@Nahtern Es ist sicherlich auch so, dass Griechenland etwas auf zu großem Fuß gelebt hat.
Aber diese Tatsache ist viel komplexer, als man denkt und ein ,,Schuldiger" nicht leicht auszumachen.
Meine Gedanken dazu lauten:
Es liegt in der Natur der meisten, politischen Parteien und (Karriere)Politiker, dass sie in höhere Ämter und Einflusssphären aufsteigen wollen.
Ich denke, auch, wenn finanzielle Interessen wichtige Rollen spielen dürften - als Abgeordneter oder Minister, Staatssekretär oder auf hohem Verwaltungsposten winken hohe Gehälter und diverse Zusatzeinkommen als Redner, Aufsichtsratsmitglied etc. - gehen die meisten Menschen wohl in die Politik, weil sie eine Vorstellung davon haben, wie eine Gesellschaft und eine Wirtschaft aussehen sollten.
Um diese Vorstellungen umzusetzen, wie immer sie auch aussehen mögen, muss man in Machtpositionen gelangen, entweder als Partei oder Einzelperson.
In einer Demokratie benötigt man, um in Machtpositionen zu kommen, mindestens formal die Zustimmung des Volkes. Wen die Mehrheit des Volkes nicht wählt, der gelangt nicht in Machtpositionen. Selbst wenn man dann von einem Minister als Generalstaatssekretär eingesetzt wird, weil das der Deal war für die engagierte Hilfe im Wahlkampf, dann mussten zumindest Minister oder Partei gewählt wurden sein, sonst hätte man sein Amt als Generalstaatssekretär nicht bekommen.
Auch will die Machtposition natürlich gehalten und ausgebaut werden, viele Projekte verlangen mehr als eine Legislaturperiode Arbeit, man will nicht beim nächsten Mal schon wieder abgewählt werden.
Ist natürlich auch eine finanzielle Sache für einen persönlich.
Man muss sich also an diesem Punkt als nächstes fragen:
Wie erlangt man die Zustimmung einer Mehrheit des Volkes dauerhaft?
Zu bedenken sind viele, widerstreitende Interessen, deren Bedienung oder Missachtung entsprechend Auswirkungen hat auf Gesellschaft, Wirtschaft und eigene Beliebtheitswerte oder Werte der Partei.
Beispiel: populär ist die vereinfachte Aussage, man solle ,,die Reichen" oder ,,die Banker" oder ,,die reichen Unternehmer" enteignen oder mindestens stärker belasten, weil die ja so viel Geld haben. Und das Geld dann an möglichst viel andere Menschen verteilen.
Würde man das machen oder fordern, dann trüge das einem sicherlich erstmal Sympathien ein als moderner Robin Hood.
Aber ganz so einfach läuft es auf längere Sicht nicht mit dem ,,den Reichen nehmen und den Armen geben".
Denn die Vermögenden und Unternehmer/Unternehmen sind trotz des Klischees nicht alle einfach nur egoistische, faule Säcke, die keinen Penny abgeben und nur die Arbeiter ausbeuten wollen.
Sie sind oft auch auf irgendeine Weise sehr umtriebig und tatkräftig.
Sie haben neue Geschäftsideen oder führen alte Ideen effizient fort, sie sind innovativ sie geben direkt Arbeit und Bezahlung oder indirekt, indem sie Produkte produzieren oder einführen, die wiederum Arbeitsplätze von Spediteuren, Verkäufern, Kontrolleuren, anderen Unternehmen usw. sichern.
In einer modernen Wirtschaft arbeitet eigentlich kein Unternehmen mehr für sich allein, jeder Wirtschaftsakteur ist Teil eines Geflechts und sein Fall hat Auswirkungen auf das ganze Geflecht.
Manchmal mehr, manchmal weniger. Wenn der berühmte Tante-Emma-Laden an der Ecke zumacht, hat das geringere Auswirkungen auf das Gesamtkonstrukt, als wenn auf einmal (in Deutschland) Aldi und Rewe pleite gehen und alles dicht machen würden.
