@Maya108 Falsches Vertrauen
Gedankenverloren machte Nathan sich wieder auf den Weg zum Haupthaus. Sein Blick schweifte über die Fassade des Landhauses. Es kam ihm plötzlich alles fast erschreckend groß und unheimlich vor.
Wovor hatte er angst? Alles kam ihm wieder so intensiv in den Sinn. Die Gerüche, die Farben. War es früher auch so gewesen? Er winkte mit der Hand ab, so als könne er derlei Gedanken einfach bei Seite
schieben. Was hatte er im Grunde erfahren? Sein alter Freund hatte sich allen Anschein nach verliebt. Mit einem nicht besonders gutem Ende. Aber warum? Irgendwie blieb ein fahler Beigeschmack.
Diese Gedanken beschäftigten ihn noch, als er wieder die Treppe hoch stieg. Oben angekommen wandte er den Kopf und sah in das erschrockene Gesicht von Michael. Und er war ebenso erschrocken. Fast hätte er das Gleichgewicht verloren und wäre die Treppe runter gestolpert. Aber ein instinktiver Griff an das Geländer riss ihn zurück in die Wirklichkeit. Die Männer starrten sich an. Keiner bewegte sich oder sagte nur ein Wort. Nathan hätte auch nicht gewusst, was er hätte sagen sollen. Oder sagen können. Michael stand vor ihm, die Tür soweit angelehnt, das sie den restlichen Körper fast verdeckte.
Aus weit aufgerissenen Augen starrte er sein Freund entgegen. Man konnte sofort sehen, dass er die letzten Tage die Welt ausgesperrt hatte. Sein Gesicht war so blass und eingefallen. Unter den übernächtigten Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Das alte Make-up war fleckig geworden über die Tage. Ein schwarzer Ansatz eines drei- Tage -Bartes zierte sein Gesicht. Seine Lippen blass, fast zu einem Strich verzerrt. Nathan zog scharf die Luft ein. Michael drehte den Kopf zur Seite und hob den Arm, um sein Gesicht zu schützen. „Bitte, Nat....nicht.“ Irritiert wurde der junge Mann lebendig.
„Was denn, Michael. Was nicht?“ Behutsam ging er einen Schritt voran. „Du sollst mich nicht so sehen!“ Fast war er schon wieder im Zimmer. So schnell er konnte war Nathan an der Tür und hielt sie fest.
Er merkte wie Michael versuchte, die Tür zu schließen. Mit seinem Gewicht stemmte er sich sofort dagegen. Dann ließ der Gegendruck plötzlich nach. Michael floh ins Innere des Zimmers. Außer Atem blieb Nathan stehen und griff nach dem Türknauf. Er hörte wie sein Freund innen herumlief. Und dann hörte er ein Schluchzen. „Michael“, sprach er ihn vorsichtig an. “Darf ich rein kommen?“
Die Tür war offen, er hätte einfach den Raum betreten können. Aber ein Gefühl von Respekt hinderte ihn daran, den Raum des Freundes nicht zu betreten. Wieder ein Schluchzen. „Gut. Weil du es bist.“
Nathan atmete erleichtert auf und öffnete die Tür. Die gelben Gardinen des Arbeitszimmers waren zugezogen. Der Raum war in einem dunklen Gelbton gehüllt. Nathan konnte Umrisse des Schreibtisches und der Bücherregale ausmachen. Sie standen rechts von ihm. Auf der linken Seite stand eine Couch, davor scheinbar ein kleiner Tisch. Dahinter schien ein großes Gemälde zu hängen. Am Fenster, direkt vor ihm hatte Michael den Schreibtischsessel geschoben. Nathan wunderte sich darüber, denn aus dem Fenster konnte Michael ja nicht sehen. Das beklemmende Gefühl stieg wieder in seinem Magen auf. Er spürte, wie seine Hände feucht wurden und ihm das Schlucken plötzlich schwer fiel. Aus den Augenwinkeln merkte er, wie sich Michael in der Ecke hinter der Couch verkroch. Fassungslos starrte er auf seinen Freund. Michael Jackson. Das große Idol, der Musiker, das Genie. Dort in der Ecke saß er, hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und weinte. Vorsichtig schob Nathan die Füße voreinander und griff nach der Lehne des Sofas. Er drückte sich an der starren Ledergarnitur vorbei und griff nach Michaels Hand. Sie war absolut kalt. Michael schluchzte auf. „Nein.“ Nathans Griff um das Handgelenk seines Freundes wurde fester. „Steh auf, Michael. Verdammt noch mal steh auf.“ Er war laut geworden und als Michael ihn angsterfüllt anstarrte, verstummte er sofort. Das konnte nicht nur der Schmerz über eine nicht überwundene Liebe sein. Nathan senkte den Kopf. Sandra...bei Sandra hatte er gelitten. Wie ein Tier. Aber er war noch jung gewesen. Er hatte sich in sein Zimmer verkrochen, stundenlang Musik gehört. Essen war ihm ein Gräul gewesen. Monatelang hatte er an nichts anderes denken können, als an – sie. Doch, er konnte Michael verstehen. Es war seine Zeit des Schmerzes. Nie hatte dieser Mensch die Zeit gehabt, ein normales Leben zu führen. Mit Achtzehn war er bereits ein Popstar. Schon dort hatte er nicht mehr unentdeckt in die Öffentlichkeit gehen können.
