Afghanistan, die Luft wird dicker

Kreuzbergerin schrieb:Die blamable Fehleinschätzung ist wohl tatsächlich hauptsächlich dem BND zuzuschreiben.

Hinterher leicht zu sagen

Allerdings beschneiden wir ja unseren Geheimdienst auch. Da will man ja auch sauber bleiben.

Frag mich wieviel Ressourcen dafür wohl zur Verfügung standen

Gut nachdem die provinzstadte fielen hätte man misstrauisch werden können ob denn dort überhaupt Widerstand geleistet wird.
Überrascht hat das Tempo alle

Fedaykin schrieb:Sollte hätte könnte. Die Frage ist doch woher man das wissen soll? Hat man Leute vor Ort, was hat man an Aufklärung... Was wissen andere Dienste.

Wenn ich mich auf mein Wissen aus diversen Dokus, Interviews berufe, dann arbeitet(e) der BND in Afghanistan mit HUMINT, sprich Quellen, angeworbene Leute, etc. Somit sollte der BND, wie andere Geheimdienste auch, entsprechend Aufklärung haben - ansonsten wäre er obsolet. Was andere Dienste wissen, wissen wir nicht, auch nicht, ob sie mit unserem Nachrichtendienst zusammengearbeitet haben. Im Worst Case geht man einfach von "Nein" aus.

Kreuzbergerin schrieb:Die blamable Fehleinschätzung ist wohl tatsächlich hauptsächlich dem BND zuzuschreiben.

Kann mir aber durchaus vorstellen, dass sofern die Einschätzung des BND richtig läge, man nicht auf ihn gehört hätte. Wenn ich mich nicht irre, war das schon mal der Fall. Kann ich aber bei Zeit mal suchen.

Carbine schrieb:Wenn ich mich auf mein Wissen aus diversen Dokus, Interviews berufe, dann arbeitet(e) der BND in Afghanistan mit HUMINT, sprich Quellen, angeworbene Leute, etc. Somit sollte der BND, wie andere Geheimdienste auch, entsprechend Aufklärung haben - ansonsten wäre er obsolet. Was andere Dienste wissen, wissen wir nicht, auch nicht, ob sie mit unserem Nachrichtendienst zusammengearbeitet haben. Im Worst Case geht man einfach von "Nein" aus.

Humint ist so eine Sache. Wenn du zb keinem im inner circle hast Weißt du nicht was der Präsident macht. Kabuls fall hing an Einzelpersonen.

Aber ja der BND könnte was dazulernen. Waren früher fitter.

Fedaykin schrieb:Aber ja der BND könnte was dazulernen. Waren früher fitter.

Man wird sich vermutlich auf die Infos verlassen haben, die die Amis durchgereicht haben, die sind ja auch erst von ~90 Tagen bis Kabul ausgegangen.

bgeoweh schrieb:Man wird sich vermutlich auf die Infos verlassen haben, die die Amis durchgereicht haben, die sind ja auch erst von ~90 Tagen bis Kabul ausgegangen.

In der Hinsicht sind alle wohl ähnlich optimistisch.

Tja das Problem wenn man Aktivitäten eben nicht so schön 2 mal am Tag mit Satelliten auswerten kann. In konventionellen Operation leichter

Hier beschreibt der BND himself wie das täglich Brot so in Afghanistan war (genannt "Force Protection"), falls es jemanden interessiert. Sogar mit Taliban-Beispiel:

https://www.bnd.bund.de/DE/Die_Themen/Stories/Force_Protection/Force_Protection_node.html (Archiv-Version vom 15.08.2021)

Fedaykin schrieb:Tja das Problem wenn man Aktivitäten eben nicht so schön 2 mal am Tag mit Satelliten auswerten kann. In konventionellen Operation leichter

Ja, klar, der Taliban zieht ja nicht schweres Gerät zusammen und Logistiktrupps usw., seine Vorbereitungen wirst du kaum vom normalen Geschäfts- und Reiseverkehr unterscheiden können. Die sind ja auch 20 Jahre drauf trainiert, alles zu vermeiden was die Aufmerksamkeit von Drohnen und Satelliten erregen könnte.

Kreuzbergerin schrieb:Die blamable Fehleinschätzung ist wohl tatsächlich hauptsächlich dem BND zuzuschreiben.

Nein, auch den amerkanischen Geheimdiensten. Und die USA sind nun mal federführend in Afghanistan tätig gewesen.

