@Blues666@OptimistDanke für das nette Feedback! Ich versuche eure Fragen so gut es geht zu beantworten.
Zunächst einmal wollte ich aber diese Aussage hervorheben;
Blues666 schrieb:Und es ist - jedenfalls meiner Meinung nach - wahrscheinlich, das die Zahlen in Europa nochmals wesentlich geringer sein werden (auch wenn ich gerade keine Kristallkugel zur Hand habe). Wir waren gewarnt und es gibt mittlerweile Erfahrungen mit der Behandlung (Vorteile, die die Chinesen nicht hatten). Außerdem ist der allgemeine medizinische Standard in Europa - und insbesondere in Deutschland, Österreich und der Schweiz - ganz erheblich besser als in China.
Derzeit vermute ich auch, dass das Ausmaß - zumindest in Mitteleuropa - kleiner sein wird als in China. Und solange das Ausmaß klein ist, können wir die Menschen gut versorgen.
Optimist schrieb:Wie beurteilst du es, dass dies alles jetzt erst geschah, wo doch eigentlich abzusehen war (anhand der anderen Länder), dass D nicht verschont bleibt?
Ich denke, dass man viel zu lange davon ausgegangen ist, dass das Virus ein asiatisches Problem bleibt und man mit Reisebeschränkungen eine große Verbreitung in Europa verhindern kann.
Daran habe ich aber nie geglaubt, unter anderem da Fiebermessungen an Flughäfen in meinen Augen kaum nutzen (eine Ibuprofen und ich habe kein Fieber bei der Kontrolle) und aufgrund der langen Inkubationszeit genug Menschen als Träger aus China herausgekommen sind. Außerdem wurde dies bei viele Flugverbindungen (gerade die mit Umstieg) nicht konsequent durchgesetzt.
Wahrscheinlich hat man hier organisatorische und wirtschaftliche Interessen höher gestellt.
Außerdem denke ich, dass man sich hier recht stark darauf verlassen hat, dass es nur punktuelle Infektionen geben wird, die man schnell verfolgen und isolieren kann, sodass die Infektionskette schnell unterbrochen wird (gemäß Stufe 1 des vom RKI formulierten "Fahrplans").
Hier ein Zitat von Spahn, dass zeigt, dass die Unterbindung von Infektionsketten der bisherige Plan gewesen ist:
Gesundheitsminister Jens Spahn spricht vom "Beginn einer Corona-Epidemie in Deutschland." Die Infektionsketten seien teilweise nicht mehr nachvollziehbar. Es sei daher fraglich, ob die bisherige Strategie weiterhin aufgehe. " (
https://www.stern.de/gesundheit/gesundheitsnews/coronavirus--leiter-des-robert-koch-instituts--so-gefaehrlich-ist-das-virus-wirklich-9111822.html).
An dieser Stelle kann ich nur den Kopf schütteln, denn um eine Infektionskette zu unterbrechen, muss man die Menschen flächendeckend auf Coronaviren testen um zu wissen, wo Infektionen auftreten. Sich drauf zu verlassen, dass jemand selbst erkennt, dass er zur Risikogruppe gehört (weil er z.B. irgendeinen Kontakt zu jemandem aus einem Risikogebiet hat, die sich in Asien ja laufend verändert haben) und sich daraufhin bei den richtigen Stellen meldet, zu absolut unsicher. Und selbst wenn jemand kommt und sagt, er könnte ein Verdachtsfall sein, dann gibt heißt es nicht, dass der behandelnde Arzt das auch so sieht (80% der Infekte verlaufen sowieso entweder asymtomatisch oder sehr leicht ODER befinden sich noch in der Inkubationszeit).
Viele Arztpraxen wussten lange auch überhaupt nicht, wie sie reagieren sollen und wie das mit den Tests auf Corona laufen soll. Letztenendes haben sich viele Informationen aus dem Internet zusammengesucht - finde ich nicht besonders verlässlich.
