Leugnung des Holocaust - Das Schweigen, eine Lüge derer, die die Wahrheit kennen - Von John Pilger, 16.01.2009 22:04
»Wenn die Wahrheit durch Schweigen ersetzt wird«, sagt der sowjetische Dissident Yevgeny Yetuvshenko, »ist das Schweigen eine Lüge.« Es scheint, also ob das Schweigen über Gaza hereingebrochen sei. Die Hüllen ermordeter, in Grün eingewickelter Kinder, zusammen mit Kisten, die ihre verstümmelten Eltern enthalten und die Schreie aus Kummer und Wut jedes Einzelnen dieses Todeslagers am Meer, kann man auf Al Jazeera und You Tube sehen, kurz auch auf BBC eingeblendet.
Aber Rußlands unverbesserlicher Poet bezog sich nicht auf den Begriff »ephemeral«, also auf das Kurzlebige, wie wir die Nachrichten nennen. Er stellte die Frage, warum diejenigen, die das Warum kennen, es nie aussprechen und es so verleugnen. Unter den anglo-amerikanischen Intellektuellen ist dies besonders auffällig. Sie sind es, die die Schlüssel zu den großen Hallen des Wisssens in den Händen halten: Historiografien und Archive, die uns zu dem Warum führen. Sie wissen, daß der Horror, der jetzt auf Gaza herabregnet, nichts mit der Hamas oder dem »Existenzrecht Israels« zu tun hat. Sie wissen, daß das Gegenteil die Wahrheit ist: Das Existenzrecht der Palästinenser wurde vor 61 Jahre aufgehoben. Die Gründer Israels haben die Vertreibung und, sofern notwendig, auch die Vernichtung der einheimischen Bevölkerung geplant und sogar durchgeführt. Sie wissen zum Beispiel, daß der infame »Plan D« in der barbarischen Entvölkerung nach (Ilan Pappe) von über 400 palästinensischen Städten und Dörfern durch die Haganah (jüdische Armee) endete und ein Massaker nach dem anderen an der palästinensischen Bevölkerung verübt wurde, in Orten wie Deir Yassin, al-Dawayima, Eilaboun, Jish, Ramle und Lydda, in offiziellen Berichten als »Ethnische Säuberung« bezeichnet. Als David Ben Gurion, Israels erster Premierminister, zu einer dieser Blutbadszenarien kam, wurde er von General Yigal Allon gefragt: »Was sollen wir mit den Arabern machen?« Wie der israelische Historiker Benny Morris berichtete, machte Ben Gurion eine wegwerfende energische Geste mit der Hand und sagte: »Vertreibt sie!« Der Befehl, eine gesamte Bevölkerung zu vertreiben, »ohne Rücksicht auf das Alter«, wurde von Yitzak Rabin unterzeichnet, ein zukünftiger Premierminister, der aufgrund der effizientesten Propaganda in der Welt zum Friedensmacher befördert wurde. Die schreckliche Ironie hiervon wurde zwischen Tür und Angel angesprochen, als der Co-Führer der Mapan Partei, Meir Ya'ari bemerkte, »wie leicht« Israels Führer darüber sprachen, daß es »möglich und erlaubt sei, Frauen, Kinder und alte Männer zu nehmen und die Straßen mit ihnen zu füllen, weil die Strategie dies zwingend erforderlich macht.... Wer erinnert sich daran, wer diese Mittel während des Zweiten Weltkrieges gegen unser Volk einsetzte... Wir sind entsetzt....«
Jeder nachfolgende »Krieg«, den Israel geführt hat, hatte dasselbe Ziel: die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung und die Aneignung von immer mehr Land. Die Lüge von David und Goliath, die Lüge des ständigen Opfers, erreichte ihren Höhepunkt 1967, als die Propaganda zu einer selbstgerechten Wut wurde, die behauptete, daß die Araber zuerst angegriffen haben. Seit dieser Zeit haben Menschen, die die Wahrheit sagen, wie Avi Schlaim, Noam Chomsky, Tanja Reinhart, Neve Gordon, Tom Segev, Uri Avnery, Ilan Pappe und Norman Finkelstein diese und