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Hafez: "Der Islam ist in Europa schon lange keine Religion mehr"
12.01.2015 um 07:23Hafez: "Der Islam ist in Europa schon lange keine Religion mehr"
Der Islam werde von mehreren Seiten als Projektionsfläche gebraucht, sagt Politologe Farid Hafez - dass Pegida-Anhänger "besorgt" seien, bezweifelt er
STANDARD: Werden die Anschläge in Paris ein Zusammenrücken in der Gesellschaft zur Folge haben werden? Schließlich schossen hier Muslime auf einen Muslim, das Erklärungsmuster "Muslime gegen Christen" greift also nicht.
Farid Hafez: Das hätte man auch nach 9/11 sagen können – auch da waren Muslime Opfer. Ich glaube: Bei allem, was wir jetzt erleben, sind die Realitäten nicht ausschlaggebend. Sondern alles hängt davon ab, wie die Vorgänge von den politischen Akteuren verarbeitet und für ihre Zwecke verwendet werden: Marine Le Pen und HC Strache werden sich bestätigt fühlen.
STANDARD: Zu Recht? Hat sich in Paris erfüllt, wovor die FPÖ lange gewarnt hat?
Hafez: Es geht hier gar nicht um den Islam. Der Islam ist vor allem eine Projektionsfläche geworden, er ist in Europa schon lange kein Religion mehr. In den 1980er-Jahren wurden soziale Auseinandersetzungen ethnisiert – es ging gegen Zuwanderer. Heute werden sie religionisiert. In Paris waren nicht nur die Mörder Muslime, sondern auch Ermordete und die Rettungskräfte, die den Verletzten das Leben retteten - aber am Ende bleiben in den Köpfen nur die Mörder übrig. Der Islam erklärt hier gar nichts.
STANDARD: In den letzten Wochen sind aber gerade im Feuilleton und in den Leitartikeln jene Erklärungen, wonach "der Islam" an sich bedrohlich sei, wieder en vogue. Woran liegt das?
Hafez: Ja, schon vor Charlie Hebdo hat es nur so gestaubt vor Artikeln, die zum Teil sehr stark islamophob geprägt waren. Für mich erklärt sich das aus einem Diskurs, der zurzeit die gesamte Gesellschaft umfasst: Die Gleichsetzung von Islam und Terror ist so stark eingeprägt, dass sie mittlerweile als unhinterfragte Wahrheit gilt. Darum wird Charlie Hebdo keinen Paradigmenwechsel herbeiführen. Vor Charlie Hebdo war es die Debatte über IS und Jihadismus. Wirklich neu ist da wenig.
STANDARD: Warum gibt es diese Faszination vieler nichtmuslimischer "Opinion leader", den Islam "erklären" zu wollen?
Hafez: Sartre sagte, der Antisemitismus sage mehr über den Antisemiten aus als über den Juden. Ähnlich ist es mit der Islamophobie. Die Islamophobie erklärt uns wenig darüber, was in der Welt und bei den Muslimen passiert – aber viel darüber, was in uns passiert. Nehmen wir zum Beispiel die Ansicht, wonach das Christentum die "aufgeklärte Religion" sei. Das ist erstens eine völlige Vereinfachung und zweitens historisch falsch. Die katholische Kirche hat sich bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil äußerst schwer getan mit der Demokratie. Man erklärt ja nicht nur die Muslime pauschal zu den Bösen, sondern gleichzeitig wäscht man sich selbst rein. Dazu kommt, dass die Charlie Hebdo-Geschichte ja etwas verdeckt, was in Österreich weniger bedeutsam ist, in Frankreich aber sehr dominant: die Geschichte der Kolonialisierung. Frankreich legitimiert ja auch Kriege, die es führt, mit islamophober Argumentation. Dazu kommen soziale Konflikte: Frankreich hat sieben Prozent Muslime, die stellen aber 60 Prozent der Gefängnispopulation.
STANDARD: Wo endet die berechtigte Kritik an Radikalisierungstendenzen im europäischen Islam, wo beginnt die Islamophobie? Wo ziehen Sie hier die Grenze?
