Jorkis schrieb:Natürlich sind Zahlen aus den einzelnen Ländern schöner - nur macht eine Grippe eben nicht an der Grenze halt. Unterschiede kommen ggf. auch einen abweichenden Impfstoff, regionale Besonderheiten o.ä. zustande. Und selbst wenn wir dies annehmen würden. 2017/2018 war, wie du dem Link ja entnehmen kannst, in mehreren Teilen Europas ein Problem. Und für den Zweck hier - nämlich zu zeigen, dass wir nicht "nur" von einer weiteren Grippewelle sprechen, reicht es durchaus aus.
Laut Infografik...
https://www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/images/influenza-infographic-2017-2018-seasonal.png...nur in den rot gefärbten Gebieten, also bspw. Spanien gerade nicht...
Jorkis schrieb:Schauen wir uns dazu doch einmal ganz konkret das Beispiel Spanien an. Laut statistischem Bundesamt war die Grippewelle 2017/2018 zumindest die stärkste in den letzten 15 Jahren (weiter reicht es nicht zurück):https://www.statista.com/statistics/759686/number-of-deaths-from-influenza-in-spain/
Konnte ich nicht einsehen, musste auf die Daten vom spanischen Portal zurückgreifen:
https://es.statista.com/estadisticas/591437/numero-de-muertes-por-gripe-en-espana/Allerdings finde ich diese Zahlen nicht sehr vertrauenswürdig bzw. drängt sich unmittelbar die Frage auf, wie man diesen exponentiellen Anstieg über die Jahre zu interpretieren hat (und auch, ob es
gezählte oder
geschätzte Zahlen sind, vermutlich ersteres). Laut obiger Infografik gilt hier auch
"only low and medium intensity reported". Da fragt man sich dann natürlich, wie
schwere Grippewellen in Spanien aussehen, wobei ich mir bei den klimatischen Bedingungen im "Land der Sonne" eine schwere Grippewelle eigentlich kaum vorstellen kann...
Jorkis schrieb:Jetzt kann man einen Blick auf die Übersterblichkeit Spaniens auf Euromomo werfen. Der z-Score hatte 2017 als Maximalwert 13,17 erreicht. Im Frühjahr 2020 hatten wir hier einen Wert von 41,97. Und der wesentlich steilere Anstieg wurde nur durch einen Lockdown gebremst.
Generell sehe ich eigentlich wenig Sinn, sich auf statistische Extremfälle zur Beurteilung des Infektionsgeschehens zu beschränken. Man könnte alternativ das hart getroffene Italien betrachten (das ist ja immerhin auch bei der Influenza-Map rot gefärbt...). Dort liegt der z-score in 2017 bei ca. 11, im Frühjahr lag er bei knapp 17. Aber wie auch immer. Mein Standpunkt war ja ursprünglich:
Nur die Übersterblichkeit in den letzten 3-4 Jahre zu betrachten und zu vergleichen, ist methodisch mangelhaft bzw. einfach zu wenig...!Und irgendwie kommen wir hier so auch nicht recht weiter, also hab' ich mal weiter recherchiert. Und 2017/18 war mit knapp 34 Todesfällen pro 100.000 Einwohner zwar tatsächlich "nicht ganz ohne", aber etwas härter wurde Europa in der Saison 2014/15 mit knapp
44 Todesfällen pro 100.000 Einwohner getroffen (Exzessmortalität, Influenza, basierend auf EuroMOMO-Algorithm geschätzt, Table 2)...
https://www.euromomo.eu/uploads/pdf/european_excess_mortality_2017_18.pdfOder auch in absoluten Zahlen...
"This excess roughly corresponds to 217 000 deaths among the 94 million elderly citizens (65 years of age or older) of the 28 EU Member States."https://www.euromomo.eu/uploads/pdf/winter_season_summary_2015.pdf217k Tote allein in Europa... bei knapp 500 Mio. Einwohnern... also das ist schon 'n "ordentlicher Schluck aus der Pulle"...! Und wohl auch so schon dramatisch genug, aber kann man ja - nur so "interessehalber" - auch mal auf die Weltbevölkerung hochrechnen und entspräche dann dem 16-fachen, also ca. 3,5 Mio. Toten weltweit...
Jorkis schrieb:Nun finde ich keine Quelle, die noch weiter zurückreicht...
Ja, dito... Aber die Daten der Saison 2014/15 sind ja vielleicht auch erst einmal heftig genug...
Jorkis schrieb:Du übersiehst aber den Hintergrund der ganzen Diskussion. Es geht um die Frage, ob man Corona ernst nehmen muss und ob eine Gleichstellung der Auswirkung einer Grippewelle (wo keine Maßnahmen ergriffen werden) zulässig ist. In Deutschland haben wir diesen direkten Vergleich nicht, weil früh genug Gegenmaßnahmen eingeleitet wurden. Als Unterstützung der Prognose kann aber ein Blick in andere Länder helfen - eben dorthin, wo Maßnahmen nicht rechtzeitig oder ausreichend eingeleitet wurden. Das ist der empirische Nachweis für die Modellrechnungen.