Ein weiterer Punkt in Bezug auf Einzelpersonen ist ja, dass man Enteignungen eigentlich nur einmal durchführen kann. Dann hat man meinetwegen einmal 100 Milliarden Euro, wo die Verführung groß ist, soviel Geld auf den Kopf zu hauen und zu verprassen für allerhand Annehmlichkeiten. Aber wenn das Geld weg ist, ist es weg, dann kann man sich nicht einfach irgendwo neues holen.
Wenn man also Unternehmen und Vermögende zu sehr belastet, sagen die sich:,,Fein, dann machen wir zu und gehen in andere Länder, wo die Bedingungen für uns besser sind."
Dann steht man dumm da als Staat, dann steigen die Arbeitslosenzahlen, gleichzeitig gibt es weniger Einnahmen und Wettbewerbsfähigkeit, was nicht die beste Mischung ist.
Andererseits darf man natürlich auch nicht zu sehr Unternehmen und Wirtschaft bevorzugen und das Volk bedrücken, da es dann ungehalten wird, doch auch ganz praktisch weniger Geld zum Konsum hat.
Ist halt alles ein Balanceakt.
Naja, wie gewinnt man also möglichst viel Zustimmung im Volk?
Wen wählt das Volk lieber?
Jemanden, der ihm alle möglichen Wohltaten verspricht? Oder jemanden, der sagt:,,Wir können (erstmal) keine Party machen, wir müssen solide wirtschaften, bescheiden sein, uns zurücknehmen, reformieren..."?
Diesbezüglich müssen wir in Deutschland gar nicht auf die Griechen zeigen, auch die Deutschen haben den ,,blühende Landschaften" versprechenden Kohl immer wieder gewählt, dann den Schröder, der versprach, man habe endlich mehr in der Tasche als Bürger und aktuell ist eben die ,,keine Experimente, Deutschland geht es gut, alles bleibt, wie es ist und wird sogar leicht besser"-Ära Merkel.
Das Volk wählt tendenziell nicht den mit dem sachlich besten Programm, sondern den, der ihm die besten Versprechungen macht.
So war es auch in Griechenland, die vergangenen Regierungen haben dem Volk immer wieder Wohltaten versprochen, dafür wurden sie gewählt.
Der Staat ist sehr paternalistisch aufgetreten als jemand, der für alle sorgt (Stichwort ,,riesige Verwaltungsapparate" odet ,,Sonderzulagen für's Händewaschen und pünktlich-zur-Arbeit-kommen") und keinen ,,unangemessen" behelligt (Stichwort ,,Ärzte mit dicken Autos und Villen auf dem Land, dir 10-20.000 € Jahresgehalt angeben konnten u. entsprechend wenig Steuern zahlen mussten").
So konnte die politische Kaste machen, was sie wollte, auch kräftig in die eigene Tasche wirtschaften, ohne dass sich das Volk besonders dran gestört hätte. Denn es hatte ja, was es brauchte und konnte mal mehr, mal minder bescheiden relativ gut leben.
Gerne ist man dann auch den Politikern gefolgt und hat bei vielen Gelegenheiten zum eigenen Vorteil und dem Nachteil des Staates getrickst bei Steuern, Abgaben und Gehältern.
Blöde nur, dass niemandem aufgefallen ist oder besser niemandem auffallen wollte, dass dieses System mit immer mehr Schulden aufrecht erhalten wurde.
Konstant sehr hohe oder sogar wachsende Staatsausgaben gepaart mit einem Klima, indem es geradezu sportlich war, sein eigenes, finanzielles Wohl besonders zu fördern, in größerem und kleinerem Maßstab und schließlich noch ziemlich geringer Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Wirtschaft sind keine so guten Voraussetzungen, Schulden zurückzahlen zu können.
Das aber gehört untrennbar zur Natur von Schulden, dass man sie zurückzahlen muss.
Schulden, die nicht zurück gezahlt werden müssen, sind Geschenke.
Kreditgeber aber, Banken, Investoren etc., machen keine Geschenke. Sie vergeben Kredite und sagen:,,Gut, du kriegst eine Milliarde Euro, dafür bekomme ich in 10 Jahren 1,5 Milliarden Euro zurück."
Das ist ihr Geschäft.