In meinen Augen wäre Prof. Kekulés Vorschlag, bei Patienten mit V.a. Influenza parallel den Test auf Corona einzuführen, bereits vor 3 Wochen die nötige Maßnahme gewesen. Zusätzlich hätte ich mir Test auf Coronaviren bei asymptomatischen Patienten mit Kontakt zu Risikogebieten/Betroffenen gewünscht.
Dann hätte man wirklich sagen können, wir "beobachten" die Situation und können schnell reagieren.
Optimist schrieb:Und was ich - in Anbetracht dessen erst recht nicht nachvollziehen kann, weshalb man nicht Karneval abgeblasen hatte, um die Verbreitung zu verzögern, um Zeit zu gewinnen, um sich besser vorbereiten zu können? (Du hattest es auch angedeutet, dass man im Moment gar keine ausreichende Kapazitäten hat).
Da man nicht erwartet hat, dass hier so früh Infektionsherde auftreten, die dann auch noch eine unklare Infektionskette aufweisen, hat man nicht gedacht, dass dieses Karnevalsfest bereits ein Risiko darstellt. Ich bin allerdings bereits genau aus dem Grund nicht hingegangen. Viele Ärzte sind eher etwas skeptischer gewesen, allerdings ist das nicht unbedingt publik geworden da die Äußerungen der Politiker bis vor kurzem abwiegelnd waren. Als Medizinerin habe ich immer mit den Augen gerollt, weil ich es besser wusste. Ich denke, sie wollten eine Panik vermeiden, weil sie nicht davon ausgegangen sind, dass wir in eine Situation wie wir sie jetzt haben, kommen. Außerdem ist Angst in der Bevölkerung nie besonders gut. Dennoch, die Diskrepanz zwischen den rigorosen Maßnahmen in anderen Ländern und die unbekümmerte Haltung der Politiker war nicht unbedingt vertrauenserweckend. Ich bin für mehr Statements von Wissenschaftlern in den Nachrichten.
Das heutige Statement vom Direktor des RKIs war ja schon mal klarer.
Es wird bisher leider erst dann reagiert, wenn es die ersten Fälle gibt. Vielleicht, weil man Angst hat, große Maßnahmen zu ergreifen die zu wirtschaftlichen Ausfällen und damit der Frage der Verantwortlichkeit führen,
und am Ende war es nicht notwendig.
Optimist schrieb:Larry08 schrieb:
In Japan ist eine Frau zum zweiten Mal positiv auf das Coronavirus getest. Das Gesundheitsministerium bestätigt, dass es sich bei dem Fall um den ersten Fall in Japan handele, bei dem ein Patient nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus ein zweites Mal positiv auf Coronavirus getestet wurde....
Wie beurteilst du so etwas?
Könnte es auch einfach nur ein falscher negativer Test gewesen sein, bevor sie anscheinend (?) ein 2. Mal krank wurde (also dass sie noch gar nicht gesund war)?
Oder könnte man sich also tatsächlich innerhalb kurzer Zeit ein 2.Mal anstecken?
Zitat RKI: "Ein negatives PCR-Ergebnis schließt die Möglichkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2 nicht vollständig aus. Falsch-negative Ergebnisse können z.B. aufgrund schlechter Probenqualität, unsachgemäßem Transport oder ungünstigem Zeitpunkt (bezogen auf den Krankheitsverlauf) der Probenentnahme nicht ausgeschlossen werden."