Ich habe eher den Eindruck, dass Fallzahlen als Kriterium herangezogen werden, ob
"Maßnahmen nicht rechtzeitig oder ausreichend eingeleitet wurden", um dann im nächsten Schritt die hohen Fallzahlen wieder damit zu begründen, dass
"Maßnahmen nicht rechtzeitig oder ausreichend eingeleitet wurden". Und wäre dann ein Zirkelschluss...
Ernsthaft: Welche Länder sollen das sein? USA und Schweden haben das Geschehen bspw. voll laufen lassen. In USA haben wir derzeit ca. 75 Todesfälle auf 100.000 Einwohner, in Schweden ca. 60 Todesfälle pro 100.000 Einwohner. Und kaum ein Land hat so harte Beschränkungen erlassen wie bspw. Frankreich (ca. 67 Todesfälle pro 100.000 Einwohner) oder Spanien (ca. 86 Todesfälle pro 100.000 Einwohner), auch wenn ich das jetzt mit einer gewissen Vorsicht sage, da ich die Entwicklungen in einzelnen Ländern aus zeittechnischen Gründen nur bedingt mitverfolgt hab.
Aus epidemiologischer Sicht ist die Datenlage schon etwas eindeutiger: Weltweit ca. 16 Todesfälle pro 100.000 Einwohner (USA: 75, Brasilien: 80, Russland: 23), im EU-Schnitt sind's knapp 48 Todesfälle pro 100.000 Einwohner (Deutschland: 16). Erinnert sei an dieser Stelle auch noch einmal an die Mortalitätsrate der Grippesaison 2014/15 in der EU: 44 pro 100.000 Einwohner (trotz Impfungen, wohlgemerkt!).
Ein gefährliches Infektionsgeschehen, ja, welches anderseits aber auch ziemlich viele Fragen offenlässt, wie ich finde...
Jorkis schrieb:Insbesondere das Alter spielt schon die entscheidende Rolle...
Sicher, wie bei so ziemlich allen Todesursachen. Das ist ja letztendlich auch bei der Influenza nicht anders - wieder unsere Saison 2014/15:
"With an estimated population of 94 million above 65 years of age in the 28 countries of the European Union, this excess can be extrapolated to approximately 217,000 deaths among the elderly ≥65 years of age. Among the age group 15 to 64 year, the number of excess deaths was 9,462 (equivalent to 5.9 per 100,000 population)."https://www.euromomo.eu/uploads/pdf/winter_season_summary_2015.pdfInsofern kann ich nur schwer nachvollziehen, wieso derartige "Binsenweisheiten" immer als irgendwelche Besonderheiten verkauft werden wollen...
Jorkis schrieb:Sollen wir diese Menschen sterben lassen?
...gefolgt von typischen Suggestivfragen wie eben dieser.
Jorkis schrieb:Und selbst unter jungen, gesunden Menschen finden sich schwere Verläufe.
Wenn Menschen schon in jungen Jahren sterben müssen, ist das natürlich immer besonders tragisch, so dass man dafür auch kaum Worte findet, aber ein Kinderhospiz gab es leider auch vor Corona schon und nicht ohne Grund...
Jorkis schrieb:...ein "Laufenlassen", zusammen mit exponentiellem Wachstum und einer Hospitalisierungsrate von etwa 11% sowie einer Intensivquote von knapp 1% [...] würde das Gesundheitssystem in kurzer Zeit zusammenbrechen lassen...
Nur klingt das eben eher nach Totschlagargument, da du hier eben nicht ganz bestimmte Maßnahmen begründest, sondern nach völligem Beliebigen dieses Argument zur Rechtfertigung jedweder und erdenklicher Maßnahmen ge- bzw. missbrauchen kannst. Und genau das ist halt das Problem... Wer nicht der "Parteilinie" folgt, ist ein Coronaleugner, Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, Nazi, Spinner... und möchte einfach alles "laufenlassen".
Und spätestens das hat dann mit sachlichem Diskurs wenig zu tun (und diese Kritik richtet sich jetzt eigentlich auch weniger speziell an dich, so du ja noch halbwegs vernünftig zu sein scheinst
;)).
Jorkis schrieb:Und wir tragen gegenseitige Verantwortung.
Ja. Und natürlich sind Leben und Gesundheit hohe und schützenswerte Güter, keine Frage! Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sind es aber auch. Und ja, selbstverständlich tragen wir eine Verantwortung gegenüber den Alten und Schwachen in unserer Gesellschaft. Aber eben auch gegenüber unseren Kindern, Enkelkindern und nachkommenden Generationen. Und ich möchte mich bspw. nicht in 10 oder 20 Jahren rechtfertigen und mich fragen lassen müssen, warum ich nicht den berühmten Anfängen gewehrt und tatenlos der Transformation unserer Gesellschaft in eine neue Form der Diktatur zugeschaut habe. Viele Maßnahmen sind völlig richtig und vernünftig, gar keine Frage! Nur trifft das eben nicht für alle Maßnahmen zu. Und schon gar nicht, wenn wir über Ausgangssperren, Kontaktverfolgungen, Zwangsschließungen und viele andere in den letzten Wochen & Monaten diskutierte Maßnahmen und Rechtsverletzungen sprechen, über deren mögliche Verharmlosung sich aber scheinbar niemand so recht Gedanken zu machen scheint.