Vermischtes aus der Bananenrepublik:
Nachdem schon an verschiedenen Orten unbestätigte Hinweise aufgetaucht sind, dass beim Corona-Schnelltesten möglicherweise nicht alles mit rechten Dingen zugeht, haben Journalisten von WDR und Co. mal mit versteckter Kamera versucht, dem nachzugehen. Das Ergebnis:
Von 8 Uhr morgens an zählen die Reporter am Freitag den 14. Mai etwas mehr als 100 Personen an den beiden Testzelten. Um 19 Uhr wird die Teststation geschlossen. Ans Ministerium meldet MediCan für diesen Tag aber 422 Bürgertests.
Eine Woche später ein anderer Standort: Marsdorf, ein Außenbezirk von Köln. Vor dem "Roller"-Markt steht ein roter MediCan-Bus. Das Testzentrum hat diesmal von 10 bis 20 Uhr geöffnet. In dieser Zeit kommen rund 80 Personen vorbei, um sich testen zu lassen. Für diesen Tag meldet MediCan an das Ministerium allerdings 977 Personen.
Dritter Standort: Ikea in Essen. Am Samstag, den 22. Mai, ist der Andrang groß, offiziell öffnet die Teststelle um 10 Uhr, doch schon 20 Minuten zuvor testet MediCan bereits. Bis 20 Uhr lassen sich hier etwa 550 Menschen testen. Doch ans Ministerium meldet MediCan für diesen Tag an diesem Ort nicht 550, sondern 1743 Bürgertests.
Zahlen lediglich zusammengefasst?
Bei den Zahlen handelt es sich um keine Ausreißer. Auch an den Tagen davor und danach werden ähnlich hohe Testzahlen gemeldet. Mit den Zählungen konfrontiert, erklärt MediCan-Inhaber Can: "Die Testzahlen stimmen im Ganzen, aber nicht auf die einzelnen Standorte bezogen." Das liege daran, dass "die Testungen in einigen Städten mit mehreren Standorten auch zusammengefasst übermittelt werden". Dies erfolge "in Absprache mit den Behörden".
Zuständige Ämter dementieren
Doch stimmt das? In Münster erklärt das Gesundheitsamt, dass MediCan nur über zwei Teststellen verfügt. Für beide meldet das Unternehmen hohe Zahlen. Dass es mit dem Behörden abgesprochen sei, Zahlen aus einem Standort bei einem anderen draufzuschlagen, weist die Stadt Münster zurück. "Diese Absprache gibt es nicht", versichert der Sprecher des Oberbürgermeisters schriftlich. "Der Teststellenbetreiber hat über dieses Vorgehen informiert, welches dann vom Gesundheitsamt umgehend abgelehnt worden ist."
https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/corona-schnelltest-zentren-101.htmlBei einer stichprobenartigen Kontrolle ergibt sich Beschiss bis zum Faktor 12, bei allen Teststellen mehr fingierte als echte Angaben. Das Problem scheint, wenn es an vielen Stellen so zugeht, erheblich zu sein:
Abrechnen können die Teststellen pro Bürgertest 18 Euro, die sich aufteilen in zwölf Euro für die eigentliche Testung und bis zu sechs Euro für das Material. Einen Überblick, wie viel Geld inzwischen für diese Tests ausgegeben wurden, ist schwer zu bekommen. Baden-Württemberg teilt mit, dass es im April 62 Millionen Euro waren, in Bayern waren es bis Mitte Mai mehr als 120 Millionen Euro. Verteilt wird das Geld über die Kassenärztlichen Vereinigungen, die sich aber jeden Euro wieder aus Steuermitteln erstattet bekommen über das Bundesamt für Soziale Sicherung.
Alleine bei den drei Teststellen aus der Stichprobe würden also an einem einzigen Tag mehrere zehntausend Euro unrechtmäßig abgerechnet - aber zuständig fühlt sich niemand, und selbst wenn es jemand wäre, dürfte er nicht kontrollieren bzw. könnte es nicht, denn:
Weder die Gesundheitsämter noch die Kassenärztlichen Vereinigungen oder das Bundesamt und schon gar nicht das Gesundheitsministerium fühlen sich zuständig, zu kontrollieren, ob bei der Abrechnung alles korrekt läuft. Der Grund für diesen Missstand liegt bereits in der Testverordnung des Gesundheitsministeriums. Dort heißt es in Paragraf 7, Absatz 4 ausdrücklich: "Die zu übermittelnden Angaben dürfen keinen Bezug zu der getesteten Person aufweisen."
Mit anderen Worten: Die Testzentren dürfen keine Namen und keine Anschrift der Getesteten übermitteln, sie müssen noch nicht mal nachweisen, dass sie überhaupt Antigentests eingekauft haben. Stattdessen reicht es, wenn sie den Kassenärztlichen Vereinigungen lediglich die nackte Zahl der Getesteten ohne jeglichen Beleg übermitteln - und schon bekommen sie kurze Zeit später das Geld überwiesen.