andere Mythen widerlegt und einen Staat enthüllt, der die humanen Traditionen des Judentums abgestreift hat, dessen unbeugsamer Militarismus die Summe einer expansionistischen, gesetzeswidrigen und rassistischen, Zionismus genannte Ideologie, ist. »Es scheint«, schrieb der israelische Historiker Ilan Pappe am 2. Januar, »daß sogar die abscheulichsten Verbrechen, wie der Genozid in Gaza, als ein Akt der Verzweiflung behandelt werden, die mit keinen Geschehnissen der Vergangenheit - geschweige denn mit irgendeiner Ideologie oder irgendeinem System in Verbindung stehen..... Genauso wie die Apartheid-Ideologie die Unterdrückungspolitik der südafrikanischen Regierung erklärte, hat diese Ideologie - in ihrer simpelsten Varietät - allen israelischen Regierungen in der Vergangenheit und in der Gegenwart erlaubt, die Palästinenser zu entmenschlichen, wo immer sie sind, und zu bekämpfen, um sie zu zerstören. Die Mittel dazu änderten sich von Zeit zu Zeit, von Ort zu Ort, genau wie die Schilderungen dieser Abscheulichkeiten. Aber es ist ein klares Muster (des Genozids).«
Die erzwungene Absperrung, die Verweigerung humanitärer Hilfe, der Raub der lebensspendenden Ressourcen wie Benzin und Wasser, die Verweigerung von Medizin und Behandlung, die systematische Zerstörung der Infrastruktur und das Töten sowie die Verstümmelung der Zivilbevölkerung (50 % davon Kinder) in Gaza, verstoßen gegen die Genfer Konvention. »Ist es eine unverantwortliche Übertreibung«, sagte Richard Falk, der Sonderbeauftragte für Menschenrechte in den besetzten Palästinensergebieten und Autorität des internationalen Rechts an der Princeton Universität, »die Behandlung der Palästinenser mit diesem verbrecherischem Nazi-Bericht der Kollektivbestrafung in Verbindung zu bringen? Ich denke, nicht.« Indem Falk diese Situation als »Holocaust im Werden« (schleichender Völkermord) beschrieb, spielte er auf die Errichtung der Ghettos durch die Nazis in Polen an. Einen Monat lang, im Jahr 1943, hatten die gefangenen polnischen Juden unter Führung von Mordechaj Anielewiz die deutsche Armee und die SS bekämpft, aber letztlich wurde ihr Widerstand niedergeschlagen und die Nazis erzwangen ihre letzte Rache. Auch Falk ist Jude. Der »Holocaust im Werden« von heute, der mit Ben Gurions Plan »Dalet« begann, befindet sich in seinem Endstadium. Der Unterschied ist, daß es heutzutage ein gemeinsames Projekt der USA und Israels ist.
Die F-16-Kampfpiloten, die 250 Pfund »intelligenten GBU-39 Bomben, die am Angriffsabend auf Gaza geliefert wurden, waren von einem von der Demokratischen Partei dominierten Kongreß genehmigt worden, außerdem die $ 2,4 Milliarden als jährliche »Kriegs-Hilfe«, was Washington eine de facto-Kontrolle verschaffte. Seine Befürworter glauben, daß der gewählte Präsident Obama nicht informiert war. Da er im Hinblick auf Rußlands Krieg in Georgien und dem Terrorismus in Mumbai kein Blatt vor den Mund nahm, markiert Obamas Schweigen zu Palästina seine Billigung. Diese wird angesichts seiner Unterwürfigkeit gegenüber dem Tel Aviv-Regime und dessen Lobbyisten während der Präsidentenkampagne sowie seiner Ernennungen von Zionisten als Staatssekretär, Militärführer und Nah-Ost-Chefberater, von ihm erwartet. Wenn Aretha Franklin bei Obamas Amtseinführung am 21. Januar 09 ihre wundervolle Hymne an die Freiheit (von 1960) singt, vertraue ich darauf, daß jemand mit einem tapferen Herzen, wie Muntadar-al-Zaidi, dem Schuh-Werfer, laut »Gaza!« rufen wird.
