Gründe für das Scheitern des Kommunismus
27.09.2008 um 17:20
Die Niederlage der Revolution ist untrennbar mit einem Mißverständnis über den Kapitalismus verbunden.
Marx bekämpfte die politische Ökonomie weil das kapitalistische Freiheitsversprechen in Praxi nicht hielt wovon es kündete: die ungeheuren technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften waren für die Mehrheit genausowenig von Nutzen wie die Radikalität mit der die kapitalistische Produktionsweise für die Abschaffung naturhafter personaler Herrschaft und Vergesellschaftung sorgte. Dennoch stand Marxen ein Vertreter bzw. Verfechter des Freihandels immer näher als ein Propagandist des geschlossenen Handelsstaates, bekundete er stets seine Hochachtung vor großen ökonomischen Unternehmungen und schätzte vor allem die Kampagnen für die Freiheit, die mehr kapitalistischen Expansionismus als reinem Altruismus geschuldet waren. Marxens Parteinahme für die Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg und die Wertschätzung für Abraham Lincoln sprechen eine eindeutige Sprache. Der Trierer haßte den Kapitalismus dafür, das er die aus feudalistischem oder tribalistischen Zwang befreiten Menschen sogleich in ein Elend stürzte, das manchmal schlimmer war als das, aus dem sie soeben erlöst wurden; das der Kapitalismus aus ihnen kleingeistige, gierige und paranoide Robinsonnaturen machte.
Trotz der Symphatie die Marx dem Kapitalismus gegenüber durchaus hegte, sah er alle Vorraussetzungen für etwas besseres als den Kapitalismus allein in einer nach seinen Gesetzen geprägten Welt sich entwickeln. Gegenstand der Kritik waren ihm nicht nach schamanischen Gebräuchen lebende Hinterwäldler, die er zurecht für unter aller Kritik stehend hielt, sondern die Republik, die es ebenso zu überwinden gelte (bzw. gilt) wie den Bürger, der sein ganzes Verhalten einer dem ökonomischen Kalkül verpflichteten Ratinalität unterordnet. Nebenbei sei auch erwähnt, das die Liebe, die die europäische Linke gegenüber Autochthonie und Urspünglichkeit, also indigener Kultur empfindet, und daraus ihren Kampf für eine Welt der "Völker und Kulturen" (ergo: einen globalen Multi-Kulti-Zoo identitärer Menschenhorden, die sich ihre Reservate völkerfreundschaftlich nebeneinander teilen) ableitet, nicht auf Marx zurückgeht.
Der Idealtyp des Revolutionärs hätte dem in Republik und Bürger vorgestellten gesellschaftlichen Ausdruck der kapitalistischen Produktionsweise gegen ihre reaktionären Feinde verpflichtet zu sein und doch gegen ihre unmenschlichen Konsequenzen zu rebellieren. Er hätte Organisator und Agitator des Aufstandes zu sein und sich jedwedem romantischen Kollektivismus und Gemeinschaftskult zu widersetzen. Und er hätte jeder Aussöhnung mit der Agentur für gebündelte Einzelinteressen zu widerstehen, deren Daseinszweck es ist, Marktsubjekte zur Gefolgschaft zu erziehen: dem Staat.
Die Ideologen und Bewegungen in der Folge von Marx bzw. jene in angeblicher Nachfolge von Marx haben die kommunistische Utopie in eine antikapitalistische Zerstörungsphantasie verwandelt und sind heute, mitten hier in Europa, ihrem Ziel bedenklich nahe gekommen, auch wenn sie sich nicht mehr als klassisch kommunistische Bewegung organisieren oder gar verstehen. Unter dem pragmatischen Junker Bismarck verboten, schaffte ihre historische Avantgarde es, sich als "Sozialdemokratische Partei Deutschlands" unter dem totalitären Despoten Wilhelm II in grade einmal 24 Jahren sich in eine unverzichtbare und absolut verläßliche Stütze der Gesellschaft zu verwandeln. Ihr obliegt die Last am Ersten Weltkrieg, weil sie alles, was am liberalen Kapitalismus zu retten und damit gegen das Hohenzollernregime zu verteidigen gewesen wäre, bekämpfte.
Aus dem Kampf, genauer: Notbündnis namens "Arbeiterklasse", gestalteten die revolutionären Führer fast aller Nationen und "Völker" nach dem Leitbild der deutschen Sozialdemokratie eine Kaste von Leuten, die stolz darauf zu sein hätten, das ihr Los die unendliche, blödsinnige, Kräfte als auch Geist verschleißende Schufterei sei. Statt für die Abschaffung der Arbeit zu streiten und die Befreiung in der Selbstauflösung des Proletariats zu sehen (wie Marx selber) übersetzten sie das protestantische Arbeitsethos des Einzelkapitalisten in die Vision des staatlich verwalteten Arbeitszwanges für jedermann.
Und die Hinterlassenschaft der Revolutionsverwalter wirkt nach: In Zeiten, in denen die Handarbeit immer minoritärer wird, werden frühzeitig gealterte und geschundene Proletenhände als Attribute menschlicher Würde, lebenslängliche Zugehörigkeit zu irgendeiner Stahlhütte als erfülltes Leben und das Mißtrauen gegen alljene, die ihren Lebensunterhalt nicht kraft eigener Hände Arbeit verdienen, immer schriller angepriesen bzw. -bezogen auf das Mißtrauen gegen "Asoziale"- geschürt. Statt in Lohnarbeit und darüber hinaus in jeder Form der Arbeit ausschließlich ein notwendiges Übel zu erblicken, weil die Alternative entweder unmittelbares Elend oder eben mittelbares Elend in Form staatlicher Alimentierung wäre, wird Arbeit in den letzten Jahren immer propagandistischer als Lebensentwurf, Sinnstiftung, als "nicht entfremdetes" Verhältnis zwischen Arbeitsmaterial, Arbeiter und Arbeitsprodukt in den Mittelpunkt eines ontologischen Weltbildes gestellt.
In der damit einhergehenden Anpreisung "selbstbestimmter Arbeit" taucht der bei Marx noch notwendig abstrakt erscheinende private Arbeiter überhaupt nicht mehr auf (falls ja, wird er mißtrauisch beargwöhnt). Was ihn ausmacht, sich in einer Konkurenzgesellschaft sich bewähren zu müssen und häufig dies auch zu wollen, erscheint allein als Ausdruck von Skrupellosigkeit oder so geheißener Ellenbogenmentalität. Ein jemand, der unter kapitalistischen Verhältnissen lebt und arbeitet, in denen die individuelle Marktkonkurrenz als konstitutives Prinzip noch in Kraft ist oder wieder hervorrkommt, sich darin allen ernstes wohl fühlt, so gilt er im herrschenden europäischen Diskurs als Irrer, als Schwein oder Perverser, der sein egoistisches und individualistisches Interesse über das Gemeinwohl, also ein großes Ganzes, stellt und sich damit versündigt.
Das ist das traurige Erbe einer verratenen Revolution.