http://diepresse.com/home/leben/mensch/701562/Michael-Jackson-war-gesuender-als-der-DurchschnittMichael Jackson "war gesünder als der Durchschnitt"
16.10.2011 | 18:13 | von Thomas Vieregge (Die Presse)
Jacksons Leibarzt, Conrad Murray, muss im Verfahren wegen fahrlässiger Tötung einen Rückschlag nach dem anderen einstecken. In den ersten drei Wochen hat die Anklage bisher auf allen Linien gepunktet.
Für die Familie und die Fans Michael Jacksons stand Conrad Murray von Beginn an als Sündenbock fest. Die Indizien sprachen klar gegen den Leibarzt des Popstars – und im Lauf des Verfahrens in Los Angeles erhärten sie sich so sehr, dass Murrays Anwälte ihre Verteidigungsstrategie inzwischen fallen gelassen haben. Die These, wonach Jackson die tödliche Dosis Propofol selbst oral eingenommen habe, ist nach einer Reihe ärztlicher Expertisen in sich zusammengebrochen. Falls nicht noch überraschend neue Zeugen aufgerufen werden, könnte der Prozess wegen fahrlässiger Tötung nächste Woche schneller als erwartet mit einem Schuldspruch zu Ende gehen.
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In den ersten drei Wochen hat die Anklage bisher auf allen Linien gepunktet. Für Murray war ein Tag niederschmetternder als der andere, der 58-Jährige nahm die Niederschläge indessen mit stoischer Ruhe hin. Leibwächter, Sanitäter und Ärzte zeichneten in ihren Aussagen das Porträt eines überforderten Arztes, der sich eine Kette von Fehlleistungen hat zuschulden kommen lassen. „Jackson hätte gerettet werden können“, lautete etwa das Fazit des Kardiologen Alon Steinberg. Der Schlafforscher Nader Kamangar bezeichnete die medizinische Behandlung Jacksons als „unethisch, irritierend und jenseits jeder Vernunft“. Der Mix von Schlafmitteln mit Propofol sei ein „Rezept für ein Desaster“. Das Risiko des Narkosemittels, das nur unter strenger ärztlicher Aufsicht bei Operationen eingeflößt wird, überwiege die Vorteile, erläuterte Gerichtsmediziner Christopher Rogers.
Dass Murray erst nach einer Dreiviertelstunde Jacksons Herzstillstand bemerkte, dass er verspätet den Notruf wählen ließ, dass er Medikamente wegschaffen ließ und dass er ausführlich mit seiner Lebensgefährtin und einer Exfreundin im Nebenzimmer telefonierte, während sein Schützling ins Jenseits schlummerte, sorgte im Gerichtssaal für Geraune. Es wirkte mehr und mehr, als ob der Kardiologe mehr mit seinem komplizierten Privatleben – er hat sieben Kinder mit sechs Frauen – beschäftigt war als mit dem Gesundheitszustand seines Patienten.
Die Staatsanwaltschaft sparte bei der Darlegung des Falls nicht mit Schockeffekten. Nach dem Telefonmitschnitt eines offenkundig schwer zugedröhnten, herumbrabbelnden Jackson präsentierte sie das Autopsiefoto der Leiche des „King of Pop“. Der Jackson-Clan hatte zuvor den Saal verlassen. Der Körper des 1,76 Meter großen und 61 Kilo schweren Mannes, so befand die Obduktion, wies keine Arteriosklerose auf. Zur Verwunderung der Allgemeinheit resümierte Gerichtsmediziner Rogers: „Ich glaube, er war gesünder als die durchschnittliche Person seines Alters.“
Aller Voraussicht nach werden Murrays Anwälte darauf verzichten, den Angeklagten in den Zeugenstand zu rufen. Seine Stimme vernahmen die Jury und die Gerichtskiebitze indessen dennoch. Die Staatsanwaltschaft führte eine 40-minütige Sequenz seiner Einvernahme durch die Polizei zwei Tage nach Jacksons Tod vor. Darin hatte er der Jackson-Familie zu einer Obduktion geraten. Conrad Murray schilderte die Reaktionen des Clans. „Er ist doch nicht tot, oder?“, fragte Mutter Katherine ungläubig. Und Tochter Paris sagte nach einem Weinkrampf, sie habe Angst vor einem Waisendasein. „Ich werde morgen Früh aufwachen, und ich werde meinen Daddy nicht mehr sehen.“
Es waren emotionale Momentaufnahmen in einem Prozess, der das Elend eines medikamentenabhängigen Megastars in einem Paralleluniversum und mit einer kleinen Heerschar an Bediensteten ausleuchtete.
Am Ende kuschelte er mit einer Spielzeugpuppe im Bett und flehte um Propofol, seine „Milch“. Getrieben von Versagensängsten vor seinem im großen Stil inszenierten Comeback gestand er seinem Arzt: „Ich kann sonst nicht funktionieren.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2011)