egaht schrieb:Zweitens setzt er aufs falsche Thema. Die Mehrheit der Deutschen will derzeit weniger den Ausbau des Sozialstaats als vielmehr vor allem Schutz und Sicherheit. In der besonders strittigen Migrationsfrage aber kann Schulz kein Sicherheitskonzept bieten. Er kann nicht einmal die Fehler der Kanzlerin anprangern, weil er sie in der Grenzöffnung und der „Wir schaffen das“-Euphorie selber am lautesten bestärkt hat. Nichts emotionalisiert die Bevölkerung aber mehr als die Frage nach Integration, Kriminalität und Islamismus. Darauf mit den Gerechtigkeits-Plattitüden der 1970er- Jahre zu antworten, dürfte der Mehrheit nicht reichen – zumal Merkel sozialpolitisch ähnlich denkt.
Man wird sehen, ob das das richtige Pferd wäre. Tatsache ist allerdings schon, dass Schulz und die SPD ein Problem haben: alle ihre natürlichen Themen sind bereits von anderen Parteien besetzt.
Die SPD ist traditionell eine Arbeiterpartei gewesen. Als ich Kind war, zur Zeit Willy Brandts, war das auch noch so: da haben die Arbeiter bei AEG, bei MAN, bei VW, bei Ford, sogar bei BMW eben SPD gewählt, wie der Vater und der Grossvater auch schon. Und die Gewerkschaften waren sozusagen eine Unterabteilung der Partei. Damals war ja Autofahren noch nicht verteufelt, und die SPD organisierte in jedem Wahlkampf grosse Autokorsos durch die Städte: mit Lautsprecherwagen voran schloss sich dann eben jeder stolze SPD Wähler mit seinem neuen Familienaudi oder Volkswagen an. In den sozialen Wohnungsbau-Siedlungen dominierte die SPD total, selbst in Bayern. Man kümmerte sich um die kleinen Leute, der Ortsverein war immer da und hatte Ansprechpartner.
Und man nahm Teil am allgemeinen Wirtschaftsaufschwung. Der freie Samstag, der im internationalen Vergleich grosszügige Urlaub, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld... manche kennen das heute schon gar nicht mehr. Selbst die Arbeiterklasse besass immer mehr Eigentum, erst ein, dann zwei PKW in der Familie, ein Reihenhaus oder gar ein Einfamilienhaus - SPD Wähler kamen an. Immer mehr wohlhabende Leute wählten SPD, vor allem die gut verdienende Beamtenschicht, vom Polizisten bis zum Lehrer. Der Mittelstand war in Helmut Schmidts SPD gut aaufgehoben.
Und dann kamen die Grünen. Das waren die ersten, die die heile Welt der SPD durcheinanderbrachten. Holger Börner wollte sie mit der Dachlatte verprügeln. Aber so lange man sie dann doch zähmen konnte, ging es ja gut. Die FDP war bei der Union, die Grünen bei der SPD, die Republik immer noch im Lot.
Seit Wiedervereinigung und Kohl und Schröder ist die heile Welt aber kaputt. In der DDR ist es der SPD nie gelungen, die Arbeiterklasse und die Unterschichten für sich zu gewinnen, die gingen zur Linken/PdS/SED oder neuerdings zur AfD.
Die Grünen wurden zur Partei der sehr gut verdienenden, beamteten Gutmenschen, denen die SPD zuviel Mief der Arbeitervergangenheit hatte: auf einmal wählte jeder anständige Lehrer nicht mehr die SPD sondern grün.
Und dann kam Mutti Merkel. Frech wie Oskar (ja, der war auch ein Problem) besetzte sie mit ihrer neuen weichgespülten CDU einfach die klassischen SPD Themen: Mittelstand ist CDU, Atomausstieg ist CDU, Wehrpflichtabschaffung (ein Helmut Schmidt dreht sich im Grabe rum) ist CDU, Europa ist CDU, Ostpolitik ist CDU...
Es kam wie es kommen musste: weil extrem schwache Kanzlerkandidaten und Vorsitzende die Vereinnahmung der SPD durch die CDU nicht verhinderten, musste die SPD um an der Macht zu bleiben ausgerechnet mit der CDU koalieren. Agenda 2000 war dann der letzte Nagel im Sarg der alten SPD.
Und nun: Merkel sitzt einfach auf all den typischen SPD Themen. Schulz kann nur sagen: bin ich auch dafür, will ich auch, mach ich genauso... Europa, Asylrecht, Mittelstandförderung...
Partei für die Arbeitslosen, für die Hartz-IV Bezieher, für die ganz unten? Das kann er nicht sein und will er nicht sein, denn deren Interessen stehen gegen die der etablierten ehemaligen Arbeiterklasse. Wenn er die nicht ganz an die CDU verlieren will, muss er sehr vorsichtig sein. Also kommen nur Platitüden raus, wie den ganz ganz Reichen die Steuern zu erhöhen. Aber das wollen die Grünen auch und die Linke sowieso.
Die Linke besetzt die wirklich linken Positionen: Beschränkung der Bankenmacht, wirkliche Sozialpolitik, radikale Friedenspolitik usw. Die Grünen haben ihr Umweltdingsda, mit dem sie noch ein paar Leute hinter dem Ofen hervorlocken und ihre Multikultiwelt. Die AfD hat "Deutschland zuerst." Und alles andere - darum kümmert sich Mutti.
Schulz' Problem ist, dass eigentlich niemand Schulz und die SPD braucht. Im Moment ist seine einzige Chance, die bessere Merkel zu sein. Seine einzige Botschaft: ich mache eigentlich alles wie Merkel, nur irgendwie besser. Ob das reicht, wird sich zeigen.
Wenn der aufgeweckte Wähler sich dann noch die SPD anschaut, also mal von Schulz wegschaut, dann wird daran ein grosser Zweifel kommen: Heiko Maas, der Justiz-clown in Berlin? Hannelore Kraft und ihr Jäger, die nicht mehr bieten als den Rat, eine Armlänge Abstand zu halten?
Wenn ich links bin, wähle ich Wagenknecht, nicht Nahles. Wenn ich rechts bin, wähle ich Seehofer. Wenn ich ein Nazi bin, wähle ich Höcke. Wenn ich in der Mitte stehe... macht Mutti einmal die Raute und ich mein Kreuz bei ihr.
Das ist, womit Schulz nun konfrontiert ist. Wer will er sein? Die bessere Mutti, die bessere Wagenknecht, der bessere Seehofer? Er hat nichts, was den Wähler dazu bringt den "Schulz" zu wählen, weil der der beste Schulz ist.