Habt ihr was gegen Homosexualität?
30.11.2012 um 17:21
Gerade gefunden:
Europas erste Moschee für Homosexuelle
In Paris eröffnet eine Moschee für Lesben und Schwule. Der Gründer war einst radikaler Salafist – heute kämpft er für einen fortschrittlichen Islam.
Ludovic-Mohamed Zahed sieht müde und ein wenig blass aus in diesen Tagen, kurz vor der Eröffnung seiner neuen Moschee in Paris. "Ich komme nicht zum Essen und nicht zum Schlafen", sagt der 35-Jährige. Der Rummel um ihn und sein Projekt wird seit einigen Wochen immer größer: Gegner beleidigen ihn, Unterstützer schicken Mails mit Lob und Fragen, Journalisten fragen nach seiner Geschichte – alle wollen etwas von Zahed. Er selbst will nur eines: in einer Moschee beten, in der er sich als homosexueller Muslim willkommen fühlt.
Weil er einen solchen Ort weit und breit nicht fand, schafft er ihn nun selbst. Nach Zaheds Angaben wird es die erste Moschee dieser Art in Europa sein, Vorbilder gibt es schon in den USA. In arabisch-islamischen Ländern wäre so ein Gotteshaus wohl undenkbar. Für viele konservative Muslime ist Homosexualität nicht mit der Religion vereinbar, gilt gar als unmoralisch und pervers. Homosexuelle Handlungen werden in einigen der Staaten gesetzlich verfolgt, in manchen Ländern droht die Todesstrafe – unter Berufung auf das islamische Gesetz. Ob der Koran selbst über Homosexuelle urteilt, ist umstritten. Zahed ist davon überzeugt, dass gleichgeschlechtliche Liebe dort an keiner Stelle verboten wird.
Doch auch wer sich in Frankreich als Muslim offen zu seiner Homosexualität bekennt, bekommt Ablehnung und Diskriminierung zu spüren, weiß Zahed aus eigener Erfahrung. Zum Beispiel Anfang des Jahres, als er nach der Hochzeit mit seinem Mann in Südafrika in eine Pariser Moschee ging. "Der Imam hat in seiner Predigt öffentlich die Homo-Ehe verurteilt", erzählt Zahed, "solche Dinge passieren häufig. Die meisten Moscheen sind heute Orte des Konformismus." Zahed glaubt, dass viele Muslime nur deshalb schwulenfeindlich sind, weil sie den Lehren ihrer konservativen Prediger blind glauben.
Frauen und Männer in einem Gebetsraum
Die neue Moschee soll anders, toleranter sein. Dabei ist sie von außen noch nicht einmal als Moschee erkennbar. Es ist ein einzelner Raum in einem buddhistischen Tempel im Osten von Paris, der sich mindestens einmal in der Woche, zum Freitagsgebet, in eine Moschee verwandeln wird. Eine Übergangslösung für den Anfang, wie Zahed sagt. Die genaue Adresse will er aus Sicherheitsgründen nicht bekannt geben. Die Idee zu der Moschee entstand in dem von ihm selbst 2010 gegründeten Verein "Homosexuels Musulmans de France" (Homosexuelle Muslime Frankreichs). Dieser hat inzwischen über 250 Mitglieder und ist weltweit vernetzt.
In der neuen Moschee sollen auch Frauen neben Männern beten können – und nicht, wie traditionell, auf einer Empore oder in einem abgetrennten Teil des Raumes. Zahed und seine Mitstreiter wollen nicht nur Schluss machen mit dieser äußerlichen Trennung, es geht ihnen um etwas viel Grundsätzlicheres – um einen "fortschrittlichen Islam", wie sie sagen. Die Frage nach der Vereinbarkeit von Religion und Homosexualität, glauben sie, erlaube es, den Dogmatismus im Islam grundsätzlich infrage zu stellen. "Wir wollen zeigen, dass es kein Widerspruch ist, homosexuell, feministisch und muslimisch zu sein", sagt Zahed.
Dabei ist seine eigene Lebensgeschichte das beste Beispiel dafür, wie schwer es ist, diese Identitäten zusammenzubringen. Zaheds Biografie bis zu der Moscheegründung ist voller Brüche. Sie führt nach Algerien in den konservativen Salafismus, zum Buddhismus, dann nach Mekka, und wieder zurück nach Paris.
Als Sohn algerischer Migranten kam Zahed mit zwei Jahren nach Paris. Schon als kleiner Junge galt er als unmännlich. Die Familie versuchte, ihm das "Weibische" auszutreiben – der Vater mit harten Worten, der Bruder auch mit Fäusten. Zahed fühlte sich früh zum Islam hingezogen, obwohl die Eltern ihn nicht besonders religiös erzogen.
Als die Familie Anfang der neunziger Jahre nach Algier zurückzog, schloss sich der Jugendliche Zahed einer Gruppe ultrakonservativer Salafisten an. Sein Leben war von nun an von der Religion bestimmt: Er ging täglich vor Sonnenaufgang in die Moschee, betete so oft es ging und konnte bald den halben Koran auswendig. In seinem in diesem Jahr veröffentlichten Buch Le Coran et la Chair (Der Koran und das Fleisch), einer Mischung aus Essay und Autobiografie, schreibt er über diese Zeit: "Der Salafismus erlaubte es mir, meine sexuelle Orientierung (…) in die hinterste Ecke meines Unterbewusstseins zurückzuweisen."
100.000 demonstrierten gegen Homo-Ehe
Doch nach und nach fiel er auch in der Gruppe der jungen Salafisten auf. Sie argwöhnten, Zahed und einer seiner Mitbrüder hätten eine zu enge Beziehung. Als er 17 wurde, konnte Zahed vor sich selbst nicht mehr leugnen, dass er schwul war. Gleichzeitig eskalierte die Situation in Algier. Der 30. Januar 1995 wurde für Zahed ein Wendepunkt. 42 Menschen starben, als eine Autobombe in der Innenstadt explodierte, eine islamistische Gruppe übernahm die Verantwortung dafür. "Es ging mir an die Nieren, dass ich – und sei es nur von sehr fern – etwas mit diesen Leuten zu tun haben könnte", schreibt Zahed.
Die Familie zog zurück nach Frankreich. Zahed schien es jetzt unmöglich, seine Sexualität und die Religion in Einklang zu bringen. Zehn Jahre wandte er sich ganz vom Islam ganz ab. Er versuchte es mit dem Buddhismus, aber auch hier fand er keinen Frieden: "Es endete dennoch damit, dass ich verstand, dass Frauenhass und Homophobie überall sein können (…). Und ich entschloss mich somit, wieder in das einzutauchen, was ich am besten kannte: den Islam (…)", schreibt Zahed. Nach einer Pilgerreise nach Mekka entschied er, von nun an selbstbewusst für seine Rechte als homosexueller Muslim einzutreten. Er schreibt jetzt seine Doktorarbeit über die Vereinbarkeit von Islam und Homosexualität an der Pariser École des Hautes Études en Sciences Sociales.
Anfang des Jahres hat Zahed seinen Freund geheiratet – in Südafrika, dort ist das legal. In Frankreich aber, wo er nun Islam und Homosexualität zusammenzubringen versucht, wird seine eigene Ehe bis heute nicht anerkannt. Präsident François Hollande hatte die Legalisierung zwar im Wahlkampf versprochen. Doch der Widerstand dagegen ist auch bei den nicht-muslimischen Franzosen massiv. Am 18. November gingen mehr als 100.000 Franzosen dagegen auf die Straße. Am 16. Dezember wollen nun die Befürworter mobil machen.
Zeit online, 30.11.12