Nemon
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Exodus, Goten, Germanen, Deutsche und Identität
30.04.2020 um 14:58Hier mal ausführlich:
http://www.baer-linguistik.de/beitraege/jdw/brav.htm
Das Adjektiv brav ist eines der spannendsten deutschen Wörter. Es hat eine Geschichte durchlaufen, die nur wenige Wörter aufweisen können: eine Wandlung seiner Bedeutung hin zum Gegenteil dessen, was es ursprünglich bedeutete.
Wir wissen, was brav heutzutage bedeutet: ›gehorsam, artig, bieder‹ (ein braves Kind, eine brave Frisur). Doch ehemals hieß es ›wild, grausam, ungesittet, barbarisch‹. Es kommt vom lateinischen barbarus, das so viel wie ›Fremder, Ungesitteter, Rohling‹ bedeutete. Dieses wiederum geht auf das Griechische zurück; hier bedeutete es ursprünglich so viel wie ›unverständlich (nämlich nicht griechisch) Sprechender‹. Die alten Griechen ahmten das vermeintliche Gebrabbel der Fremden durch eine Lautwiederholung (bar-bar) nach – so wie man noch heute das Gemurmel einer größeren Menschenmenge mit Rhabarber, Rhabarber nachäfft. – Falsch ist die ebenfalls hier und da zu findende Erklärung, Barbar komme vom lateinischen barba (›Bart‹), weil die Römer Leute, die sich nicht rasierten, als unrömisch empfanden.
Aus römischer Sicht waren die Barbaren in aller Regel die Nordleute, also die Kelten und die Germanen. Vor allem letztere wurden wegen ihrer bedingungslosen Tapferkeit bewundert (viele von ihnen machten in der Spätantike und in der Völkerwanderungszeit Karriere in der römischen Armee), so dass das Adjektiv barbarus die Bedeutung ›mutig, tapfer, wacker, tüchtig‹ annahm. In verschiedenen romanischen Sprachen, z. B. im Italienischen und im Spanischen, wandelte sich die Lautgestalt von barbarus über brabus bzw. bravus zu bravo. Und Bravo! (eigentlich: ›guter, tüchtiger Mann!‹) rufen wir heute noch, wenn jemand etwas gut gemacht hat. Bei Frauen müssten wir, da bravo die männliche Form ist, eigentlich, so wie es auch die Italiener tun, brava! rufen und in der Mehrzahl bravi! bzw. brave! Ein braver Soldat ist ein ›tapferer‹, und wenn jemand etwas mit Bravour (›meisterlich‹) tut, so steckt auch darin noch die Bedeutung der Tüchtigkeit und Tapferkeit, ebenso wie im englischen brave. Im Spanischen hat sich sogar die ganz alte Bedeutung des Barbarischen noch gehalten; hier ist ein bravo ein Räuber oder ein gedungener Meuchelmörder. Im Deutschen hingegen hat man bei ›tüchtig‹ offenbar insbesondere an die Tugenden des guten Untertanen gedacht. Daher ist jemand, der sich so verhält, wie es der Obrigkeit, den Vorgesetzten, Eltern oder Lehrern genehm ist, brav. Unserer heutigen, auf Individualität und Unangepasstheit fixierten Zeit gilt das als bieder und langweilig, und so assoziieren wir mit brav nicht mehr ›wild‹, sondern eben das Gegenteil. Sprache ist nicht logisch; aber man versteht sie, wenn man ihre Geschichte kennt. Jochen A. Bär