Versuch eines Psychogramms
Der Endzeitherrscher Putin
Wer ist Putin? Die Frage ist heute genauso aktuell wie damals vor 14 Jahren, als er zum ersten Mal russischer Präsident wurde. Das Buch von Stanislaw Belkowski ist ein irrlichternder Versuch eines Psychogramms.
Die Ankündigung des russischen Politologen Stanislaw Belkowski klingt vollmundig: die ganze Wahrheit über Putin. Auch wenn es schon viele Bücher über den russischen Präsidenten gebe, hätten alle bisherigen Publikationen Putin nicht erklärt, meint der in Russland bekannte Polittechnologe, dessen Buch «Wladimir» vor kurzem auf Deutsch erschienen ist. Seit der Zuspitzung der Ukraine-Krise herrscht verstärkt Bedarf daran, Putin zu verstehen; auch wenn das Urteil oft schon feststeht. Befürworter Putins halten ihn für den Retter Russlands, Gegner sehen in ihm einen tyrannischen Herrscher.
Totengräber des Imperiums
In den Augen Belkowskis ist Putin ein von Geschäftsinteressen Getriebener, unter ihm floriere die Korruption. Der zweite Pfeiler der «Oeconomica putina» sei der Glaube an eine «Tischlein-deck-dich-Wirtschaft», die auf staatliche Ressourcen zurückgreife. Imperiales Gehabe sei nur Rhetorik, Putin sei die Verkörperung der Interessen der Elite, die eine Versöhnung mit dem Westen wolle. Zudem habe er das russisch-sowjetische Imperium weiter ausgehöhlt.
Belkowski sieht in Putin einen Endzeitherrscher, der den Zerfall möglicherweise verlangsamt, aber nicht aufhalten kann. Nach Putin könnte ein europäischer Nationalstaat entstehen. Das Buch erschien vor der Annexion der Krim durch Russland, manches erscheint obsolet. In einer Reaktion auf die Krim-Krise schrieb aber der Politologe, dass Russland nun die Chance vertan habe, ein europäisches Land zu werden. Zugleich sei das russische Imperium zu Grabe getragen worden.
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