@autodidakt<"Woher ziehst Du die Erkenntnis, das Johannesevangelium sei verfälscht? Fälschung hin oder her bezog sich darauf, dass es letztlich irrelevant ist, auf die Quintessenz kommt es an. Daran ist oder war den Wissenschaftlern natürlich nie gelegen. Der Laie geht schon danach, was drauf und drin steht, da bedarf es nicht irgendwelcher Neuauslegungen oder Verifikationen von Wissenschaftlern. ">
Ich beziehe mich DARAUF, daß man heuzutage weiß, daß das sog. Johannesevangelium, wie auch die apokryphen Texte, die unter dem Namen Johannes bekannt sind, NICHT von Johannes stammen können. Das Evangelium stammt eindeutig vom Preybyter Johannes aus Ephesssos. Er nennt sich ja auch in zweien der Johannesbriefe "Presbyter".
Die gesamte kritische Bibelwissenschaft spricht SEIT ÜBER 100 JAHREN im Anschluß an die schon 1820 erschienene scharfsinnige Schrift des Theologen Karl Theofil Bretschneider und die Arbeiten von D. F. Strauß und F. C. Baur dem Apostel Johannes das Vierte Evangelium ab. Und ihre Reihen, wie man selbst auf katholischer Seite zugeben muß, haben seit den 60-er Jahren durch eine Anzahl sogar mehr konservativer Forscher noch Verstärkung erhalten.
Entstanden ist das Evangelium FRÜHESTENS um das Jahr 100 n. Chr. - Das Martyrium des Apostels aber war schon Jahrzehnte vorher erfolgt.
Gegen die Autorschaft spricht nämlich vor allem folgendes: Zum erstenmal behauptet sie Irenäus im ausgehenden 2. Jahrhundert. Frühere Bezüge fehlen. Fast alle späteren gehen darauf zurück. Irenäus aber unterliefen dabei bedeutsame Fehler. So hat er den Apostel Johannes, der ihm zufolge bis ins höchste Alter in Ephesos weilte mit dem um das Jahr 100 dort lebenden Presbyter Johannes verwechselt, vermutlich nicht zufällig.
Wie Bischof Papias bezeugt, hieß DIESER Johannes, eine in Kleinasien offenbar hochangesehene Autorität, um 140 noch Presbyter, wenig später aber schon Apostel.
(Das findet sich in dem Werk von E. Bauer "Das Johannesevangelium" S. 236 - zu verglleichen auch die Behauptung des Irenäus "adv. haer. 5, 33, 4 mit ihrer Bestreitung durch Eusebius h. e. 3, 39 1 ff unter Berufung auf Papias)
Der 2. und 3. Johannesbrief sind es, die die Kirche, wie alle johanneischen Schriften dem Apostel zuerkennt, in denen sich Johannes gleich Eingangs als Presbyter bezeichnet. Warum aber, wenn es der Apostel war?
Warum sprach selbst der Kirchenvater Hieronymus den 2. und 3. Johannesbrief dem Apostel ab?
Namensgleichheit hat die alte Kirche öfter zu vorteilhafter Verwechslung oder Verschiebung genutzt. So ist auch aus dem mehrfach in der Apostelgeschichte genannten Evangelisten Philippus der Apostel Philippus geworden.
Gegen die Identität des Apostel Johannes mit dem vierten Evangelisten spricht auch die Tatsache, daß der beste Kenner kleinasiatischer Kirchenverhältnisse, Bischof Ignatius nichts davon weiß. Nirgends findet sich bei ihm die leiseste Andeutung. Er erwähnt Paulus in einem Brief an die Ephesser, aber mit keiner Silbe den Apostel Johannes, der doch so lange und segensreich dort gewirkt haben soll. Auch zeigen die Briefe des Ignatius nicht den geringsten Einfluß des vierten Evangeliums, das dem Ketzerbekämpfer doch so glänzende Argumente hätte liefern können.
Schwere Bedenken gegen die Abfassung dieses Evangeliums ergeben sich aus dem Charakter der Schrift selbst. Sie wäre anders ausgefallen, wenn der Zebedaide, der Jünger Jesu sie geschrieben hätte, oder würde er auch nur ihr Gewährsmann gewesen sein. Denn der Geist des uns aus den Synoptikern bekannten Apostels hat mit dem des Evangelisten nichts zu tun.
Das vierte Evangelium ist die judenfeindlichste Schrift des neuen Testaments. Seltsam, das der Judenmissionar, eine der "Säulen" der Jerusalemer Gemeinde, zu einem solchen Judenhasser geworden wäre. Und könnte er, der Judenchrist, die paulinische Theologie dort fortgesetzt haben, die dem Johannesevangelium zugrunde liegt, von der judenchristlichen Urgemeinde aber bekämpft worden ist? (Ich zitierte dies einige Beiträge vorher bereits).
Und wie harmonisiert der synoptische Johannes, der "Donnersohn" mit dem stillen, betont passiven Lieblingsjünger des vierten Evangeliums?