Die "Washington Post" berichtete unter Berufung auf nicht genannte Quellen in den US-Geheimdiensten, dass die Hauptstadt Kabul viel früher in die Hände der Aufständischen fallen könnte als bisher angenommen. Der Zusammenbruch könnte in 30 bis 90 Tagen erfolgen, heißt es.

Quelle: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afghanistan-taliban-usa-abzug-truppen-100.html (Archiv-Version vom 20.08.2021)

30- 90 Tage.

bgeoweh schrieb:Die sind ja auch 20 Jahre drauf trainiert, alles zu vermeiden was die Aufmerksamkeit von Drohnen und Satelliten erregen könnte.

Deswegen ist es auch wichtig für einen Nachrichtendienst, sich nicht nur auf SIGINT zu verlassen. Da stellt sich mir die Frage, wie aufmerksam man noch aufgeklärt hat.
Ich bilde mir jedenfalls ein, dass man diese Fehleinschätzung weniger grob hätte ausfallen lassen...

Blaubeeren schrieb:Nein, auch den amerkanischen Geheimdiensten.

Für die desaströse Fehleinschätzung ab dem 12.08. und den nachfolgenden Tagen scheint der BND verantwortlich zu sein.

Denn die Briten beispielsweise haben schon am 13.08. angefangen ihre Botschaft zu räumen, während der BND noch am Sonntag nicht von einer Einnahme Kabuls durch die Taliban ausging.

Kreuzbergerin schrieb:In der Briten-Vertretung packen die Diplomaten da schon ihre Koffer.

Kreuzbergerin schrieb:Sonntag, 15. August
Aus Geheimdienstkreisen der Regierung erfährt BILD: Kabul könne „noch tagelang“ gehalten werden – Stunden später posieren bärtige Männer im Präsidentenpalast. Kabul in Taliban-Hand!

Carbine schrieb:Vor kurzem hat ein User hier gemeint, der BND "wüsste schon vor Monaten was bevorsteht". Dem war und ist anscheinend nicht so:

deinen Beitrag nehme ich nur als Aufhänger, weil ich nicht jeden user zitieren will

egal wer was wusste/nicht wusste.
Ich habe das GEfühl, in D leiden viele Entscheidungsträger und Politiker daran, den IST-Zustand nicht auber zu benennen sondern sich mehr einem erhofften/erwünschten/erstrebenswerten SOLLZustand hinzugeben.

Meiner Meinung nach gilt das in allen gesellschaftl Bereichen, daher fällt für viele die tatsächliche Konfrontation mit der Realität dann manchmal so erschütternd aus.

Ich kann mir zu Afghanistan kein Urteil erlauben, sehe aber seit Trumps Verhandlungsabsichten , dass die Taliban nicht mehr nur als Terrortruppe bewertet wurden, sondern ihre Stellung als politische Macht im Land mit einem durchaus gegebenen Rückhalt in der Bevölkerung de facto akzeptiert wurden -- eben auch als potentielle Vertrags (Friedensvertrag) und Verhandlungspartner.

Wenn die Weltpolitik aber schon bereit ist, die Taliban als Vertragspartner zu akzeptieren, warum wundert man sich dann, wenn sie sich selber in diese Stellung bringen (Einnahme der Hauptstadt und des Regierungssitzes)?

Allenfalls die Geschwindigkeit könnte noch überraschen, wobei ich den amerikanischen Truppenabzug weder als überhastet noch als "vorzeitig" erachte.
wir reden ja dann maximal von 11 Tagen (Ende August oder 11. September)

ich hoffe einfach nur für die Bevölkerung Afghanistans, dass ein halbwegs stabiler Friede und keine Terrorherrschaft auf sie wartet.
Für die Frauen und Mädchen muss es Bildungs-und Berufsmöglichkeiten geben.

Dass die Taliban mit der Sharia ernst machen und mit ihrem Emirat, daran habe ich keinen Zweifel. Hoffen wir, dass Steinigungen, Abtrennen von Gliedmaßen und dergleichen Steinzeitrecht dennoch der Vergangenheit angehören und die Menschen, gerade auf dem Land, sowas auch nicht mehr wollen/hinnehmen

Kreuzbergerin schrieb:Denn die Briten beispielsweise haben schon am 13.08. angefangen ihre Botschaft zu räumen, während der BND noch am Sonntag nicht von einer Einnahme Kabuls durch die Taliban ausging.