Hafez: Die Islamophobie beginnt dort, wo wir aufhören, über den Einzelfall als Einzelfall zu sprechen. Niemand ist nach Breivik auf die Idee gekommen, die Katholische Kirche verantwortlich zu machen oder von jenen katholischen Verbänden, in deren Umfeld er sich bewegt hat, zu verlangen, dass sie sich von ihm distanzieren. Niemand hat Henryk Broder und andere Mainstream-Journalisten, die Breivik öfters zitiert hat, diskreditiert. Im Gegenteil: Vier Tage nach den Ereignissen hat man begonnen zu vermuten, dass Breivik in Wahrheit ein Anhänger Osama Bin Ladens sei. Das ist ein unheimliches Paradox. Ich denke: Wo Kritik notwendig ist, muss man sie anbringen. Aber was sagt uns Charlie Hebdo über die Muslime aus? Meine Erklärung für den Jihadismus ist, dass der Islam die politische Ideologie der Unterdrückten geworden ist. Wir gedenken heute Charlie Hebdo, aber wer gedenkt der Drohnenopfer in Afghanistan? Diese Einseitigkeit unterfüttert die Motivation jener Unterprivilegierten, Ausgegrenzten, die dann zu politischen Ideologien wie dem Jihadismus greifen.
STANDARD: Befreit nicht eine solche Erklärung die Täter aus ihrer Verantwortung – à la "Sie konnten ja gar nicht anders"?
Hafez: Nein, das unterstreiche ich keinesfalls. Ich versuche es zu erklären. Ich kann auch Breivik zu erklären versuchen – das heißt nicht, dass ich seine Tat entschuldige. Wenn jemand über 30 Jahre alt ist, keine Familie, keinen Beruf, kein soziales Netz und keine Perspektive hat, liegen die Probleme anderswo. Ich glaube nicht, dass man das Phänomen Jihadismus komplett ausradieren kann – aber wenn man diesen Menschen eine Vision gibt, kann man es zumindest quantitativ einschränken.
Weiter im Interview: Siehe Quelle.
Quelle: http://derstandard.at/2000010249228/Hafez-Der-Islam-ist-in-Europa-schon-lange-keine-Religion?ref=rss
Der Islam werde von mehreren Seiten als Projektionsfläche gebraucht, sagt Politologe Farid Hafez - dass Pegida-Anhänger "besorgt" seien, bezweifelt er
STANDARD: Werden die Anschläge in Paris ein Zusammenrücken in der Gesellschaft zur Folge haben werden? Schließlich schossen hier Muslime auf einen Muslim, das Erklärungsmuster "Muslime gegen Christen" greift also nicht.
Farid Hafez: Das hätte man auch nach 9/11 sagen können – auch da waren Muslime Opfer. Ich glaube: Bei allem, was wir jetzt erleben, sind die Realitäten nicht ausschlaggebend. Sondern alles hängt davon ab, wie die Vorgänge von den politischen Akteuren verarbeitet und für ihre Zwecke verwendet werden: Marine Le Pen und HC Strache werden sich bestätigt fühlen.
STANDARD: Zu Recht? Hat sich in Paris erfüllt, wovor die FPÖ lange gewarnt hat?
Hafez: Es geht hier gar nicht um den Islam. Der Islam ist vor allem eine Projektionsfläche geworden, er ist in Europa schon lange kein Religion mehr. In den 1980er-Jahren wurden soziale Auseinandersetzungen ethnisiert – es ging gegen Zuwanderer. Heute werden sie religionisiert. In Paris waren nicht nur die Mörder Muslime, sondern auch Ermordete und die Rettungskräfte, die den Verletzten das Leben retteten - aber am Ende bleiben in den Köpfen nur die Mörder übrig. Der Islam erklärt hier gar nichts.
STANDARD: In den letzten Wochen sind aber gerade im Feuilleton und in den Leitartikeln jene Erklärungen, wonach "der Islam" an sich bedrohlich sei, wieder en vogue. Woran liegt das?