Jetzt mit 32 Jahren war Michael also das erste Mal die große Liebe begegnet. Einem erwachsenen Mann, der bis dahin vielleicht schon Beziehungen gehabt hatte, bei denen es aber vielleicht nie so war, wie bei dieser einen Begegnung. Diese Cassandra musste ein besonderer Mensch gewesen sein. Er streckte die Hand aus. „Es tut mir leid, Michael“, sagte er leise. “Es tut mir wirklich leid. Ich hätte nicht so reagieren sollen. Ich würde dir gern helfen.“ Wie ein scheuer kleiner Junge blickte sein Freund an ihn hoch. „Ich weiß nicht, ob ich das kann“, sagte er dann leise und zog die Knie eng an seinen
Bauch. Nathan runzelte die Stirn. Dann unternahm er einen neuen Versuch. „Doch, du kannst es. Erinnerst du dich noch, als ich das erste Mal hier auf Neverland war?“ irgendwie musste er beginnen. „ich hatte damals solch eine Angst auf einen Baum zu klettern. Aber am Abend, kurz bevor wir wieder gefahren sind, war ich auf deinem Lieblingsbaum. Weißt du noch?“ Michael nickte und versuchte ein Lächeln. „Du – du hast immer gesagt, es wäre für dich unmöglich, auf so ein hölzernes Ungetüm zu steigen. Du würdest sofort runter fallen und sterben.“ „Ja und du“, fuhr Nathan sofort fort, „ du hast gesagt: Nathan es sind keine Ungetüme. Die Bäume leben und die Bäume sind Freunde.“ „Oh Gott. Das weißt du noch?“ Wieder brach Michaels Stimme. Nathan nickte und trat noch einen Schritt vor.
„ich war damals auf diesem Baum. Und glaub mir ich hatte eine heiden Angst. Aber ich war ganz oben. Du hast da unten gestanden und mir zu gewunken. Und dann hast du gerufen: egal was passiert Nat. Ich bin da und fang dich auf. Ich werde nie diese einzigartige Aussicht vergessen –die Wiese, die Bäume, einfach alles. Du hast es mir ermöglicht, aus mir raus zu wachsen. Und ich habe es geschafft, weil ich dir vertraut habe.“ Der junge Mann machte eine kurze Pause und schürzte die Lippen. „Und jetzt möchte ich dir mein Vertrauen zurück schenken, Michael. Nimm einfach meine Hand und lass mich dir helfen.“ Ein Zögern, ein kleiner Augenblick der Angst. „Es – es ist so schwer. Ich weiß nicht, ob ich das kann.“ „Doch Michael, du schaffst das. Jeder kann alles schaffen. Du musst mir einfach nur
vertrauen.“ „Ich habe Leuten vertraut und es war falsch.“ „Ja, es gibt solche Leute.“ „Sie sind so hinterhältig und gemein.“ „Das stimmt. Und ich kann dir die Entscheidung nicht abnehmen, ob du mir
vertraust.“ Noch immer hielt Nathan ihm die ausgestreckte Hand entgegen. Sein Puls jagte das Blut durch die Adern und der Gedanke, dass sein alter Freund ihm nicht mehr trauen könnte rast durch seinen Kopf. Ihm schien es fast wie eine Ewigkeit bis Michael sie ergriff. Sofort zog er seinen Freund in die Höhe und merkte, dass dieser kaum ein Gewicht ausmachte. Michael fiel ihm förmlich in die Arme und Nathan griff mit der anderen Hand um seinen Rücken, um ihn zu stützen. Während er versuchte, wieder normal zu atmen spürte er, wie der Kragen seines Hemdes feucht wurde.
Aber das war ihm egal. Er war froh, dass Michael seine Entscheidung getroffen hatte. Er hatte beschlossen, ihm sein Vertrauen zu schenken. Sie kannten sich jetzt schon so viele Jahre.
Aber dieser Moment war wirklich etwas besonderes. Denn das Vertrauen von Michael war etwas so zerbrechliches und scheues, dass man sich nicht nur geehrt fühlen konnte sondern sich seiner Verantwortung auch bewusst sein sollte. Bei ihm genau so wie bei allen anderen Menschen. Falsches Vertrauen kann dafür sorgen, dass der Mensch, der enttäuscht wurde, in ernsthafte Probleme gerät.