Nun diskutieren wir hier recht produktiv über die Menschen, die sich nicht entblöden, in Clubs oder auf Dorffesten, zu einem bekannten Party-Hit rechtsextreme, ausländerfeindliche Parolen zu grölen. Wer das tut, was die Gründe dafür sind - ich denke, die geäußerten Vermutungen gehen teils in die richtige Richtung.
Nun habe ich aber im Eröffnungspost ja noch eine andere Frage aufgeworfen:
sallomaeander schrieb am 02.03.2024:Sollte man das Spielen des Titels freiwillig vermeiden, sollte man ihn gar verbieten?
Hier wurde schon teils darauf reagiert, teils kritisch, mit der durchaus nachvollziehbaren Begründung: Was kann der Autor des Hits, was kann der Hit selbst dafür, dass er so missbraucht wird? Unterton: Wir lassen uns unsere Musik nicht verbieten.
Ich finde es nachvollziehbar, dass jemand, der den Titel in seinem ursprünglichen Kontext mag, mit ihm ausgelassene und frohe Partystimmung verbindet, vielleicht schöne Erinnerungen an diese Musik hat, von einem Verbot nichts wissen will. Vielleicht ginge es mir bei einem Titel, der mir etwas bedeutet, ähnlich.
Auf der anderen Seite aber, und das möchte ich zu bedenken geben, schickt sich der Titel an, zu einer
rechtsextremen Chiffre zu werden. Eine lesenswerte Einführung zu rechtsextremen Chiffren gibt etwa die Konrad-Adenauer-Stiftung:
Codes und Symbole drücken, verschlüsselt oder unverschlüsselt, politische Botschaften aus und sind zugleich Erkennungszeichen für Rechtsextremisten untereinander. Solche Botschaften sind diffuser Ausdruck einer Weltanschauung, die im Kern die Ungleichwertigkeit von Menschen propagiert. Einige ihrer Ausdrucksformen, so Volksverhetzung oder das Zeigen von Symbolen des früheren Nationalsozialismus oder anderer rechtskräftig verbotener rechtsextremer Organisationen, sind strafbar. Zudem werden Rechtsextremisten, die sich offen durch ihre Äußerungen oder ihre Kleidung zu erkennen geben, in der Gesellschaft geächtet, werden von Linksextremisten bisweilen auch tätlich angegriffen.(1) Deshalb weichen Rechtsextremisten auf verdeckte Codes aus und chiffrieren (2) ihre Botschaften.
Quelle:
https://www.kas.de/de/web/extremismus/rechtsextremismus/rechtsextreme-codesCodes und Chiffren der rechtsextremen Szene sind Zahlenkombinationen wie "88", Daten wie der 20.04., aber auch Abkürzungen wie "ZOG". Auch bestimmte szenetypische Kleidung (oder Kleidermarken) dienen teils als Ausdruck einer rechtsextremen Einstellung.
Ähnlich wie beim hier bereits benannten "Dogwhistling", eröffnen Chiffres eine zweite, verdeckte Kommunikationsebene. Nach außen wird ein harmloser Party-Hit abgespielt, aber jeder, der die neu hinzugekommene Bedeutung kennt, versteht sofort die Aussage:
Doch nun ist das eigentlich unverfängliche Lied in Verruf geraten. In sozialen Netzwerken ist es ein Trend geworden, den Refrain des Songs "umzudichten". Auf die Melodie, die im Original ohne Songtext auskommt, singen meist Jugendliche die fremdenfeindliche Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus", ein Schlachtruf der Neonazi-Szene der 1980er Jahre.
