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Tussinelda schrieb:selbstverständlich, dazu gehört aber eben auch, sich mit den Aussagen und dem Thema ernsthaft zu beschäftigen. Und das hast Du ja, nach anfänglichen Schwierigkeiten, aber das hatte ich durchaus anerkannt und entsprechend erwähnt, im anderen thread. Denn das fällt hier auf, mir zumindest. Aber es geht ja nicht nur um Dich.
Ich habe auch den Eindruck, zumindest erlebe ich das so, dass ich mit Dir mittlerweile entspannter umgehen kann; was mich freut. Das ist im Übrigen auch eine Erfahrung, die einen u. U. verändern kann, also das eigene Diskussionsverhalten. Wenn man sich darauf einlässt, das Gegenüber mehr als Mensch zu sehen, der die Summe seiner Erfahrungen ist; so wie man selber eben auch. Empathie - bei mir kognitiv geprägt, weil emotional kaum (bzw. meist dissoziiert) vorhanden. Wieder Übungssache für mich.
Und ja, es geht sicherlich nicht nur um mich, ich bin ja nicht der Nabel der Welt. Dennoch ist man geneigt, "aus sich selbst heraus" zu erleben und damit auch zu argumentieren. Man hat seine Trigger, was einen ärgert, oder wobei man herzhaft zustimmen kann. Ich erlebe mich darin nicht so anders als meine Mitmenschen. Und deshalb denke ich, wenn öfter die Erfahrung untereinander möglich wäre, dass es sich viel angenehmer anfühlt, sich auf einer voneinander profitierenden Ebene begegnen zu können (EGAL bei welchen Themen, sei es nun das Gendern, Veganismus, Corona, Todesstrafe, Tierquälerei .. also diese ganzen, sehr emotional unterlegten Gebiete), die rhetorischen Ringkämpfe damit als unangenehmer auffallen würden, als sie einem, ohne diesen unmittelbaren Vergleich, gewahr werden würden.
Nun ist es natürlich so, dass Fronten sich über die Zeit verhärten. Dazu fällt mir wieder eine Anekdote aus meinem ersten Forum ein, das längst nicht mehr existiert. Dort gab es zwei "Erzfeinde", die sich mit absoluter Hingabe, quer durch das gesamte Forum, in schöner Regelmäßigkeit Gefechte lieferten. Dass sie sich nicht schrieben, sich abgrundtief zu hassen, war auch alles. Irgendwann schrieb irgendwer mal unter solch eine Eskalation: "Ihr solltet heiraten." Und, soweit ich weiß, haben sie das auch getan, nachdem sie sich bei einem Forentreffen live begegneten und feststellten, dass das Gegenüber längst nicht so ätzend war wie angenommen - ganz im Gegenteil. Ich habe solche Dinge, in ähnlicher Form, häufiger am Rande mitbekommen. Ich denke, man vergisst einfach zu oft, wie extrem amputiert hier unsere gegenseitige Wahrnehmung voneinander tatsächlich ist.
Ich stelle mir daher manchmal einfach vor, hier mit User XY mal beim Kaffee zusammen zu sitzen. Und, so lange ich bei dieser Vorstellung keine ernsthaften Aggressionen verspüre, ordne ich meine "mentale Forenlage" als vertretbar ein. Sollte sich das ändern, würde ich mir selber eine längere Pause verordnen.
Tussinelda schrieb:Auch sollte man immer beachten, wer in der Regel diese Diskussionen immer wieder aufs Neue anstößt. Es sind ( fast ) immer "Gegner" und oft genug mit irgendwelchem Mist von Twitter etc. Um die "woke bubble" mal wieder lächerlich zu machen. Da geht es also mMn nicht darum, dass Thema ernsthaft diskutieren zu wollen. Und trotzdem zeigt man dann auf, erklärt, belegt, verlinkt. Nützt nur Nichts, ich kann aber manche Dinge nicht unkommentiert stehen lassen, denn es lesen ja auch Menschen mit, die dann nur einseitig "informiert" würden.
Ja - das ist eine emotionale Falle, in die ich auch öfter mal gerate. Ich habe dann das Gefühl, regelrecht dagegen an zu müssen, weil ich (m)ein Anliegen / Herzensangelegenheit angegriffen sehe. So, als würde ein guter Freund attackiert und diffamiert. Dabei steht innerlich alles auf in einem. Mir hilft es dann, mich an meine Zeiten zu erinnern, als ich z. B. noch mit Veganern regelrechte Kriege ausgefochten habe. Sie hatten gute Argumente, versorgten mich mit Links, redeten mit Engelszungen oder Tastaturholzhammer auf mich ein - und schrieben gegen eine Wand. Ich war einfach noch nicht so weit das zu mir durchdringen zu lassen. Und ich bin vermutlich auch einer der ganz wenigen Vegan-Befürworter, die man mit dem Leid der Tiere nicht überzeugen konnte; nicht im Sinne ihrer Schmerzen.