Nur wenige Bundesländer wissen überhaupt, wie viele Bürgertests bei ihnen täglich stattfinden. Eines dieser Länder ist NRW. Dort hat das Ministerium die Teststellen immerhin dazu verpflichtet, jeden Tag die Zahl der Bürgertests online zu melden. WDR, NDR und die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) haben Informationen aus dieser interne Datenbank zugespielt bekommen und konnten dadurch auch mehrere Standorte eines der größten deutschen Teststellenbetreibers, der MediCan GmbH, genauer unter die Lupe nehmen.
Schon klar, dass das auch teilweise an dem Wunsch nach schneller, bürokratischer Testung liegt, aber minimale Standards sollte man schon irgendwie erwarten. Und wenn es nur der Kaufnachweis für Antikörpertests wäre.
Man darf natürlich auch nicht vernachlässigen, dass erfundene Tests niemandem über das finanzielle hinaus schaden, aber es wahrscheinlich in diesen Zentren auch mit den echten Testungen nicht weit her ist:
Fragen werfen auch die Testergebnisse auf: So hat MediCan am Standort Münster-Gievenbeck innerhalb einer Woche 3600 Bürgertests gemeldet, darunter war aber kein einziger positiver. Am Standort Köln Marsdorf war unter den 9200 Bürgertests innerhalb der vergangenen Woche ebenfalls kein einziger positiv und in Essen bei Ikea waren von 12.199 dort gemeldeten Bürgertests genau 12.199 negativ.
Auf Nachfrage erklärt Can, dass es "seit ca. Anfang Mai sehr sehr wenige positive Tests" gebe. "Wir sollten alle froh sein, dass die Inzidenzwerte in Deutschland zurück gehen." Laut dem internen Dashboard des NRW-Ministeriums wurde landesweit bei etwa jedem 350. Bürgertest ein positives Testergebnis entdeckt, am Mittwoch dieser Woche war einer von 700 Tests positiv.
Die Rechnung mit "Einer von 350" ist noch optimistisch, da natürlich hier die gefakten Test im Nenner schon miteinfließen, d.h. der echte Wert liegt noch darunter, irgendwo bei 1/100 vielleicht, wenn die oben genannten Fake-Quotienten etwa durchschnittlich sind...
Konsequenzen übrigens praktisch keine:
Möglicher Fehler in der Testverordnung
War es womöglich ein Fehler, dass die Testverordnung von Gesundheitsminister Jens Spahn für die Abrechnung weder die Namen der Getesteten noch irgendwelche Einkaufsbelege über Tests vorsieht? Spahns Sprecher bestätigt zwar, dass die Teststellenbetreiber keine entsprechenden Daten übermitteln, sie aber selbst aufbewahren müssen.
Fälle, dass Testzentren mehr Tests melden als tatsächlich durchgeführt werden, seien dem Gesundheitsministerium "nicht bekannt geworden". Wenn sich allerdings Anhaltspunkte für Abrechnungsbetrug ergeben, "können" die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) die Fälle "prüfen", so das Gesundheitsministerium.
"Es war Wildwest"
Die Kassenärztlichen Vereinigungen selbst halten sich für Kontrollen allerdings für unzuständig und von Abrechnungsbetrug hätten sie auch noch nichts gehört, wie sie in ihren offiziellen Antworten mitteilen. Lediglich unter der Hand und ohne Namensnennung räumt ein hochrangiger Funktionär ein: "Ich schätze, dass allein im Mai 50 bis 60 Millionen Bürgertests abgerechnet werden, also Kosten von rund einer Milliarde Euro entstehen. Aber im Sommer wird dieser Markt zusammenbrechen, weil dann niemand mehr so einen Test braucht. Am Ende wird man auf die Tests schauen wie auf die Masken: Die Politik brauchte ganz dringend große Mengen, es war Wildwest, viele Glücksritter und Betrüger drängten in den Markt und es gab keine vernünftige Kontrolle."
Nachdem WDR, NDR und SZ Fragen zu dem Unternehmen gestellt hat, kündigte die Stadt Münster an, der Firma MediCan die Beauftragung für die dortigen Testcenter zu entziehen.
Was man da überhaupt noch prüfen soll, und warum es die kassenärztliche Vereinigung tun müsste und nicht etwa Polizei und Staatsanwaltschaft (man könnte ja mal Bestellunterlagen beschlagnahmen und schauen, ob überhaupt genug Material angeschafft wurde um die abgerechneten Tests plausibel durchzuführen) ist in Laschets Wunderland ein Rätsel und wird es wohl auch bleiben. Schwamm drüber, Kamelle.