Hit von Gigi D'Agostino ist zum Erkennungszeichen der Szene geworden
Den Anfang dieser zweiten unrühmlichen Karriere nahm der Song wohl bei einem Dorffest in der Gemeinde Bergholz in Mecklenburg-Vorpommern im vergangenen Oktober, wie der NDR berichtet. Dabei wurden mehrere Besucher gefilmt, wie sie eben jene fremdenfeindliche Parole zu dem Lied von D'Agostino grölten. Der Clip ist Teil einer Recherche des Recherchekollektiv "Katapult MV". Auf Tiktok und Instagram verbreitete sich das Video schnell und schlug insbesondere Wellen, weil mehrere Zeugen angaben, auch den Sohn des Bürgermeisters der Gemeinde gesehen zu haben, wie er den Schlachtruf mitsang.
Seitdem ist der ausländerfeindliche Gesang zu einem Trend und mittlerweile zum Erkennungszeichen der rechten und rechtsextremen Szene geworden – sowohl mit als auch ohne Gesang. Die eingängige Melodie findet sich heute in hunderten Videos, die rechtsextremistische Propaganda oder Ressentiments verbreiten.
Quelle:
https://www.stern.de/politik/gigi-d-agostino--wie-ein-pop-hit-zur-hymne-von-rechtsextremen-wurde-34416280.html"Trend" und "Erkennungszeichen". Hunderte von Videos. Stellt sich da nicht doch die Frage nach einem Verbot?
Es gibt bei uns durchaus verbotene Lieder, allen voran etwa das "Horst-Wessel-Lied", das von den Nazis gemeinsam mit der Nationalhymne gesungen, und sofort nach Kriegsende schon von den Besatzungsmächten verboten wurde. Das Lied, auch instrumental, ohne Text, aufzuführen, ist seitdem in Deutschland verboten.
Nun war das Horst-Wessel-Lied von Anfang an ein Kampflied, auch wenn die Melodie vermutlich bereits vorher existierte:
Das Horst-Wessel-Lied ist ein politisches Lied, das zunächst (ab etwa 1929) ein Kampflied der SA war und etwas später zur Parteihymne der NSDAP avancierte. Es trägt den Namen des SA-Mannes Horst Wessel, der den Text zu einem nicht genau geklärten Zeitpunkt zwischen 1927 und 1929 auf eine vermutlich aus dem 19. Jahrhundert stammende Melodie verfasste.
Quelle:
Wikipedia: Horst-Wessel-LiedIrgendwelche Pop- oder Party-Hits zu verbieten, kommt mir dagegen auch als ein starker Eingriff in die Kunstfreiheit vor. Aber, und darum geht es mir hier, wie soll man sonst verhindern, dass die Akteure der Rechten sich Stück für Stück Akzeptanzzonen für ihre Denkweise erarbeiten? Indem sie Bestandteile unserer Alltagskultur in einen problematischen Zusammenhang setzen?
Es steckt nämlich eine perfide Strategie hinter der Vorgehensweise, die umgedichteten Lieder gezielt zu verbreiten:
Kräfte der Neuen Rechten nutzen die entstandenen Bilder von den Dorffesten der Republik und eben die eingängige, ausländerfeindliche Parole mittlerweile gezielt, um sie flächendeckend zu streuen.
Vor einigen Tagen kündigte etwa der Rechtsextremist und langjährige Kopf der "Identitären Bewegung", Martin Sellner, in einem Video an, die deutsche Grenze überqueren zu wollen, obwohl es zu diesem Zeitpunkt Gerüchte gab, er sei in Deutschland zur Fahndung ausgeschrieben. Der Österreicher präsentierte sich gewohnt lässig und kündigte an, in einer Passauer Konditorei Kuchen essen zu wollen. Im Hintergrund lief beiläufig und scheinbar zufällig "L’amour Toujours", natürlich ohne die darauf gesungenen Parolen.
Quelle:
https://www.stern.de/politik/gigi-d-agostino--wie-ein-pop-hit-zur-hymne-von-rechtsextremen-wurde-34416280.htmlDen Mitgliedern der so genannten "Neuen Rechten" ist nämlich klar, dass man mit dem martialischen Auftreten der Rechten aus den 80ern heute nicht mehr weit kommt.
Heute infiltrieren sie lieber die Alltagskultur mit ihren Parolen - offenbar mit einem gewissen Erfolg.