Die Japaner haben im Juni angefangen.

bgeoweh schrieb:Die Japaner haben im Juni angefangen.

"Angefangen" mag sein.
Aber letztlich haben auch die Japaner die gesamte Evakuierung erst am 15.8.21 angeordnet.

Japan kündigte am Sonntag an, das gesamte Personal seiner Botschaft in der afghanischen Hauptstadt Kabul zu evakuieren, nachdem die Taliban die Stadt eingenommen haben.

@Kreuzbergerin
Am Fr. Den 13.8.21 wurde die vollständige Evakuierung der dt. Botschaft geplant.
Mag sein, dass das eine oder andere Land orgNisatorisch eins / zwei Tage schneller agieren konnte. Letztendlich macht es den Kohl auch nicht fett.

Bundesregierung reduziert Botschaftspersonal in Kabul massiv

Quelle: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afghanistan-bundesregierung-plant-evakuierung-der-botschaft-in-kabul-a-4da14dfe-c5b8-48d1-afd0-30b22dbd23aa

Letztendlich wird sich die internationale Gemeinschaft den vielen Fragen stellen müssen, wie es zu der desaströsen Fehleinschätzung der Besetzungsgeschwindigkeit der Taliban kommen konnte.

Sorry, aber 30- 50 Tage Prognose bei Einmarsch der Taliban innerhalb des nächsten Tages wäre schon grob fahrlässig.

Blaubeeren schrieb:Aber letztlich haben auch die Japaner die gesamte Evakuierung erst am 15.8.21 angeordnet.

Der Botschaft, ja. Privatleute wurden schon Ende Juni zur sofortigen Evakuierung aufgerufen:

Aktualisiert  am 25. Juni 2021

Gefahrenstufenpunkt
[Gefahr]

● Hauptstadt Kabul

Level 4: Bitte evakuieren. Bitte hör auf zu reisen. (Evakuierungshinweis) (Wenn Sie aufgrund wirklich unvermeidbarer Umstände keine andere Wahl haben, als im Feld zu bleiben, ergreifen Sie bitte als Organisation die notwendigen und ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen durch Regierungsbehörden, angeschlossene Organisationen usw.) (Fortsetzung)

● In ganz Afghanistan ( Ohne die Hauptstadt Kabul)

Ebene 4: Bitte evakuieren. Bitte hör auf zu reisen. (Evakuierungshinweis) (Fortsetzung)

● In Afghanistan kommt es häufig zu Terrorismus und Angriffen durch bewaffnete Rebellengruppen wie die Taliban, und viele Zivilisten und Ausländer sind in eine Reihe von Vorfällen verwickelt. Im April 2021 kündigten die USA an, die in Afghanistan stationierten US-Truppen bis zum 11. Mit dem Abzug stationierter US-Truppen und multinationaler Truppen sind die Lageaussichten im Wandel und die zukünftige Sicherheitslage völlig unberechenbar. Neben den Taliban wurden auch Aktivitäten von Terrororganisationen wie dem “Islamischen Staat Irak und der Levante (ISIL) Provinz Khorasan” bestätigt, und es ist weiterhin Vorsicht geboten. Bitte sehen Sie daher von Reisen zu jedwedem Zweck ab. Wenn Sie sich bereits aufhalten, evakuieren Sie bitte sofort .

Quelle: https://www.anzen.mofa.go.jp/info/pchazardspecificinfo_2021T059.html#ad-image-0 / einmal durch google translate gejagt

Kreuzbergerin schrieb:Denn die Briten beispielsweise haben schon am 13.08. angefangen ihre Botschaft zu räumen, während der BND noch am Sonntag nicht von einer Einnahme Kabuls durch die Taliban ausging.

Auch Dänemark hat laut NDR Info (Radio) schon vor dem Wochenende angefangen sein Personal zu evakuieren.

Der gesamte Vorgang wirft wirklich viele Fragen auf.

Blaubeeren schrieb:Letztendlich wird sich die internationale Gemeinschaft den vielen Fragen stellen müssen, wie es zu der desaströsen Fehleinschätzung der Besetzungsgeschwindigkeit der Taliban kommen konnte.

Sorry, aber 30- 50 Tage Prognose bei Einmarsch der Taliban innerhalb des nächsten Tages wäre schon grob fahrlässig.

Es scheint wohl niemand damit gerechnet zu haben, dass man die Großstädte ohne Kämpfe übergibt.

