Stigmatisierung des "rechten" Ostens
27.05.2006 um 17:05
So und hier noch mal ein interresanter Artikel der "Berliner Zeitung" zu Thema Osten.
Kommentar
Geschlossene Gesellschaft Ost
Maritta Tkalec
Flohmarkt in Wismar - ein Inder wird unter wüstem Gebrüll verprügelt. Neuruppin -Rechtsradikale überfallen einen jungen Mann aus der linken Szene. Glowe auf Rügen - einArzt aus Süddeutschland, erkennbar am Dialekt und dem Nummernschild am BMW, sucht einHaus. Er will sich in der schönen Gegend niederlassen. Anwohner vertreiben denwohlhabenden Fremden. Alle drei Szenen spielen in Ostdeutschland, ansonsten haben sie -auf den ersten Blick - nichts miteinander gemein.
Doch gerade das Verschiedeneder drei Fälle führt näher an die Antwort auf die Frage, über die in unregelmäßigenSchüben immer wieder heftig diskutiert wird: Warum entfaltet sich der Rechtsradikalismusauf dem Gebiet der ehemaligen DDR stärker als im Westen? Warum leben Fremde im Ostengefährlicher?
Dass es so ist, kann nicht ernsthaft bestritten werden, der neueVerfassungsschutzbericht lieferte eben wieder den statistischen Beweis. Weder dierichtigen Hinweise, der Vorwurf treffe nicht auf alle Gegenden zu, noch die Tatsache,dass es auch im Westen pöbelnde und schlagende Rechtsradikale und gefährliche Ecken gibt,ändern etwas daran: Der Osten hat ein massives, widerliches Problem, und es ist weiterverbreitet, als es die jüngsten Exzesse in Potsdam, Pömmelte oder Berlin-Lichtenbergsichtbar werden lassen.
Gern werden Erklärungen in den prekären Verhältnissengesucht: Arbeitslosigkeit bei 20 Prozent und darüber, Mangel an Perspektiven inverödenden Städten und Dörfern, soziale und kulturelle Verwahrlosung infolge desinzwischen vererbten Lebensstils außerhalb der Erwerbsgesellschaft. Gewiss sind dasFaktoren, aber sie allein erklären noch nichts. Auch anderswo ist die Arbeitslosigkeithoch, ohne dass Rechtsradikale die Szenerie prägen. Wer sich mit dieser Analyse zufriedengibt, nährt Illusionen: Wenn der Staat nur Jobs schaffen und Jugendclubs einrichtenwürde, wäre das Problem zu lösen.
Das Elend liegt aber tiefer. Es liegt imSchmerz über die am 9. November 1989 verlorene Utopie der Gleichheit. Die DDR verstandsich als Land der Gleichen: Arbeiter, Bauer und Intelligenzler sollten gleich verdienen,gleich wohnen, gleich denken, gleich fühlen, gleich lieben. Nicht-Gleiche - Schwule,Punks, Christen, "Asoziale" - standen unter enormem Konformitätsdruck. Wer ausbrach ausder egalitären sozialistischen Menschengemeinschaft, musste mit Abstoßung rechnen, mitIsolation, Gefängnis, Ausbürgerung.
Eine geschlossene Gesellschaftselbstgenügsamer Kleingeister, die störungsarme Geborgenheit im eigenen Stallgeruchversprach, galt vielen als akzeptables Lebensmodell. Fremdes - wie angolanische oderkubanische Gastarbeiter, sowjetische Soldaten - hielt man auf Distanz; polnischenEinkaufstouristen begegnete Hass. Deutsche Werte hingegen - Disziplin, Reinlichkeit,Gehorsam - galten viel. Und gerade weil das Nationale im geteilten Land einSchattendasein führte, schwebte es mächtig über allem und sehr vielen.
Gleicheinem Abziehbild klebt diese DDR noch heute in Hunderttausenden Köpfen hinter dem neuaufgetragenen Westputz. Rechtsradikale brüllen, was andere massenhaft denken. Auch wenndie schweigende Masse das Rohe, Grobe und Brutale an den Rechtsradikalen verabscheut,lässt sie eine wenig verhüllte Sympathie spürbar werden und öffnet der Gewalt Straßen undPlätze.
Die künstliche Abwesenheit von Unterschieden in der DDR hat dieAblehnung des Unterschiedlichen zum dominanten Gefühl gemacht, als das Andere dann kam:ob als Asylbewerber, Wessi oder Asia-Kiosk-Betreiber. Der Westen erfuhr über Jahrzehnteim Umgang mit Amis, Italienern, Türken, daheim oder auf Reisen die Vorzüge der Differenz.Das im Osten verpönte Bürgertum pflegte im Westen die Segnungen der Vielfalt und genossdie damit einhergehende Bereicherung.
Die Schwäche des bürgerlichen Elements inder östlichen Provinz wird oft beklagt. Bleibt es so schwach, können die Rechtsradikalenin ihrem (sub-) proletarischen Umfeld weiter gedeihen statt geächtet zu werden. Ihr Endekäme mit einer bürgerlichen Belebung der vor allem im Gesellschaftlichen so armenVerhältnisse. Erst dann gilt die Gleichheit im Wohnortkollektiv weniger als die Freiheitdes Einzelnen. Damit die vorhandenen Ansätze eine Chance haben, hat der Staat seinePflicht zu tun: fremdenfeindliche Gewalt zu verhindern und gegebenenfalls hart zubestrafen.
Berliner Zeitung, 27.05.2006