Aber wirksam zu realisieren, was ich da esse und unter welchen Umständen dieses Etwas lebte, z. T. bis zum Bauch im Dreck, gefüttert mit Chemie, in steter Angst und Panik .. da wurde mir klar, das ist widerlich! Das will ich nicht essen - keinesfalls! Das kann nur krank sein und krank machen. Aber es musste wirken in mir. Ich selbst musste diese innere Tür öffnen. Und seit ich erlebte, dass ich das kann, fixe Gewohnheiten, regelrechte Grundpfeiler meiner Realitätswahrnehmung umstoßen, und mich das nicht "instabil" werden lässt in mir, eher im Gegenteil, kann ich es auch bei anderen Themen. Aber ich musste es SELBER tun. Kein noch so intensives auf mich Eindringen von außen konnte das bewirken. Im Gegenteil, das bewirkte eher Trotz und noch mehr Abwehr. Und seit ich das absolut realisierte, nämlich, dass es prinzipiell schnurzegal ist, was man jemandem hinschreibt, der Betreffende muss seinen eigenen Weg gehen, bis dahin greift die selektive Wahrnehmung in voller Härte, seit dem fällt es mir leichter, Dinge auch einfach mal unkommentiert stehen zu lassen. Was ich als sehr erleichternd erlebe, in gewisser Weise; keinen / minderen "Schreibzwang" mehr zu empfinden.
Laura_Maelle schrieb:Finde ich schön, Deine Haltung. Was ich schade finde in Bezug auf den Thread hier, ist das fehlende Eingehen auf die sprachwissenschaftlichen Argumente gegen das Gendern. Ich habe alles verlinkt, sogar den Original-Link zum Aufruf der Sprachwissenschaftler, die sich gegen das Gendern aussprechen, dies mit sachlichen, wissenschaftlichen Argumenten.
Auch Du hast gute Argumente und legst diese anschaulich dar, ja. Ich vermute dennoch, dass wir hier z. T. massiv aneinander vorbei schreiben. Gendern ist zwar etwas, dem eine Form gegeben werden soll. Möglichst eine, die die Sprache nicht zu sehr verändern soll - aber verändern muss es sie - zwingend. Weil es auch um eine Änderung in der Wahrnehmung geht. Die Zielsetzung ist tief greifende Veränderung in der Wahrnehmung und der Fall eines Dogmas, das reflexhaft verteidigt wird, nämlich, dass das Maskulinum per se inklusiv wäre. Es wird seit langer Zeit in dieser Weise gebraucht und genutzt, so dass es als absoluter Usus und Normalität gilt. Gegen dieses Maskulinum, etabliert und ehern, lehnt sich das Gendern auf und macht das Ganze damit mitunter tatsächlich komplizierter - ja.
Die Frage, die man sich dabei stellen müsste, ist mE die Folgende: Könnte es der Mühe wert sein? Könnte es sich lohnen, dieses Dogma der vermeintlich gut Funktionierenden, alle mit meinenden, männlichen Form, zu hinterfragen oder gar zu kippen? Unser Gewohnheitstier beginnt in den höchsten Tönen zu kreischen. Eine ganz normale Reaktion. Meins kreischt auch, so ist es nicht. Aber ich beginne mir zunehmend Fragen zu stellen, ob das alles vielleicht eher konsequent denn verkehrt sein könnte. Wir wollen zu einer globalen Welt verwachsen, gehört dann nicht dazu, eine Form zu finden, auch sprachlich, die tatsächlich möglichst alle einschließt?
Gut, die aktuellen Ansätze sind definitiv kritikwürdig. Aber was ist mit der zugrunde liegenden Intention als solches? Ist sie nicht nichts als folgerichtig, wenn wir sagen, wir streben danach "eine Welt" zu werden, die (auch nur gemeinsam) noch die Katastrophe aufhalten könnte, die uns mit dem Klimawandel dräut? Ist das Gendern, an dem wir uns spalten, vielleicht seiner Intention nach, das genaue Gegenteil? Ja, an diesem Punkt stehe ich aktuell.
fischersfritzi schrieb:Da stimme ich dir absolut zu.
Genau dabei spielt es dann eine entscheidend Rolle, dass ein einigermaßen wertschätzender, im weitesten Sinne gewaltfreier Diskussionsstil gepflegt wird.
Und da trägt eben jede:r selbst das bei, was er/sie möchte.
Den Beiträgen mancher User:innen merkt man an, dass sie gerne diskutieren. Bei anderen hat man den Eindruck, sie wollen nur Dampf ablassen und Sprüche klopfen. Da fällt es etwas schwerer, offen zu bleiben.
Es fällt mir sogar häufiger mal verflixt schwer. Auch, dann nicht die rhetorische Knute auszupacken und ätzend zu werden. Aber, je häufiger ich die Erfahrung mache, dass das Gegenteil, der Versuch eines aufeinander Zugehens, sich sehr viel besser anfühlt (und besser ist für meine Nerven), um so weniger steht mir der Sinn nach "Krieg". Und ich vermute, auch darin unterscheide ich mich nicht nennenswert von meinen Mitmenschen. Es ist ein Prozess, einer, bei dem vielleicht man selbst auch einmal in freundliche Vorlage gehen muss, auch wenn das Gegenüber noch zuschnappt; irgendwann nimmt die Schärfe dann ab. So jedenfalls meine bisherigen Erfahrungen. Gelingt mir längst nicht immer. Aber ich übe. Und ich habe den Eindruck, dass so einige Mitschreiber|innen ;-) in diesem Forum durchaus ähnlich unterwegs sind. Das Prinzip der "kritischen Masse" ist Dir bestimmt geläufig. Ich denke häufiger daran in letzter Zeit.
:)LG Marina