Die Asymmetrie der Eroberung und des Terrors ist klar. »Plan D« ist jetzt »Operation Cast Lead«, »Gegossenes Blei«, die die unvollendete »Operation Justified Vengeance«, »Operation gerechte Rache« ist. Letztere wurde vom Premierminister Ariel Sharon im Jahr 2001 gestartet, als, er mit Bushs Genehmigung zum ersten Mal F-16-Kampfflugzeuge gegen palästinensische Städte und Dörfer einsetzte. Im selben Jahr enthüllte der zuverlässige »Jane's Foreign Report«, daß die Blair-Regierung Israel für den Angriff auf die Westbank grünes Licht erteilt hatte. Danach wurden Israels geheime Anzeichen für ein Blutbad gezeigt. Typisch war die anhaltende duckmäuserische Komplizenschaft der neuen Labour-Partei hinsichtlich der Agonie Palästinas. Dennoch zeigte Jane' s Bericht, daß »der Plan Israels von 2001, den »Trigger«, den Auslöser eines Selbstmordattentates nötig hatte, was zahlreiche Tote und Verletzte verursachen würde, weil der Faktor der Rache ausschlaggebend ist.« Dies würde israelische Soldaten dazu motivieren, die Palästinenser zu vertilgen. Was Sharon und den Autor des Plans, General Shaul Mofaz, den Chef der israelischen Armee, alarmierte, war ein geheimes Abkommen zwischen Yasser Arafat und der Hamas, das Selbstmordattentate verbot. Am 23. November 2001 ermordeten israelische Geheimagenten den Hamas Führer, Mahmud Abu Hunud und bekamen dadurch ihren »Trigger«, denn die Selbstmordattentate wurden als Antwort auf die Ermordung wieder aufgenommen. Unheimlich Ähnliches geschah am 5. November 2008, als Israels Spezialarmee Gaza angriff und 6 Menschen tötete. Wieder einmal erhielt sie ihren Propaganda-»Trigger«. Ein Waffenstillstand, der von der Hamas-Regierung initiiert und eingehalten wurde - sie hatten diejenigen die ihn brachen, sogar gefangen genommen - wurde durch den Angriff Israels zerschlagen und selbstgemachte Raketen wurden auf das, was einmal Palästina war, bevor es von seinen arabischen Besatzern »gesäubert« wurde, abgefeuert. Am 23. Dezember 08 bot Hamas an, den Waffenstillstand zu erneuern, aber Israels Charade war, daß ein Totalangriff auf Gaza bereits vor sechs Monaten geplant war - dies laut der israelischen Tageszeitung Ha'aretz.
Hinter diesem gemeinen Spiel steht der »Dagan-Plan«, nach General Meir Dagan benannt, der mit Sharon bei der blutigen Invasion des Libanons im Jahre 1982 eingesetzt war. Heutzutage ist Dagan als Chef des Mossads, des israelischen Geheimdienstes, der Autor einer »Lösung«, die vorsieht, die Palästinenser hinter einer Ghettowand, die sich durch die Westbank und Gaza schlängelt, gefangen zu halten, gewissermaßen ein Konzentrationslager. Die Schaffung einer Quisling-Regierung in Ramallah unter Mahmoud Abbas ist Dagans Verdienst, zusammen mit einer »hasbara« (Propagandakampagne), die meist ohnmächtige, eingeschüchterte westliche Medien weiterleiten, besonders in Amerika. Sie sagen, Hamas sei eine Terrororganisation, die sich der Zerstörung Israels gewidmet habe und für die Massaker und die Besetzung ihres eigenen Volkes seit über zwei Generationen verantwortlich ist, also bereits lange vor ihrer Gründung. »Wir hatten es noch nie so einfach« sagte Gideon Meir, der israelische Sprecher des Außenministeriums 2006. Die »hasbara«-Maßnahmen sind wie eine gutgeölte Maschine.« In Wirklichkeit ist die Bedrohung das Beispiel, das von der Hamas ausgeht, da sie die einzige demokratisch gewählte Regierung in der arabischen Welt ist und ihre Popularität durch den Widerstand gegen die Besatzer der Palästinenser erlangt hat. Dies wurde demonstriert, als Hamas einen CIA-Coup im Jahre 2007 vereitelte, ein Ereignis, daß in den westlichen Medien als "Hamas Machtergreifung" ordiniert wurde. Ähnlich wird die Hamas nie als »Regierung« bezeichnet, schon gar nicht als eine demokratische. Ebenso wurde ihr Vorschlag für einen 10-jährigen Waffenstillstand nicht als historische Anerkennung der »Realität« Israels und Unterstützung der Zweistaatenlösung anerkannt. Ihre einzige Bedingung war: daß Israel das internationale Recht anerkennt und die illegale Besetzung jenseits der Grenze von 1967. Wie jede jährliche Abstimmung in der UNO-Generalversammlung demonstriert, stimmen 99 % der Menschheit zu. Am 4. Januar 2009 beschrieb der Präsident der Generalversammlung, Miguel d' Escoto, den israelischen Angriff auf Gaza als eine »Monstrosität«.
