cejar schrieb:Im Gegensatz zu Dir habe ich gedient - ohne das jetzt böse oder wertend zu meinen - und habe erlebt wie Menschen auf Soldaten reagieren. Ich fand es erst befremdlich, weil ich ja nun ganz normal meinen Wehrdienst abgeleistet habe, aber irgendwie kann ich es auch verstehen, das wir in der Welt eine Sonderstellung haben, was die Einstellung zum Militär angeht.
Wir haben 2 Weltkriege ausgelöst, wir haben den Menschen in Europa unendlich viel Leid zugefügt, wir sind dem größten Demagogen der Menschheit auf den Leim gegangen. Das die Leute nun erst mal genug von "Militärkram" haben, ja sogar dem Militär skeptisch gegenüber stehen ist aufgrund unser Historie doch nicht verwunderlich.
Natürlich ist diese Einstellung nicht gesund - und bei dem Gedanken das Polen jetzt die am meisten aufgerüstete Nation Europas ist wird mir ganz anders - aber zumindest verständlich.
Der Verweis auf historische Kriege ist für mich keine Maxime oder ein Argument die Streitkräfte zu sehr zu vernachlässigen oder sie zu stiefmütterlich zu behandeln.
Es wäre es wenn es um die Frage geht ob wir einen Angriffskrieg vorhatten. Dann ganz klar. Der 2+4 Vertrag ist für mich auch eindeutig.
Ich wende davon ab hingegen ein anderes
Selbstverständnis an, das ich aus den Grundsätzen
"Nie wieder!" sowie
"Wehrhafte Demokratie" ableite - und das muss m.E. situativ auch nach außen und nicht nur nach innen hin gelten. Schütze ich Demokratie nicht auch adäquat nach außen (hier im Verbund mit der NATO, EU, usw.) mit, ist es inkonsequent.
Natürlich hat uns die Historie geprägt und uns gewisse Verantwortungen auferlegt. Transgenerational. Keine Frage. Aber ich sehe einen Unterschied, ob ich aufrüste um wie Russland meine Nachbarn zu überfallen oder ob ich im Verbund mit der NATO ein gesundes Militär unterhalte, dass seinen Beitrag national wie international mittragen kann.
Russland ist ein gutes Stichwort. Es kann nämlich bei steigenden imperialistischen Ambitionen von Gegnern nicht sein, dass man aus der Geschichte als z.B. Ultrapazifist oder so das Fazit zieht "Militär immer schlecht, auch Verteidigung schlecht".
Diese Wirren sah man mitunter im Russland-Ukraine-Krieg wo gewisse Teile einer groben Friedensbewegung keine Unterstützung jedweder materieller / militärischer Art an die Ukraine billigen wollten weil das "böse" sei oder den Krieg verlängere. Dass man hier einem staatlich-kulturellen quasi-Genozid Vorschub leisten würde, blendete man geflissentlich aus. Die Hilfe anderer ist auch ein prima Beispiel: Ohne dass ich selbst eingreifen muss, liegt mein Militär aber brach kann ich anderen materiell oder anderweitig auch nur begrenzt helfen.
Ich will einfach sagen, es wäre m.E. auch in anderen Teilen der Bevölkerung Zeit für ein gesundes Selbstverständnis ggü. eigenen Streitkräften nicht als Mittel für imperialistisches Gehabe oder so sondern als Werkzeug wehrhafter Demokratie und Bündnisverteidigung. Und der Werkzeugkasten sollte halbwegs in Ordnung sein.
"Militär doof" (überspitzt formuliert) wird den Herausforderungen der Zeit nicht (mehr) gerecht. Sich da wegzuducken zeigt auch nicht von strategischer Vorausschau oder Weitsicht, wenn überhaupt Naivität oder dergleichen, wie ich finde. Staatsbürgerliches Gespür sähe ich eher im Ansatz:
"Ja, wir haben Militär und Verantwortung. Es soll guten Zwecken dienen, der Landes- und Bündnisverteidigung sowie ggf. mandatierten Stabilisierungs- oder Friedenseinsätzen. Somit muss es ertüchtigt sein, diese Aufgaben auch adäquat ausführen zu können ohne zu viele grobe lang mitgezerrte Missstände."