Den ausländischen und inländischen Kreditgeber für den griechischen Staat und die griechische Wirtschaft kann man vorwerfen, dass sie doch eigentlich bei ihrer Kreditvergabe hätten wissen müssen, wie unwahrscheinlich es ist, dass Griechenland unter Einbeziehung seines schon vorhandenen Schuldenbergs und seiner schwachen Wettbewerbsfähigkeit in wirtschaftlicher Hinsicht in der Lage wäre, die Schulden auch fristgerecht zurückzuzahlen.
Aber die Kreditgeber waren gierig und spekulativ, auch die Spekulationen gehören zum Geschäft der Kreditvergabe. Man spekuliert und wettet darauf, dass der Kreditnehmer seine Schuld bezahlen wird. Dabei ist dem professionellen Geldgeber egal, wie der Kreditnehmer das macht.
Wenn der Kreditgeber gewinnt, dann hat er eine Menge Profit gemacht und der Kreditnehmer idealerweise keinen Verlust, sondern auch einen Gewinn, weil er beispielsweise eine starke, florierende Firma aufbauen konnte.
Die Kreditgeber waren zu risikoreich und zu gierig, sie gaben gerne und Griechenland nahm gerne, beide waren glücklich, Griechenland freute sich über sein angenehmes Leben und die Kreditgeber über ihren schon erwarteten Gewinn, den sie zum Teil schon wieder verplant hatten.
Termingeschäfte sind in dem Zusammenhang ein dickes Ding. Du kaufst heute für 100 Millionen Euro ein Produkt und vereinbarst, dass du es erst in zwei Jahren zahlen musst, weil du ja davon ausgehst, dass du in zwei Jahren 100 Millionen von der griechischen Regierung zurückbekommst, dein verliehenes Geld inklusive Zinsen.
Oder möglicherweise hast du auch vorher mit jemandem vereinbart, dass du seine 50 Millionen Euro investierst und er zu einem bestimmten Zeitpunkt dann einen garantierten Profit von 100 Millionen herausbekommt. Der Betrag, den du von der griechischen Regierung zu bekommen hoffst.
Dummerweise aber war und ist der griechische Staat nicht in der Lage, die sich auftürmenden Schulden zurückzuzahlen
Zu schwache Wirtschaft, zu geringe Steuereinnahmen wegen schwacher Wirtschaft und Egoismus, der häufig grade bei den Vermögenderen dazu führte, dass sie sich sehr viel Geld in die Tasche steckten.
Der Staat hat über seine Verhältnisse gelebt, weil er nicht mehr in der Lage ist, aus eigener Kraft seine Schulden zu bedienen.
Die Schulden fallen aus oder würden ausfallen, wenn nicht ein anderer Geldgeber einspränge. Am normalen Geldmarkt aber bekam (bekommt) Griechenland kaum noch Geld oder gar keines, es sei denn, es bietet den potenziellen Geldgebern ein so gutes (und für Griechenland sehr schlechtes) Geschäft an, dass die Geldgeber nicht widerstehen können.
Das sind extrem hohe Zinssätze oder Risikoaufschläge beispielsweise.
Der Geldgeber ist sehr skeptisch, weil du deine Schulden nicht bezahlen kannst, also musst du ihm sagen:,,Hey, kein Problem, wenn du mir Geld gibst, kriegst du nicht dein Geld plus 10% wieder, sondern plus 30 oder 40!"
Eine andere Möglichkeit sind staatliche Akteure, IWF, Europäische Zentralbank, EU, Einzelstaaten...
Die wiederum springen nur dann als Geldgeber ein, wenn ein Kreditausfall sie selbst schädigen würde.
Beispiel: Deutsche Banken hielten (halten) bedeutende Teile griechischer Staatsanleihen.
Geht Griechenland pleite und bezahlt seine Schulden nicht, ist das Geld dieser Banken weg.
Die Banken sind aber Versprechungen eingegangen, sie haben ihren Anlegern versprochen, diese könnten soundsoviel Gewinn machen. Oder die Banken haben Termingeschäfte getätigt und müssen selbst Kredite bezahlen.
Verlieren sie ihr Geld, gehen sie eventuell ebenso pleite, wie Griechenland.
Gehen sie pleite, verlieren viele Sparer und Anleger in Deutschland ihr Geld oder auch internationale Geschäftspartner, weil die Banken nicht mehr deren Produkte bezahlen können.
