Übrigens noch Eins zum Thema Erziehungskunst, ich habe hier einen leider nicht mehr ganz so so taufrischen Leserbrief von Konstantin Spachidis von 2002 gefunden, Herr Spachidis ist in den letzten Jahrzehnten als »reisender Physik und Chemielehrer« an Waldorfschulen unterwegs, hat eigentlich einen ganz passablen Physikunterricht gemacht, ich denke er hatte keine Angst vor Ahriman.
Pilzkultur
In der Septemberausgabe der »Erziehungskunst« erschien ein Artikel mit dem Titel »Ein Direktor für die Waldorfschule?«. In diesem Artikel formulierte ein Waldorfvater sehr vorsichtig und behutsam die Frage, wie eine Waldorfschule verwaltet werden soll. Man merkt seine »Angst«, so ein heißes Thema anzusprechen, in seinen ersten Sätzen: »Als Waldorfvater bin ich froh, dass es diese Schulen gibt. ...« In der Oktoberausgabe schreibt ein Kollege einen Leserbrief. Er geht zunächst nicht auf die Fragen des Artikels ein, sondern antwortet überheblich und wahrscheinlich ohne Kenntnis der Primärliteratur«, in welcher R. Steiner Vorschläge und Lösungen für den genannten Problemkreis anbietet (vgl. die Konferenzen von 23. und 31. Januar 1923). Im Leserbrief heißt es: »Endlich ist es raus! – Was so viele (er natürlich nicht, Anm. d. Verf.) hinter vorgehaltener Hand schon gesagt, zumindest aber hinter vorgehaltenem Brett vor dem Kopf gedacht, ...«. Ein wenig weiter heißt es: »Mit dem armen Waldorfvater, den man so ahnungslos im Fettnapf plantschen lässt«. Seit Anfang der 80er Jahre bin ich Waldorflehrer für Chemie, Physik und Freien Religionsunterricht, und ich habe unsere Misere in den Konferenzen an mehreren Schulen erlebt. Stundenlange Diskussionen in der Selbstverwaltung (aber nicht -verantwortung), eine große Anzahl von Schulberatern (selber hatte ich das Glück, vier Jahre lang eine Beratung zu genießen), aber keine Zeit für Gedanken, die Schule zu erneuern. Denn wo sind die Innovationen, wo sind die Lösungen für die
Fragen der Zeit? Es gibt fast überall keine Zeit für interne Ausbildung oder Betreuung neuer Lehrer, die Quereinsteiger sind, keine Zeit für gegenseitige Hospitationen, keine Zeit für die eigene Familie, keine Zeit für Lösungen und Fragen, die die Ganztagsschule oder das Abi nach der 12. Klasse betreffen. Stattdessen wird seit Jahren über die Rassismusvorwür-
fe diskutiert, es wird viel Kraft investiert, die dann für die Weiterentwicklung der Schule fehlt.
Die Schulentwicklungs- oder Konfliktberater sind anscheinend eine Notwendigkeit der Selbstverwaltung. Sie verdienen sehr gut an dieser Misere. Sie heilen jedoch nicht das Übel, sondern sie versuchen lediglich, die Symptome zu lindern. Vor 20 Jahren war dieser Beruf an Waldorfschulen gänzlich unbekannt! Jetzt vermehren sie sich wie Pilze im feuchten Waldboden. Übrigens ähnlich wie die Wohnungsmakler Anfang der 70er Jahre. Beide haben eine Gemeinsamkeit: Sie
sind genau so ineffizient, teuer und unnötig. Manche sprechen sogar über Krebsgeschwüre. Ich will nicht so weit gehen; ich meine, es reicht für das (Waldorf)Unwort des letzten Jahrzehnts. Zum Schluss möchte ich den Wunsch äußern, es könnte durch diesen Leserbrief ein Gesprächsforum entstehen, z. B. auf Lehrertagungen oder Seminarkursen, das die Vorschläge R. Steiners aufnimmt, eine Schulleitung aus drei oder vier Kolleginnen und Kollegen zu bilden. Diese führen die Schule für
eine bestimmte Zeit. Wer Interesse hat, mit mir und anderen Waldorflehrern darüber zu sprechen, vielleicht als geplagter Lehrer, hier meine Adresse: Dr. Constantin Spachidis, Martinstr. 97, 64285 Darmstadt, Tel. 06151-65771, E-Mail: spachidis@web.de Constantin Spachidis
Quelle:
https://www.erziehungskunst.de/fileadmin/archiv_alt/2002/p003ez1202-1358-1380-IG.pdf (Archiv-Version vom 17.08.2022)Lieber Herr Spachidis,
Ihre Frustration und Besorgnis über die Herausforderungen, denen Waldorfschulen und ihre Lehrkräfte gegenüberstehen, ist verständlich. Es scheint, als ob Sie nach konstruktiven Lösungen suchen, um die Schulen zu erneuern und die Probleme der Selbstverwaltung, des Zeitmangels und der fehlenden Weiterentwicklung anzugehen.
Trotzdem möchte ich Ihnen nahelegen, einen respektvollen Ton im Dialog mit anderen Mitgliedern der Waldorfgemeinschaft beizubehalten, um ein konstruktives und fruchtbares Gespräch zu ermöglichen.
ich schlage Ihnen ein Konzept vor, das die Umwandlung von Waldorfschulen in anthroposophische Bekenntnisschulen beinhaltet. Eine solche Umwandlung würde dazu beitragen, eine klare Trennung zwischen religiösen Überzeugungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu gewährleisten und die Grenzen zwischen Religionsfreiheit und Kindeswohl klarer zu definieren.
Es müssten einige Anpassungen und Diskussionen in Bezug auf Lehrinhalte, Erziehungsmethoden, rechtliche Rahmenbedingungen und die staatliche Anerkennung von Waldorfschulabschlüssen stattfinden. Bei allen Überlegungen sollten das Wohl der Schülerinnen und Schüler sowie die Einhaltung der Menschenrechte, des Kindeswohls und der Bildungsfreiheit im Vordergrund stehen.
Eine Umwandlung in
anthroposophische Bekenntnisschulen könnte zu einer ehrlicheren und transparenteren Haltung beitragen, bei der Eltern und Schüler klar wissen, worauf sie sich einlassen. Gleichzeitig müsste darauf geachtet werden, dass die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler nicht eingeschränkt werden und ihre Zukunftsperspektiven gewahrt bleiben.
Auch die Selbstverwaltung würde sich, von ideologischen Ballast befreit entkrampfen, es könnte sich endlich wieder um sinnvolle Themen, wie Fortbildungsmaßnahmen für Lehrkräfte, um ihre pädagogischen Fähigkeiten kontinuierlich zu verbessern und auf dem neuesten Stand der Forschung zu halten gekümmert werden.
Diese Ideen könnten als Ausgangspunkt für weitergehende Diskussionen innerhalb der Waldorfgemeinschaft dienen. Es ist entscheidend, offen für Veränderungen und Innovationen zu sein und gleichzeitig den respektvollen Dialog zwischen den Beteiligten aufrechtzuerhalten. Letztendlich ist es das gemeinsame Ziel, die Bildungsqualität an Waldorfschulen zu verbessern und eine positive Lernumgebung für Schülerinnen und Schüler zu schaffen.
Ich hoffe, dass diese Anregungen dazu beitragen können, die Diskussion auf konstruktive Weise voranzutreiben und Lösungen für die drängenden Herausforderungen in der Waldorfschulgemeinschaft zu finden.