Schließlich: Wäre der Apostel Johannes der Verfasser des Evangeliums, hätte er es im Alter von 100 bis 120 Jahren geschrieben, zwei bis drei Generationen nach Jesu Tod.. Das ist aber bei der Wichtigkeit dessen, was er gewußt, völlig unglaubhaft. Wurden doch schon Jahrzehnte früher von anderen, die Jesus gar nicht mehr gekannt haben, Evangelien verfasst. Worauf sollte Johannes so lange gewartet haben? Auf die Gedächtnisschwäche des hohen Alters, mit der man heute die Widersprüche zwischen dem Johannesevangelium und den Synoptikern entschuldigt?
Dabei übersieht und verschweigt man, daß "Johannes" trotz dieser Gedächtnislücken viel längere Jusus-Reden im Kopf behielt als sie! Daß göttliche Inspiration und Erinnerungsdefekte befremdlich kontrastieren.
Bei den Synoptikern beruft Jesus seine ersten Jünger NACH der Verhaftung des Täufers, bei Johannes VORHER.
Bei den Synoptikern beruft er sie in Galiläa, bei Jonannes in Judäa.
Bei den Synoptikern trifft er sie am See Genezareth beim Fischfang, bei Johannes als Jünger von Johannes dem Täufer.
Laut Markus tritt Jesus NACH der Gefangennahme des Täufers durch Herodes öffentlich auf. Im Johannesevangelium hat Jesus zeitweise gemeinsam mit Johannes dem Täufer gewirkt.
Ein so aufsehenerregender Vorgang wie die Tempelreinigung, die bei Matthäus und Lukas am ersten, bei Markus am zweiten Tag von Jesu Einzug in Jerusalem erfolgt, jedenfalls bei ALLEN Synoptikern GEGEN ENDE seiner öffentlichen Tätigkeit, erfolgt bei Johannes AM ANFANG derselben.
Im Gegensatz zu den Synoptikern läßt Johannes von seinem Christus auch Schafe und Ochsen aus dem Tempel treiben. Man verkaufte im Tempel aber gar kein Vieh, sondern nur Tauben.
Jesu Salbung in Bethanien bildet bei Markus den Abschluß seines Wirkens in Jerusalem, bei Johannes geschieht sie schon VOR Einzug in diese Stadt.
Seine messianische Würde verbirgt er bei Markus bis zum Verhör vor dem Hohen Priester, also bis in seine letzten Lebenstage, bei Johannes erscheint er im ersten Kapitel als Messias und verlangt auch, überall als solcher anerkannt zu werden.
Jesu Auftreten umfasst bei den Synoptikern, die alle nur EIN Osterfest angeben, ein Jahr: ein Zeitraum, der zwar aus ihrer etwas unzuverlässigen Chronologie nicht mit Sicherheit erschlossen werden kann, doch höchstwahrscheinlich ist. Nach Johannes aber finden sich ZWEI, ja wahrscheinlich DREI voneinander geschiedene Osterfeste. Ihm zufolge dauerte Jesu Wirken mindestens zwei oder, wie schon Origenes und Hyronymus meinte , drei Jahre.
'Origenes berichtete auch, daß angesichts der Widersprüche besonders zwischen synoptischer und johanneischer Überlieferung viele Christen die Evangelien für unwahr gehalten und den Glauben an sie aufgegeben haben.
Der große Kirchenvater mahnte denn auch schon damals demgegenüber, auch in dem allenfalls historisch Falschen nach der geistigen Wahrheit zu suchen und sich DARAN zu halten.
Es hat sich nicht viel geändert in 1.700 Jahren.
Im Übrigen ist dieses zu Beginn des 2, Jahrhunderts vermutlich in Asien oder Syrien entstandene Evangelium einige Jahrzehnte später überarbeitet worden, weil die Kirche das Original verworfen hatte. Wäre es in Kleinasien nicht ZU bekannt gewesen, man hätte es wohl ganz verschwinden lassen, so aber wurde die "ketzerische" Schrift gegen Mitte des 2. Jahrhunderts von einem Redakteur "verkirchlicht". Da er nur Zusätze machte und Streichungen vermied ging dies nicht ohne weitere Wiedersprüche ab.
Im alten Text figurieren die Juden als "Teufelskinder", in der Überarbeitung kommt das Heil von ihnen. Größere kirchliche Einschübe sind die Perikope von der Ehebrecherin und das ganze 21. Kapitel. Es ist am Schlußwort ohne weiteres zu erkennen, daß das Evangelium ursprünglich mit dem 20. Kapitel abschloß.
Die kirchliche Überarbeitung bezweckte unter anderem, das Evangelium als Werk des Lieblingsjüngers Johannes erscheinen zu lassen und die Kirche begann die älteren und theologisch "zurückgebliebeneren" Synoptiker durch das vierte Evangelium zurückzudrängen oder umzudeuten. War dieses doch viel ergiebiger für die großkirchlichen Zwecke, insofern mit seinem Christus - und damit knüpfe ich an den vorangegangenen Beitrag wieder an - der Vergottungsprozeß Jesu fast vollzogen ist.
Der geschichtliche Jesus spielt in diesem bereits hochgradig theologisch und apologetisch bestimmten Evangelium kaum noch eine Rolle.
Nach eigenem Zeugnis wurde es geschrieben zum Erweis der Göttlichkeit Christi!
Das kybernetische Äquivalent von Logik ist Oszillation.
Ganz unten auf dem Grunde des Lebendigseins treffen wir auf die Metapher. (Gregory Bateson)