Und Unternehmen bekommen keine Kredite mehr für Investitionen und müssen vielleicht Personal entlassen.
Was letztlich zu geringeren Einnahmen und höheren Belastungen für Deutschland führt.
Dies wird man dann der dt. Politik anlasten, das Volk wird sauer, die Chance steigt, dass die Politiker abgewählt werden.
Und allgemein sinkt der Lebensstandard.
Der deutschen Regierung war deshalb so an der Griechenlandrettung gelegen, weil ein Fall Griechenlands zumindest früher katastrophale Auswirkungen auf Deutschland gehabt hätte.
Heute sind die Abhängigkeiten etwas geringer, daher sind auch die Deutschen zurückhaltender bei der ,,Rettung" geworden.
Nun kann man dem deutschen Volk aber nicht einfach sagen:,,Wir müssen Griechenland unbedingt retten, sonst verlieren wir Geld und Lebensstandard."
Denn für den gewöhnlichen Bürger sieht es so aus, als ob Griechenland high life gemacht hätte auf Pump, während D. solide wirtschaften und teils harte Reformen bewältigen musste. Es sieht so aus, als ob die deutsche Politik und deutsche ,,Spitzenmanager" zu blöd oder zu gierig waren, um zu erkennen, dass Griechenland lieber keine Kredite hätte bekommen sollen.
Keine guten Voraussezungen für Wiederwahl deutscher Politiker.
Außerdem begreift auch bei weitem nicht jeder dt. Bürger, dass es für ihn schlecht wäre, wenn deutsche Banken kaputt gehen.
Also dringt man gegenüber Griechenland auf harte Reformen und Einschnitte, um das dem deutschen Volk zu verkaufen:,,Schaut, Griechenland muss ordentlich was dafür tun, damit wir Geld geben, jawohl!"
Für das griechische Volk bedeuten diese Reformen massive Einschnitte und Absenkung ihres gewohnten Lebensstandards.
Weil sie zum Beispiel nicht so sehr realisieren wollen, dass ihr relativer Wohlstand eigentlich auf Illusionen basierte, weil sie nicht realisieren wollen, dass sie sich haben kaufen lassen von der Politik.
Die griechische Politikerkaste will auch nicht als Übeltäter dastehen und lässt daher ihre eigenen Fehler aus Gier und Blauäugigkeit unter den Tisch fallen.
Generell ist ein ,,weiter so" den meisten angenehmer, als Reformen und Senkung des Lebensstandards, das will man möglichst auf keinen Fall.
Weil es sehr unbequem werden kann.
Und auch, weil das heisst, dass man ,,dumm dasteht" als jemand, der nicht richtig wirtschaften kann, als Faulpelz und Cheater, den man jetzt ganz genau kontrollieren muss. Das ist unangenehm, das ist peinlich.
Daher nimmt Griechenland die Haltung ein:,,Hey, stellt euch nicht so an, Deutsche, ihr habt doch so viel Kohle. Gebt einfach mal was her!"
Daher zaubern griechische Politiker solche Späße aus dem Hut, wie angeblich ausstehende Reparationen und Kredite aus dem Zweiten Weltkrieg.
Griechenland hat nicht nur sein letztes Hemd verloren, sondern auch noch die Unterhose und steht nackt da.
Ich denke aber:
Tatsache ist, dass man einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen kann und niemandem geholfen ist, wenn man Griechenland noch weiter demütigt durch strengste Reformen und Kontrollen.
Meiner Meinung nach sollte man, wo es möglich ist, das Geflecht der Schulden auflösen und in DEM Zusammenhang sagen:,,So, wir heben deine Schuldenbelastung auf, Griechenland, nimm deine Klamotten und sorg dafür, dass sowas nicht nochmal vorkommt."
Das Ziel sollte insgesamt sein, eine Wiederholung der Krise zu verhindern, statt zu versuchen, doch noch alle Schulden einzutreiben.
Die (Finanz)Welt sollte das als Lehre betrachten.
Denn in ihrer Gier und Selbstgefälligkeit haben ALLE in die Finanz- und Wirtschaftskrise involvierten fröhlich Ringelreihe getanzt.