Das Voynich-Manuskript
25.06.2013 um 19:26
Aus der Süddeutschen vom 24. Juni 2013:
Voynich-Manuskript doch kein Hoax?
Seit 400 Jahren scheitern die Experten daran, das mysteriöse Voynich-Manuskript aus dem 15. Jahrhundert zu entschlüsseln. Manche halten die Dokumente sogar für den Streich eines Betrügers. Einer neuen Studie zufolge könnte das Manuskript jedoch tatsächlich einen sinnvollen Text enthalten.
Lässt sich ein rätselhaftes Dokument, an dem die Fachleute seit 400 Jahren gescheitert sind, doch entschlüsseln? Einige Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass sie im berühmten Voynich-Manuskript Hinweise auf sprachliche Muster entdeckt haben, die tatsächlich mit sinnvollen Begriffen zusammenhängen.
Sie widersprechen damit etlichen anderen Experten, die davon ausgehen, dass die 104 Blätter mit Bildern seltsamer, unbekannter Pflanzen, astronomischen Diagrammen, nackten Frauen und unverständlichen physikalischen Vorrichtungen überhaupt keine Informationen enthalten. Ihnen zufolge handelt es sich vielmehr um eine Fälschung, mit der ein phantasievoller Betrüger im 16. Jahrhundert Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, hereingelegt hat.
Vor einigen Jahren hatte etwa Andreas Schinner von der Johannes Kepler Universität in Linz, Österreich, die Dokumente statistisch analysiert und 2007 im Fachmagazin Cryptologia berichtet: Die Reihen von Symbolen im Manuskript enthalten keine Botschaft, sondern wurden wahrscheinlich mit Hilfe von Buchstaben-Tabellen und Schablonen hergestellt. Textstücke und Absätze ergeben seiner Meinung nach ein zu regelmäßiges, zu konstruiert wirkendes Muster, als dass es sich um einen Text mit sinnvollen Sätzen handeln könnte.
Ähnliche Ergebnisse hatte der Brite Gordon Rugg von der Keele University 2003 veröffentlicht. Er war zu dem Schluss gekommen, dass der Text mit einem Cardan-Gitter, einer Art Schablone, erzeugt worden sein könnte, wie sie im 16. Jahrhundert verwendet wurde.
Doch Marcelo Montemurro, theoretischer Physiker an der University of Manchester, der sich seit Jahren mit den Sprachmustern des Dokuments beschäftigt, hat nun Hinweise darauf entdeckt, dass es vielleicht doch ein Geheimnis gibt, das zu lösen wäre. Gemeinsam mit dem Argentinier Damián H. Zanette vom Instituto Balseiro in Bariloche hat Montemurro das Manuskript mit Methoden der Informationstheorie analysiert. Wie die zwei Wissenschaftler im Fachmagazin Plos One berichten, enthält der Text demnach offenbar eine ähnliche Verteilung von Worten wie sie in realen Sprachen zu finden sind.
Hinweise auf Informationsgehalt
Die Forscher untersuchten die Verteilung von Wortgebilden im Zusammenhang mit den Absätzen, in denen sie auftauchen. So werden im Voynich-Manuskript aufgrund der Zeichnungen fünf Teile unterschieden: Der größte Teil beschäftigt sich mit Pflanzen, die anderen mit Astrologie, Biologie, Pharmakologie und mit Rezepten.
Worte, die besonders häufig in einem der Teile auftauchen, in den anderen jedoch nicht oder selten, haben den Forschern zufolge mehr Informationsgehalt als solche, die über das gesamte Manuskript verteilt sind. Auf diese Weise sammelten sie 30 Wortgebilde mit dem mutmaßlich größten Informationsgehalt - allerdings ohne dass bislang auch nur annähernd klar ist, was sie tatsächlich bedeuten.
Außerdem stellten sie fest, dass bestimmte Wortgebilde nicht nur auffällig häufig im Teil über Pflanzen auftauchten, sondern auch im pharmakologischen Teil. Zugleich zeichnen sich beide Teile durch viele Zeichnungen von Pflanzen aus. Die Wissenschaftler vermuten deshalb, dass sich sowohl in den Bildern als auch in den Worten die thematische Ähnlichkeit dieser zwei Teile wiederspiegelt.
Nicht ganz so stark, aber den Forschern zufolge doch erkennbar ist der Zusammenhang zwischen den Worten im astrologischen Teil und den "Rezepten". Zwar enthält letzterer Teil nur wenige Zeichnungen, darunter ist jedoch eine Sternenblume, wie sie auch im Astrologie-Teil zu finden ist.
"Diese Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass es einen Zusammenhang zwischen der linguistischen Struktur und den Zeichnungen im Text gibt", schreiben Montemurro und Zanette. Zwar müssten das Geheimnis des Ursprungs und der Bedeutung des Textes noch immer gelöst werden. Aber immer mehr Hinweise würden gegen die Betrugs-Hypothese und für die Existenz einer echten linguistischen Struktur hinweisen.
Es bleiben Zweifel
Rugg ist von Montemurros Fazit nicht überzeugt. Seit Jahrzehnten gingen die Forscher bereits davon aus, dass die statistischen Eigenschaften des Textes denjenigen einer realen Sprache zwar ähneln, aber nicht identisch seien, sagte er der BBC. Und zu viele Eigenschaften des Textes seinen völlig anders als in irgendeiner echten Sprache.
Wie die BBC berichtet, bleibt Montemurro dabei, dass die von ihm entdeckten semantischen Muster in einer Fälschung nicht enthalten sein dürften.
Das Voynich-Manuskript wurde 1912 von Wilfrid Voynich in einer Villa im italienischen Frascati entdeckt. Aus einem beiliegenden Brief ging hervor, dass möglicherweise Rudolf II. von Habsburg die Papiere für 600 Dukaten gekauft und dann seinem Hofpharmazeuten Jakub Horcicky überlassen hatte. Dann gingen sie an einen Alchemisten in Prag, von diesem an einen Naturwissenschaftler ebendort. Ab 1666 war es möglicherweise Teil der Bibliothek des Jesuitenordens in Rom und geriet aufgrund politischer Unruhen ins Jesuitenkolleg in der Villa Mondragone bei Frascati, wo es von Voynich entdeckt wurde. Wie bereits seine Besitzer in Prag haben seitdem unzählige Experten vergeblich versucht, das Dokument zu entschlüsseln.
2009 ergab eine Analyse mit der Radiokarbonmethode, dass das verwendete Pergament aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammt, auch die Tinte scheint etwa in dieser Zeit aufgetragen worden zu sein. Dies spricht dagegen, dass das Dokument, wie es Rugg 2003 noch annahm, mit einem Cardan-Gitter angefertigt wurde. Diese Schablonen existierten zu dieser Zeit noch nicht.
Heute befindet sich das Manuskript in der Beinecke Rare Book and Manuscript Library der Yale University, USA. Im Internet sind die Seiten hier zu finden.