Ich will da nochmals das Interview mit Ex-BND Chef Hanning verlinken.

https://www.tagesspiegel.de/politik/ex-bnd-praesident-hanning-zu-afghanistan-das-ist-aehnlich-wie-1975-in-sued-vietnam/27519478.html

Unter anderem beantwortet er die Frage

Mit welcher Taktik ist es den Taliban gelungen, Afghanistan zu überrennen, nachdem die Amerikaner den Rückzug eingeleitet hatten?

Quelle: s. o.

mit folgender Antwort:

Es gibt mehrere Faktoren. Die Taliban haben nicht nur gekämpft, sondern auch mit Geld und Drohungen viele Militärs und Politiker überzeugt, keinen Widerstand zu leisten. Die großen Städte sind nicht durch Kämpfe gefallen, sondern durch Überzeugungsarbeit. Zuckerbrot und Peitsche. Viele Soldaten und Polizisten haben sich den Taliban dann auch angeschlossen. So wurden sie immer stärker. Und die Grundfesten der Regierung Ghani sind schon lange in den Augen der Bevölkerung morsch und durch Korruption zerfressen.

Quelle: s. o.

Carbine schrieb:Und die Grundfesten der Regierung Ghani sind schon lange in den Augen der Bevölkerung morsch und durch Korruption zerfressen.

Das ist denke ich ein wichtiger Punkt - gerade für den Teil der Bevölkerung, der wenig Besitz und Einfluss hat und deshalb bei Korruption und Co. nicht "mitspielen" kann ist ein drakonischer, aber unparteiischer Sharia-Richter möglicherweise netto besser als ein korruptes Scheingericht das nur auf Seiten der Mächtigen steht. Das kann dann tatsächlich attraktiv sein.

Ich bin ja auch gespannt, was mit den Devisenreserven der Zentralbank geschieht.
Im NTV Liveticker steht dazu geschrieben, dass der ehem. Chef der Zentralbank Ajmal Ahmady meint, die Taliban hätten keinen Zugriff darauf.

Die Taliban haben nach den Worten des afghanischen Zentralbankchefs keinen Zugriff auf die milliardenschweren Devisenreserven des Landes. Die Notenbank kontrolliere etwa neun Milliarden Dollar, schreibt der ins Ausland geflohene Gouverneur Ajmal Ahmady auf Twitter. Davon befänden sich allein sieben Milliarden Dollar in Form von Bargeld, Gold, Anleihen und anderen Investitionen bei der US-Zentralbank (Fed). Auch der Restbetrag liege überwiegend nicht in afghanischen Tresoren herum, sondern befinde sich auf anderen internationalen Konten. Nur maximal 0,2 Prozent der Reserven seien den Taliban zugänglich.

Quelle: https://www.n-tv.de/politik/11-40-Taliban-erbeuten-Biometrie-Geraete-und-Datenbanken--article22743909.html

Ja was passiert nun mit der Kohle?

Carbine schrieb:Ja was passiert nun mit der Kohle?

Damit spielen wahrscheinlich ein paar Dutzend Leute auf absehbare Zeit (~ bis das Geld alle ist) Exilregierung in Paris, der Schweiz oder einem anderen "klassischen" Ort für sowas. London ist ja nicht mehr so cool. Je nachdem ob die Amis das gut oder schlecht finden kann das eine ganze Zeit lang so gehen (der Rekordhalter ist meines Wissens nach Weißrussland mit über 100 Jahren).

@bgeoweh

Hm, da fällt mir nur Ghani ein.

Er hat sich übrigens auch dazu geäußert (glaube, das wurde hier noch nicht erwähnt, wenn ja, sorry), warum er abgehauen ist:

Es sei eine schwierige Entscheidung gewesen, so Ghani weiter. „Die Taliban wollten mich entfernen, sie sind hier, um Kabul und die Menschen in Kabul zu attackieren. Um ein Blutbad zu verhindern, bin ich zur Auffassung gelangt, dass es besser ist, das Land zu verlassen.“ Wenn er geblieben wäre, wären „zahllose Patrioten“ getötet und Kabul zerstört worden.

Quelle: https://orf.at/stories/3225004/

Er wollte also ein Blutbad an sich selbst verhindern - soweit nachvollziehbar - denn das „zahllose Patrioten“ getötet und Kabul zerstört worden wären, wenn er noch dagewesen wäre, kann ich mir nicht vorstellen.