Spiritualität & Intellektualität - Widerspruch?
12.03.2005 um 04:06
Ich verweise hier ausdrücklich auf den letzten Beitrag - Seite 19 (sonst wird die oben gemachten Bemerkungen nicht verständlich - Danke).
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Aus Evangelische Kommentare, Heft 3 1989
Zum Verhältnis zwischen Naturwissenschaften und Theologie:
Hoimar von Ditfurth:
Ein Defizit gibt es auf beiden Seiten. Ich werde von manchen meiner Kollegen wegen meiner religiösen Interessen (nachsichtig) belächelt. Ein entscheidendes Defizit erkenne ich freilich auf der Seite der Theologen. Viele behaupten nämlich immer noch, man könne, wenn man die Evolution für wahr hält, die Welt nicht mehr als göttliche Schöpfung wahrnehmen, sondern nur noch als ein Produkt des Zufalls. Das ist Unsinn.
Was die Leute, die sich gegen den Zufall wehren, übersehen, ist die Tatsache: Ohne den Zufall wäre das Ganze eine sinnleere Maschine. Zufall und Notwendigkeit müssen zusammenwirken. Der Zufall ist nicht nur, wie die religiösen Kritiker sagen, ein Synonym für Chaos, für das Durcheinander, das Fehlen von Ordnung, für ein Maximum an Entropie; sondern eine Beimengung von Zufall ist - wie das Salz in der Suppe - notwendig, damit überhaupt Freiheitsräume entstehen können, damit sich etwas verändern kann. Verantwortung, liebende Zuwendung, Wahrnehmung des Ganzen - das alles wäre ohne diesen Freiheitsraum, in einer durchdeterminierten Welt, überhaupt nicht denkbar ...
Ditfurth lehnt den Kreationismus ( Gott hat die Arten eigens geschaffen; es gibt keine Übergänge) als <bejammernswert törichte Lehre> ab, weil hier Gott als Lückenbüßer missbraucht wird für das, was die Naturwissenschaften noch nicht erklären können. Das was sich erklären läßt, hätte demnach weniger mit Gott zu tun. Er gesteht aber den Menschen ein <metaphysisch religiöses Bedürfnis> zu, dessen Berechtigung von der Naturwissenschaft bestätigt werde.
Je mehr ich mich in die Kosmologie oder in die Mikrophysik einarbeite, desto mehr werde ich mit der Nase darauf gestoßen, daß diese materielle Welt gar nicht im klassischen Sinne materialistisch zu deuten, daß sie vielmehr ein unerschöpfliches Geheimnis darstellt. Dadurch wird meine Bereitschaft bestärkt, davon auszugehen, daß diese Welt nicht das letzte Wort ist. Aber das genügt uns Menschen nicht. Wir wollen etwas hören über Gott, über die Ordnungsmacht, die das Ganze lenkt, und über unsere persönliche Beziehung zu dieser Ordnungsmacht.
Ditfurth lehnt den Glauben an eine personale Gottheit ab, vertritt als Naturwissenschaftler jedoch die Ansicht, dass das <Setzen dieser Spielregeln am Anfang (des Universums)> kein Zufall sei.
Kommentare: Und in diesem Zusammenhang wären sie als Wissenschaftler in der Lage, von einer Schöpfung zu sprechen?
Ditfurth: Ohne jede Einschränkung. Irgendein Wille muß die Welt gewollt und diese Spielregeln erdacht und festgelegt haben. Aber <jemand> ist schon wieder personal gedacht und insofern ein fragwürdiger Begriff.
Ditfurth zufolge wird sich die Tendenz der Materie, sich zu immer komplexeren Systemen zu organisieren, fortsetzen und sie wird die Fähigkeit aufbringen, <sich mit diesem Geist zu vermählen.>
Da auch der Mensch sich weiter entwickeln wird, sind die gegenwärtig lebenden Menschen die <Neanderthaler der Zukunft>
Denn wir sind ja noch nicht das, was wir meinen, wenn wir vom Menschen reden. Ein Mensch würde nicht unmenschlich handeln - und das tun wir fortwährend.
Im Mittelpunkt aller Überlegungen, die sich aus dieser anderen Perspektive anbieten, scheint mir heute die Möglichkeit zu stehen, die Evolution als den Augenblick der Schöpfung zu begreifen. Das ist ganz wortwörtlich gemeint. Ich halte es für sinnvoll, ernstlich darüber nachzudenken, ob es sich bei dem Prozeß, der sich unseren unvollkommenen Gehirnen als der so quälend langwierig sich hinziehende Prozeß der kosmischen und biologischen Entwicklung präsentiert, in Wahrheit nicht um den Augenblick der Schöpfung handeln konnte.
Das kybernetische Äquivalent von Logik ist Oszillation.
Ganz unten auf dem Grunde des Lebendigseins treffen wir auf die Metapher. (Gregory Bateson)