RayWonders schrieb:soll man die Person jeden Morgen unter Polizeischutz auf Arbeit bringen und dort Anketten oder sie ins Gefängnis werfen bei Nichterfüllung?
Das ist eine interessante Frage, die sich an den Gesetzgeber richten muss.
Was offensichtlich viele gar nicht wissen ist, dass es schon lange, nämlich seit 1968, ein solches Gesetz gibt, das erlaubt, Menschen zwangsweise zu bestimmter Arbeit zu verpflichten. Es wurde damals heiss umkämpft -das ist der Unterschied zu heute - und löste recht grosse Protestwellen in Deutschland aus. Die wirklich Älteren hier mögen sich noch an die Proteste zur "Notstandsgesetzgebung" erinnern. Sie gehören zu den Höhepunkten der sogenannten 1968er Protesten.
Damals fürchteten ja viele Leute noch den relativ überraschenden Einfall der "Russen" und so begann die Regierung, ihre Massnahmen für den sogenannten "Verteidigungsfall" - wie man damals den Krieg nannte - und die Zeit direkt davor, den sogenannten "Spannungsfall" zu konkretisieren. Eines der sogenannten "Notstandsgesetze" - auf die man zwischen 1949 und 1968 offensichtlich verzichtet hatte - ist das "Arbeitssicherungsgesetz." In dem wird die Einschränkung des Grundgesetzes (Art 12 i.V. mit Art. 2) erlaubt, indem man "wehrpflichtige" Männer zum "Zwecke der Verteidigung und dem Schutz der Zivilbevölkerung" zu zivilen, also nicht militärischen, Arbeiten verpflichten darf. Frauen dürfen auch verpflichtet werden, allerdings ausschliesslich zu medizinischen Arbeiten, also z.B. als Ärztin oder Pflegerin.
Diese Verpflichtungen dürfen allerdings nur im Verteidigungs- und Spannungsfall erklärt werden, oder wenn der Bundestag mit absoluter Mehrheit dazu ermächtigt.
Das ist das Interessante hier: damals hat der Gesetzgeber durchaus beschlossen, mehrere massive Grundrechtseingriffe zuzulassen, aber nur unter der sehr hohen Hürde des Kriegsfalles oder der parlamentarischen Ermächtigung, von der man wohl damals ausging, dass sie nur nach sorgfältiger Abwägung der Notwendigkeit gegeben werden würde.
Das Gesetz ist in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie angewendet worden, daher gibt es auch bisher keine nennenswerten Entscheidungen über die Verfassungsmässigkeit.
Damals waren es vor allem die Gewerkschaften und die SPD, die erhebliche Befürchtungen und Vorbehalte gegen die Notstandsgesetze hatten, und daher auf relativ strengen Grenzen bestanden. So wurde in dem Zusammenhang auch die Verfassungsbeschwerde neu geregelt und sogar das allgemeine Widerstandsrecht neu formuliert. In weiten Teilen der Bevölkerung befüchtete man nämlich, wieder Zustände wie in der Weimarer Republik zu ermöglichen, insbesondere die Notverordnungsregierungen, also der Regierung die Macht zu geben, am Parlament vorbei zu regieren.
Heute dagegen sehen sich Landesfürsten ermächtigt, all diese Vorbehalte über Bord zu werfen, und sich selbst zu diesen Dingen zu ermächtigen, obwohl es, wie gesagt, bereits klare gesetzliche Regelungen dazu gibt, die aber nur den Bundestag ermächtigen. Und das ist das hier von mir angesprochene Problem.
Es mag ja sein, auch wenn ich das stark bezweifle, dass sich Deutschland in einer so grossen Not befindet, dass nun auch Bürger mit Zwang zur Arbeit in Krankenhäusern usw. verpflichtet werden müssen, aber was sauer aufstösst ist, dass die bestehenden Gesetze manchen Leuten dazu anscheinend nicht ausreichen.
Und was die Frage von oben angeht: Ja, das Arbeitssicherstellungsgesetz sieht im Bedarfsfall eine zwangsweise Vorführung der Arbeitspflichtigen, also durch die Polizei, zum Beispiel zur "Musterung" durchaus vor.
Vor Kurzem feierte man noch "70 Jahre Grundgesetz." Nun scheint innerhalb weniger Wochen dieses kaum noch das Papier wert, auf dem es mal geschrieben wurde. Das haben nicht einmal die 1968er erwartet.
Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Arbeitssicherstellungsgesetz - ASG)
§ 2 Für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung kann nach den Vorschriften dieses Gesetzes
1. das Recht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom vollendeten 18. Lebensjahr bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch beschränkt werden,
2. ein Wehrpflichtiger in ein Arbeitsverhältnis verpflichtet werden,
3. eine Frau vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr im zivilen Sanitäts- oder Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation in ein Arbeitsverhältnis verpflichtet werden.
§ 3 Beschränkungen und Verpflichtungen nach § 2 sind im Verteidigungsfall zulässig. Beschränkungen und Verpflichtungen nach § 2 Nr. 1 und 2 sind außerdem nach Maßgabe des Artikels 12a Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 2 des Grundgesetzes zulässig. Die Verpflichtung zu Ausbildungsveranstaltungen (§ 29) ist auch zulässig, wenn die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 nicht gegeben sind.
https://www.buzer.de/gesetz/968/index.htmErgänzend dazu sieht das Zivilschutz und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG) vor:
(2) Zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen in Einrichtungen der gesundheitlichen Versorgung wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, daß sich Wehrpflichtige und Frauen, die nach § 2 Nr. 2 und 3 des Arbeitssicherstellungsgesetzes in ein Arbeitsverhältnis verpflichtet werden können, bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu melden haben, soweit sie als Angehörige der Heil- und Heilhilfsberufe im Zeitpunkt des Eintritts der Meldepflicht seit weniger als zehn Jahren nicht in ihrem Beruf tätig sind. Die Rechtsverordnung regelt insbesondere den Beginn der Meldepflicht, die meldepflichtigen Berufsgruppen und die für die Verpflichtung erforderlichen meldepflichtigen Angaben sowie den Schutz von personenbezogenen Informationen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Zweckbindung.
(3) Die Rechtsverordnung nach Absatz 2 darf nur erlassen werden, wenn und soweit der Bedarf an Arbeitskräften nicht mehr auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden kann. Sie ist aufzuheben, wenn Bundestag und Bundesrat es verlangen. Satz 2 gilt entsprechend für die Anordnungen nach Absatz 1.
https://www.buzer.de/gesetz/2349/b6583.htmWie gesagt, mein Problem ist, wie nun in Panikstimmung nach mehr und mehr Gesetzen gerufen wird, ohne Zeit parlamentarischer Beratung und der Abwägung von Für- und Wider, obwohl es sogar passende Gesetze gibt, die wirklich lange diskutiert wurden. Dazu siehe hier:
Wikipedia: Notstandsgesetze (Deutschland)