shionoro schrieb:Damit tun wir ja so, als würde das etwas mit der Migrationsidentität zu tun haben, wenn es ggf. viel mehr sinn macht, das ganze als Armutsproblem aufzufassen.
Wenn es aus der Migrationsbiografie (genauer: Sozialisierung/Erfahrung/Prägung) eindeutig bis "relativ wahrscheinlich" ableitbar ist und nichts anderes klar dagegen spricht, dann kann/muss man darüber auch ruhig diskutieren.
Kommt halt immer auf den Einzelfall und die bekannten wie auch ableitbaren Informationen an.
Allgemeiner: Eine Straftat die von Personen mit (gewisser?) Migrationsbiografie getätigt wird, muss nicht zwingend etwas mit der individuellen Migrationsbiografie und Prägung zu tun haben. Sie kann es aber. Da machts als plakatives Beispiel wenig Sinn, etwa ein "Armutsproblem" aufgreifen zu wollen wenn jemand aufgrund eines patriarchalen Bildes eine Sexualstraftat oder schwere Belästigung getätigt hat...
... und dann noch im Sinne des Themas ein Migrationshintergrund vorhanden ist und die Prägung einer anderen Ursprungsgesellschaft geschuldet ist, weil sie dort im Vergleich eher/überdurchschnittlich vorkommen könnte. Dabei muss dieses Bild das dort vorherrschen könnte nicht zwingend auch dort diese Straftaten begünstigen oder auf jeden anwendbar sein - es kann aber hier situativ entstehen, wenn eine Person sich dann mit anderer Prägung in ganz anderen Breitengraden bewegt und da andere Dinge vorfindet.
Ist das sehr kompliziert geschrieben? Ja. Daher ein plakatives Beispiel: Es kann Personen aus anderen Breitengraden geben die z.B. mit der hiesigen Kultur was Kleidungsstil/Freizügigkeit wie auch Gestiken usw. in vielen gesellschaftlichen Bereichen total überfordert wären, weil sie aus einer konservativ-patriarchalen-religiösen Gesellschaft(sschicht) kommen. Wo gewisse Dinge, die hier z.B. normal sind komplett fremd erscheinen oder 'Missverständnisse' hervorrufen. Das betrifft natürlich auch nicht alle, aber in manchen Konstellationen - einer großen Verkettung an Ereignissen und je nach Menschentyp und Vorprägung - kommt das eine dann halt zum anderen.
Ich arbeite schon in einer eher konservativen Branche aber was meine Chefin oder andere (weibl.) Personen teils an Kleidung anzieht, könnte jemanden der ein ganz anderes Gesellschaftsbild kennt vermutlich 'sehr irritieren' oder komplett den Kopf abschalten. Ich rede hier auch nicht von einem Ingenieur, Arzt oder Politiker oder unabhängig vom Job wem, der sich allgemein auch woanders zu benehmen weiß. Sondern von anderen Personen. Zugleich kann ein ganz anderes Gesellschaftsbild eben bei manchen Taten begünstigen.
Als Bekräftigung, dass aus meiner Sicht was dran ist:
Spagat zwischen religiösen Regeln und Freiheit
Nancy Damm betreut als Mitarbeiterin des Jugendamts des Burgenlandkreises etwa 40 junge Geflüchtete. Sie spricht mit ihren Klienten auch über Sex. Jugendliche Flüchtlinge müssten den Spagat schaffen zwischen der Vorstellung "Hier darf ich alles" und "Meine Religion verbietet das", erzählt sie. Manche hätten deshalb gar keinen Sex. Andere wiederum fragten, wo in Deutschland überhaupt die Grenzen seien – da vermeintlich alles erlaubt sei.
Manche würden beispielsweise glauben, dass sie die Frauen, die in ihren Augen leicht bekleidet durch die Straßen laufen, einfach haben könnten, sagt Damm. Sie beginnt dann damit, die Männer über die Rechtslage in Deutschland aufzuklären. Wie viel dieser Ansatz bringe, sei jedoch schwer messbar. Bei manchen gebe es Situationen, wo man merke, dass ein Umdenken stattgefunden habe, sagt sie. "Das wusste ich nicht, das mache ich jetzt anders, ich will keinen Ärger haben, ich möchte mich hier anpassen", sagen laut Damm viele. Es werde aber auch Personen geben, wo die Erklärung abpralle.
Geflüchtete Männer würden über die Rolle der Frau in Deutschland aufgeklärt, sagt auch die Integrationspädagogin des Burgenlandkreises, Zeliha Civrilli. Sie erklärt, dass die jungen Männer lernen würden, bei Annäherungsversuchen auf die Körpersprache der Frauen zu achten, ein "Nein" zu akzeptieren und dann rücksichtsvoll auf Abstand zu gehen. Das sei allerdings ein Lernprozess.
Eltern haben Angst vor Sexualkundeunterricht der Kinder
Typische Probleme bei der sexuellen Bildung Geflüchteter seien oft ganz banal, sagt Civrilli. Beispielsweise ließen die Eltern ihre Kinder nicht zum Sexualkundeunterricht – aus Angst vor dem Unbekannten. So gebe es etwa die Vorstellung, dass sich die Kinder im Unterricht ausziehen müssten.
Ein zentrales Thema sei zudem die Verhütung. Verhütung sei im muslimischen Glauben nicht gewollt, sagt Civrilli. Aber zur heutigen Zeit gehöre es dazu. Auch dabei komme die Angst vor dem Fremden ins Spiel, sagt sie. Diese Ängste sollen durch die Bildung der Flüchtlinge abgebaut werden.
https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/halle/burgenland/broschuere-sexualkunde-fuer-gefluechtete-100.html (Archiv-Version vom 20.04.2021)Wäre nichts dran, müsse man die entsprechende Aufklärung nicht anbieten/leisten. Ich sehe in diesen Fragen auch dahingehend eben Problempotentiale die manche Taten begünstigen können und die man als relativ "migrationsspezifisches Phänomen" bezeichnen könnte, was gewisse Delikte oder Problemfelder (auch mal unabhängig vom strafrechtlichen Aspekt) angeht.
Ich muss mich also am Ende nicht wundern, wenn einzelne Personen aufgrund einer ganz anderen Prägung und dann fehlender Integration/Anpassung an hiesige Verhältnisse dann gewisse Straftaten begehen, die man auch der Migrationsbiografie zuschreiben kann. Das ist dann nicht immer die allgemeine Armut oder sonst was, was jeden (auch nicht-Ausländer bzw. hier Sozialisierte) zu Straftaten treiben könnte.
Gleichwohl muss ich mich fragen, wie man den empfundenen / messbaren Problemen begegnen kann. Erst mal stelle ich persönlich das oben genannte als mögliches Problem fest. Und Lösungsansätze? Siehe Artikel/Zitat oben: Ein Lösungsansatz im präventiven Sinne ist die Aufklärung als Teil des Integrationsprozesses. Das steht ja auch im Zitat, das merken Leute und die passen sich dann an.
Reaktive Lösungen - wo das Kind in den Brunnen gefallen ist - wurden hier auch schon zu Genüge besprochen, muss ich nicht wiederholen.