http://www.rhein-zeitung.de/region/lokales/koblenz_artikel,-Schemmer-Prozess-Doppelmord-an-Schwiegereltern-_arid,1087507.htmlSchemmer-Prozess: Doppelmord an SchwiegerelternKoblenz - Am 5. August herrscht Ausnahmezustand am Landgericht Koblenz: Noch vor Sonnenaufgang sitzen Menschen in Klappstühlen vor dem Eingang und warten. Als sie hinein dürfen, laufen sie zum Saal 128 und stellen sich an. Es werden immer mehr Menschen, schließlich sind es gut 100.
Von unserem Redakteur Hartmut Wagner
Da öffnet ein Wachtmeister die Tür zum Saal - und sie strömen hinein, viele drängeln, manche streiten und schimpfen. Nicht alle bekommen einen Platz, einige müssen draußen bleiben.
Es ist der letzte Tag im spektakulären Doppelmordprozess gegen Henrike Schemmer. Jeder will dabei sein, wenn das Urteil fällt. Um 14 Uhr ist es soweit. Der Vorsitzende Richter Ralf Bock tritt am Kopf des prall gefüllten Saales ans Mikrofon und verkündet: Henrike Schemmer ist eine Doppelmörderin, sie hat ihre Schwiegereltern Waltraud (68) und Heinrich (75) Schemmer erstochen. Der Richter stellt die besondere Schwere der Schuld fest. Darum hat Henrike Schemmer, wenn das Urteil rechtskräftig wird, auch nach 15 Jahren Haft keine Chance, frei zu kommen.
Der Prozess dauerte gut ein halbes Jahr, hatte 24 Verhandlungstage. Aber die Angeklagte sagte nur drei Sätze. Am ersten Prozesstag: "Ich werde schweigen." Am 23. und 24. Prozesstag: "Ich habe die Tat nicht begangen." Im Videoverhör bei der Polizei war sie gesprächiger - und erzählte sieben Stunden lang über sich, ihre Familie und die Tatnacht. Einige Prozessbeobachter sagen: Hätte sie bei der Polizei die Aussage verweigert, wäre sie wohl nicht verurteilt worden.
Die Koblenzer Bluttat beschäftigte sehr viele Menschen. Vor allem weil Henrike Schemmer laut Anklage eiskalt tötete, weil sie mit beiden Opfern verwandt war, dreifache Mutter ist und die Tat vehement bestritt. Der Gerichtssaal war fast immer voll. Manche Zuhörer reisten regelmäßig viele Kilometer an, nahmen eigens Urlaub. "Der Fall lässt mich überhaupt nicht mehr los", erzählte eine besonders passionierte Prozessbeobachterin (70) unserer Zeitung. "Mit meinem Mann debattiere ich oft bis spät in die Nacht."
Der Doppelmord wurde durch die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY" bundesweit bekannt. Im Internetforum Allmystery diskutierten Dutzende Menschen über die Tat. Sie nannten sich Willy, Wurstscheibe oder Armleuchter, verfassten gut 25.000 Beiträge.
Als Richter Bock am letzten Prozesstag das Urteil begründet, bricht Henrike Schemmer in Tränen aus. Nach Ansicht des Gerichts ermordete sie ihre Schwiegereltern aus Habgier. Sie wollte, dass ihr Mann (48) umgehend deren Vermögen im Wert von 1,7 Millionen Euro erbt und seiner Familie zukommen lässt.
Laut dem Urteil führte Henrike Schemmer die Tat gnadenlos durch: Sie fuhr am Abend des 7. Juli 2011 mit ihrem BMW von ihrem Wohnort Haren (Niedersachsen) 350 Kilometer nach Koblenz, drang ins Haus ihrer Schwiegereltern ein - und erstach beide. Dann kehrte sie sofort zurück nach Haren. Am 9. Juli fuhr sie mit ihrem Mann und zwei ihrer Töchter zu einem "Überraschungsbesuch" zum Haus ihrer Schwiegereltern. Sie "entdeckten" die Leichen und riefen die Polizei.
Nach der Tat überwachten die Ermittler die Telefonate von Henrike Schemmer - und nahmen sie im Mai 2012 fest. Im Videoverhör verstrickte sie sich in Widersprüche und gab schließlich zu, für die Tatzeit kein Alibi zu haben. Sie schilderte nacheinander drei Versionen der Mordnacht. Erstens: Am 7. Juli war sie bis 21.30 Uhr bei ihrer Nachbarin beim Kaffeetrinken. Dann fuhr sie ihren BMW zu einer Werkstatt, da er am nächsten Morgen repariert werden sollte. Um 21.45 Uhr ging sie wohl zu Bett. Dort wurde sie um 23.45 Uhr von einer ihrer Töchter gesehen. Um 6.30 Uhr wurde sie wach und führte ihre Hunde aus.
Zweitens: Sie war bis etwa 21 Uhr bei ihrer Nachbarin. Dann fuhr sie mit ihrem BMW zu einem Netto-Markt, um Zigaretten zu kaufen. Doch der Laden war geschlossen - und plötzlich sprang ihr BMW nicht mehr an. Sie lief nach Hause, ging schlafen. Am Morgen lief sie wohl zurück, holte den BMW und brachte ihn zur Werkstatt. Drittens: Sie wollte sich in jener Nacht selbst töten, mit dem BMW gegen einen Brückenpfeiler rasen. Sie fuhr zu Hause los - wohin, wisse sie nicht mehr. Jedenfalls Richtung Norden, nicht Richtung Süden, nicht Richtung Koblenz.
Es gab am Tatort keine Spuren, welche die Täterschaft von Henrike Schemmer belegen. Darum begründete das Gericht sein Urteil vor allem mit Zeugenaussagen: Etwa derjenigen eines Motorradfahrers, der den BMW der Angeklagten in der Tatnacht in Koblenz gesehen haben will. Oder derjenigen einer Nachbarin der Angeklagten, die berichtete, dass sie von dieser um ein falsches Alibi gebeten wurde. Doch die Nachbarin geriet selbst ins Zwielicht, da sie im Allmysteryforum über den Doppelmord tratschte.
Die Anwälte von Henrike Schemmer forderten Freispruch für ihre Mandantin. Sie haben gegen das Urteil Revision eingelegt. Bis darüber entschieden ist, werden wohl noch Monate vergehen. Henrike Schemmer sitzt weiterhin in Untersuchungshaft.