Vielleicht sollten sich manche das mal durchlesen:
PRESSESCHAU
Kommentatoren diskutieren Gäfgen-Urteil kontrovers
In einem Punkt sind alle einig: Die Entschädigung für den Mörder war rechtmäßig. Ob dies auch moralisch gerechtfertigt ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.
© Boris Roessler/dpa
Der verurteilte Kindsmörder Magnus Gäfgen sitzt im Landgericht Frankfurt.
Das Urteil des Landgerichts Frankfurt, den verurteilten Kindsmörder Magnus Gäfgen mit 3.000 Euro wegen angedrohter Folter zu entschädigen, wird in deutschen Medien kontrovers diskutiert. Die Frankfurter Rundschau etwa hält die Entscheidung für "eine gute Nachricht". Als ein Polizist Gäfgen während der Ermittlungen mit Folter drohte, habe der Beamte und damit der Staat das "Unantastbarste verletzt: die Menschenwürde". Ihre Geltung erweise sich gerade in schwierigen Situationen als besonders wichtig. Die Menschenwürde dürfe selbst einem verurteilten Mörder "niemand nehmen".
Dagegen meint der Autor des Kölner Stadt-Anzeigers, das Urteil sei wegen des moralischen Empfindens vieler Menschen nur schwer erträglich. Die Entscheidung sei vor allem für die Familie des von Gäfgen getöteten Jungen "ein Albtraum". Der Fall zeige exemplarisch die Widersprüche auf, die zwischen "Recht und Rechtsempfinden" klafften.
Das Urteil im Fall Gäfgen ruft Empörung hervor. Der Kindsmörder hatte vom Frankfurter Landgericht eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro zugesprochen bekommen, weil ihm während eines Polizeiverhörs Folter angedroht wurde. [Video kommentieren]
Die Leipziger Volkszeitung macht auf einen anderen Aspekt aufmerksam. Lasse man das Schadenersatzurteil beiseite, zeige gerade das Beispiel Gäfgen, dass die Justiz selbst in Extremfällen zu vernünftigen Lösungen komme. "Die Beamten, die ihn mit Folter bedrohten, sind faktisch nicht bestraft worden", heißt es dort. "Das war richtig." Der Täter dagegen erhielt trotz der unerlaubten Verhörmethode lebenslänglich. Eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren sei ausgeschlossen. "Auch das ist angemessen", urteilt die Zeitung. Der Schwerverbrecher sitze also möglicherweise bis ans Ende seiner Tage ein. 3.000 Euro änderten daran nichts. "Alle Welt bewundert unser Rechtssystem, wir schauen nur auf seine gelegentlichen Entgleisungen", lobt die Leipziger Volkszeitung.
Entscheidung sei nicht überraschend
Auch die Sächsische Zeitung macht keinerlei Fehlverhalten der deutschen Justiz aus. Menschlich gesehen sei die Folterandrohung gegen Gäfgen nur allzu verständlich gewesen. Der Kindsmörder hatte die Polizei in dem Glauben gelassen, das Kind lebe noch, das Versteck verriet er aber nicht. "Der Vernehmer sah nur eine Lösung: Die Androhung von Schmerzen", schreibt der Kommentator.
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Trotz dieser extremen Ausnahmesituation hätten alle Gerichtsinstanzen bis hin zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bestätigt, dass Folter und Folterandrohungen tabu seien. "In einem zivilisierten Land werden Gefangene nicht misshandelt, selbst wenn sie die widerlichsten Verbrechen begangen haben", heißt es. Die Entscheidung, dem Mörder einen symbolischen Geldbetrag zu geben, habe deshalb nicht mehr überraschen können.
Eine ähnliche Haltung nimmt die Stuttgarter Zeitung zu dem Fall ein. Das selbstgerechte Auftreten des Mörders rufe den Reflex hervor: keine Gnade, erst recht keine Entschädigung für solch einen Mann. "Aber im Rechtsstaat haben vor dem Gesetz alle gleich zu sein", urteilt die Zeitung. Auch der schlimmste Verbrecher habe Rechte und den Anspruch auf Achtung seiner Menschenwürde. "Die Androhung von Gewalt durch die Polizisten war Folter. Sie ist verboten, ohne Ausnahme", heiß es in dem Kommentar. Wenn einem Bürger durch den Staat Unrecht geschieht, könne er eben Anspruch auf Entschädigung erheben. Dies gelte für jedermann – selbst für Mörder.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-08/gaefgen-presseschau