Wenn die Monstrosität getan ist und das Volk von Gaza sogar noch mehr angeschlagen ist, vollendet der »Dagan-Plan« das, was Sharon eine »1948 Stil-Lösung« nannte: die Zerstörung jeglicher palästinensischer Führung und Autorität, von Massenvertreibungen der Menschen in immer kleiner werdende »Kantone« gefolgt, schließlich sogar bis nach Jordanien. Diese Demolierung eines institutionellen und bildungserzieherischen Lebens in Gaza, schrieb Karma Nabulsi, eine Palästinenserin, die im Exil in England lebt, soll »eine Hobbesche-Vision einer Anarchie-Gesellschaft produzieren: abgestumpft, gewalttätig, machtlos, zerstört, eingeschüchtert....... Sehen Sie sich den Irak von heute an: das ist es, was Sharon mit uns vorhatte, beinahe hätte er es erreicht.« Dr. Dahlia Wasfi ist eine amerikanische Schriftstellerin, die über Palästina schreibt. Sie hat eine jüdische Mutter und einen moslemischen Vater aus dem Irak. »Den Holocaust zu verleugnen ist Antisemitismus«, schrieb sie am 31. Dezember.« Ich spreche jedoch nicht über den Zweiten Weltkrieg, über Mahmoud Ahmadinejad (Präsident des Irans) oder askenasische Juden. Worauf ich mich beziehe, ist der heutige Holocaust in Gaza und in Palästina während der letzten 60 Jahre..., dessen Zeugen wir alle sind und für den wir verantwortlich sind. Da Araber Semiten sind, bekam die US-Politik nicht noch mehr Antisemiten.« Dr. Dahlia Wasfi zitierte Rachel Corrie, die junge Amerikanerin, die nach Palästina ging, um die Palästinenser zu verteidigen und die von einem israelischen Bulldozer zermalmt wurde. »Ich bin inmitten eines Genozids«, schrieb Corrie, »den ich auch noch indirekt unterstütze und für den meine Regierung weitgehendst verantwortlich ist.« Wenn ich die Worte beider lese, bin ich von dem Gebrauch (des Wortes) »Verantwortlichkeit« berührt. Die Lüge des Schweigens zu brechen, ist keine esoterische Abstraktion, sondern eine wichtige Verantwortung, die denen zukommt, die das Privileg einer Plattform haben. Mit der eingeschüchterten BBC fürchtet auch der Journalismus, der lediglich eine heftige Debatte in unbeweglichen, unsichtbaren Grenzen zuläßt, den Vorwurf des Antisemitismus. Die Nachrichten, die nicht ausgestrahlt werden, besagen, daß die Todesrate in Gaza äquivalent zu den 18.000 Toten in England ist. Können Sie sich das vorstellen?
Dann gibt es da noch die Akademiker, die Dekane, Lehrer und Forscher. Warum schweigen sie zu der Bombardierung einer Universität und zu dem Hilfe-Appell der Association of University Teachers (Verband der Universitätsdozenten)? Sind die britischen Universitäten von heute, nach Meinung von Terry Eagleton, nicht mehr als »intellektuelle Tescos (Supermarktketten), die ein Gut, das als akademisch bekannt ist, lieber als Gemüseladen vertreiben?« Denn dort sind die Schriftsteller. In dem düsteren Jahr 1939 fand der 3. Schriftsteller-Kongreß in der Carnegie Hall in New York statt und Menschen wie Thomas Mann und Albert Einstein sandten Botschaften und äußerten sich, um sicherzustellen, daß die Lüge des Schweigens gebrochen wurde. Mit einem Schlag umringten 3.500 das Auditorium und Tausend wurden abgehalten. Heutzutage heißt es, daß die Stimme des Realismus und der Moral obsolet ist; die Literatur bewertet Seiten, die einen ironischen Hochmut an Irrelevanz bewirken; falscher Symbolismus ist alles. Was die Leser angeht, so ist ihre moralische und politische Vorstellung zu beruhigen, nicht anzuregen. Martin Amis, der gegen die Muslime ist, drückt das gut in »Visiting Mrs Nabokov« aus: »Die Dominierung desselben ist kein Fehler, es ist eine evolutionäre Charakteristik; es ist nur so, wie die Dinge sind.« Wenn die Dinge so sind, werden wir als zivilisierte Gesellschaft schwinden.
Was sich heute in Gaza abspielt, ist die Definition unserer Zeit, die Kriegsverbrechern entweder Straffreiheit aufgrund unseres Schweigens gewährt, während wir den eigenen Intellekt und die eigene Moral verdrehen, oder die uns die Macht gibt, uns zu äußern. Im Augenblick bevorzuge ich meine eigene Erinnerung an Gaza: an den Mut und den Widerstand dieser Bevölkerung und ihre »strahlende Menschlichkeit«, wie Karma Nabulsi es formuliert. Auf meiner letzten Fahrt dorthin wurde ich mit einem Spektakel belohnt: Palästinensische Flaggen flatterten auf unwahrscheinlichen Plätzen. Es war dunkel und Kinder hatten dies getan. Niemand hatte ihnen gesagt, daß sie das tun sollten. Sie machten Fahnenstangen aus zusammengebundenen Stöcken. Einige von ihnen kletterten auf eine Mauer und hielten die Flagge zwischen sich, einige schweigend, andere schrien laut. Sie tun dies jeden Tag, wenn sie hören, daß Ausländer abreisen, weil sie glauben, daß die Welt sie nicht vergessen wird.
http://politonline.ch/?content=news&newsid=1120