Hafez: Ja, schon vor Charlie Hebdo hat es nur so gestaubt vor Artikeln, die zum Teil sehr stark islamophob geprägt waren. Für mich erklärt sich das aus einem Diskurs, der zurzeit die gesamte Gesellschaft umfasst: Die Gleichsetzung von Islam und Terror ist so stark eingeprägt, dass sie mittlerweile als unhinterfragte Wahrheit gilt. Darum wird Charlie Hebdo keinen Paradigmenwechsel herbeiführen. Vor Charlie Hebdo war es die Debatte über IS und Jihadismus. Wirklich neu ist da wenig.
STANDARD: Warum gibt es diese Faszination vieler nichtmuslimischer "Opinion leader", den Islam "erklären" zu wollen?
Hafez: Sartre sagte, der Antisemitismus sage mehr über den Antisemiten aus als über den Juden. Ähnlich ist es mit der Islamophobie. Die Islamophobie erklärt uns wenig darüber, was in der Welt und bei den Muslimen passiert – aber viel darüber, was in uns passiert. Nehmen wir zum Beispiel die Ansicht, wonach das Christentum die "aufgeklärte Religion" sei. Das ist erstens eine völlige Vereinfachung und zweitens historisch falsch. Die katholische Kirche hat sich bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil äußerst schwer getan mit der Demokratie. Man erklärt ja nicht nur die Muslime pauschal zu den Bösen, sondern gleichzeitig wäscht man sich selbst rein. Dazu kommt, dass die Charlie Hebdo-Geschichte ja etwas verdeckt, was in Österreich weniger bedeutsam ist, in Frankreich aber sehr dominant: die Geschichte der Kolonialisierung. Frankreich legitimiert ja auch Kriege, die es führt, mit islamophober Argumentation. Dazu kommen soziale Konflikte: Frankreich hat sieben Prozent Muslime, die stellen aber 60 Prozent der Gefängnispopulation.
STANDARD: Wo endet die berechtigte Kritik an Radikalisierungstendenzen im europäischen Islam, wo beginnt die Islamophobie? Wo ziehen Sie hier die Grenze?
Hafez: Die Islamophobie beginnt dort, wo wir aufhören, über den Einzelfall als Einzelfall zu sprechen. Niemand ist nach Breivik auf die Idee gekommen, die Katholische Kirche verantwortlich zu machen oder von jenen katholischen Verbänden, in deren Umfeld er sich bewegt hat, zu verlangen, dass sie sich von ihm distanzieren. Niemand hat Henryk Broder und andere Mainstream-Journalisten, die Breivik öfters zitiert hat, diskreditiert. Im Gegenteil: Vier Tage nach den Ereignissen hat man begonnen zu vermuten, dass Breivik in Wahrheit ein Anhänger Osama Bin Ladens sei. Das ist ein unheimliches Paradox. Ich denke: Wo Kritik notwendig ist, muss man sie anbringen. Aber was sagt uns Charlie Hebdo über die Muslime aus? Meine Erklärung für den Jihadismus ist, dass der Islam die politische Ideologie der Unterdrückten geworden ist. Wir gedenken heute Charlie Hebdo, aber wer gedenkt der Drohnenopfer in Afghanistan? Diese Einseitigkeit unterfüttert die Motivation jener Unterprivilegierten, Ausgegrenzten, die dann zu politischen Ideologien wie dem Jihadismus greifen.
STANDARD: Befreit nicht eine solche Erklärung die Täter aus ihrer Verantwortung – à la "Sie konnten ja gar nicht anders"?
Hafez: Nein, das unterstreiche ich keinesfalls. Ich versuche es zu erklären. Ich kann auch Breivik zu erklären versuchen – das heißt nicht, dass ich seine Tat entschuldige. Wenn jemand über 30 Jahre alt ist, keine Familie, keinen Beruf, kein soziales Netz und keine Perspektive hat, liegen die Probleme anderswo. Ich glaube nicht, dass man das Phänomen Jihadismus komplett ausradieren kann – aber wenn man diesen Menschen eine Vision gibt, kann man es zumindest quantitativ einschränken.
Weiter im Interview: Siehe Quelle.
Quelle: http://derstandard.at/2000010249228/Hafez-Der-Islam-ist-in-Europa-schon-lange-keine-Religion?ref=rss