) den Kampf gegen die PKK zu koordinieren. Die Amerikanerhätten erkennen müssen, daß dies ein sehr ernster Schlag für unsere Beziehungen bedeutenmußte. (Anm. d. Red.: Dieser Zwischenfall ist Thema des neuen türkischen Erfolgsfilmes"Tal der Wölfe")
WELT: In Bezug auf Iran - wenn es da zum Konflikt kommt, wie wirdsich die Türkei verhalten? Kann es zu einem Konflikt zwischen AKP und Militärkommen?
Baser: Nein. Fest steht, daß Iran eine sehr ernste Bedrohung darstellt,und daß es schwer sein wird, der sehr fanatischen Führung von Ahmadi-Nedschaddiplomatisch beizukommen. Ich glaube aber, daß es am Ende gelingen kann. Auf keinen Falldarf Iran Atomwaffen entwickeln. Frau Merkel hat übrigens kürzlich MinisterpräsidentErdogan um Vermittlung gebeten, und er hat sich dazu bereit erklärt.
WELT: Siebefehligten jahrelang die 2. Armee in den Kurdengebieten. Wie muß eine Lösung derProbleme dort aussehen?
Baser: Es gibt kein Kurdenproblem. Es gibt einsozioökonomisches Problem, das aber nicht viel anders gelagert ist als in TeilenMittelanatoliens, und ein Terror- und Separatismusproblem, das von den Sicherheitskräftengelöst werden muß. Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt nicht die PKK. Man bräuchteeine Art Marschall-Plan für den Südosten, aber das setzt Sicherheit voraus.
WELT:Bräuchte man nicht auch kurdischsprachigen Unterricht?
Baser: Das geht nicht. Einezweite offizielle Landessprache einzuführen, wäre der Beginn der Teilung der Türkei.Jeder kann öffentlich kurdisch sprechen, es gibt jetzt Privatschulen für Kurdisch, abereine zweite offizielle Landessprache darf es nicht geben.
General a. D. Edip Baser(Foto)war eine der führenden Persönlichkeiten des türkischen Militärs. Er vertrat seinLand bei der Nato in Brüssel, kommandierte die 2. Armee im Kurdengebiet und wurde alsKommandeur der Bodentruppen und gar Generalstabschef gehandelt. Vor drei Jahren wurde ernach internen Machtkämpfen pensioniert. Mit ihm sprach Boris Kalnoky
Morgen lesenSie in der WELT die Gegenposition. Ex-Militärstaatsanwalt Ümit Kardas fordert: "Dastürkische Militär muß in die Kasernen zurückkehren"
Artikel erschienen am Do, 6.April 2006
http://www.welt.de/data/2006/04/06/870269.html
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