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.htmlIch denke, es gibt mehrere Erklärungsansätze. Bisher habe ich noch keine verlässlichen Studien/ Statements zu dem Phänomen gesehen (wenn ihr was habt lese ich es gerne), daher hier nur meine Vermutungen:
1) Falsch negativer Testergebnisse sind selten, können aber auftreten. Auf jedem Schritt (Probenentnahme, Zuordnung zum richtigen Patienten, Probentransport, Probenstandzeit, Probenverarbeitung, Analyse im Gerät, Gerätewartung, Haltbarkeit der Reagenzien etc.) kann es zu einem Fehler kommen. Es gibt im Labor sehr unzählige Maßnahmen zur Qualitätskontrolle, dennoch kommt es manchmal zu Fehlern. Meistens handelt es sich um Fehler in der Präanalytik, d.h. vor der Problemanalyse im Gerät, und die sind dann meistens menschlich verursacht (z.B. Probenverwechslungen, falsche Abstrichtechnik, falscher Tupfer etc.). Das kann dort auch passiert sein, vor allem wenn man folgendes liest:
" According to the BBC and other media outlets, some laboratory tests are incorrectly telling people they are virus-free. There is also anecdotal evidence of people having up to six negative results before being diagnosed correctly.
Dr. Li Wenliang first raised concerns about this. His own test results had come back negative multiple times before he was finally diagnosed....Meanwhile, the official methodology for diagnosing the virus in China was changed this week, leading to a sudden leap in the number of recorded cases and deaths."
https://www.taiwannews.com.tw/en/news/3876197Bei den chaotischen Zuständen und Knappheit an Material in China ist es kein Wunder, dass es zu Fehlern kommt. Wir wissen nichtmal, ob sie die richtige Sorte Tupfer haben und wer diese unzähligen Abstriche macht - vielleicht werden nicht geschulte Hilfskräfte eingesetzt.
2) Eine zweite mögliche Ursache
könnte sein: Es gibt garnicht so wenige Immundefekte, bei denen die Antikörper-Produktion oder die Funktionalität der Antikörper und der Immunantwort eingeschränkt sind. Dass müssen nicht immer profunde Defekte sein, bei denen ein Mensch sein Leben lang vor allen möglichen Erregern isoliert werden muss. Es kann sein, dass die Patientin einen moderaten Immundefekt hat und daher keine vollständige Immunität aufbauen konnte. Oder, sie hat eine andere Grunderkrankung, die zu einer Einschränkung ihrer Immunantwort geführt hat.
3) Ich denke Reinfektionen sind möglich, ich denke aber derzeit
nicht, dass das etwas ist, was häufig ist. Ich denke auch nicht, dass uns das beunruhigen muss: die Entwicklung und die Maßnahmen in China deuten nicht darauf hin, dass Reinfektionen etwas sind, womit die chinesischen Behörden derzeit zu kämpfen haben. Ansonsten wären die (Isolations-)Maßnahmen dort andere und es gäbe mehr verlässliche Berichte darüber. Bisher scheinen es einzelne Vermutungen oder Beobachtungen zu sein. Ich werde mich allerdings sobald ich Zeit habe nochmal mit dem Thema befassen und versuchen an bessere Informationen zu kommen.
Meine chinesisch-sprachigen Kontakte nach Hongkong sagen, das Thema Reinfektion nicht besonders präsent gewesen, aber ich werde nochmal explizit fragen welche Informationen dort im Umlauf sind und es euch wissen lassen! :-)
Optimist schrieb:Wie beurteilst du die Möglichkeit, dass die Viren im Körper (ähnlich wie bei Herpes) schlummern könnten um dann erneut aktiv zu werden - und das womöglich immer wieder?
Die 16 Patienten aus Berlin wurden recht genau von unseren Ärzten beobachtet, der behandelnde Chefarzt geht von einer vollständigen Heilung und Immunität aus:
https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/coronavirus-klinik-muenchen-schwabing-1.4806060 Herpesviren sind neurotrop und lymphotrop, dass heißt sie haben eine hohe Affinität zu Nervenbahnen/Ganglien und bestimmten Zellen des Immunsystems. Sie können sich dorthin zurückziehen und persistieren.
Die Familie der Coronaviren ist groß, die verschiedenen Vertreter zeigen so ein Verhalten - soweit mir bekannt - jedoch nicht. Daher denke ich nicht, dass der Covid-19-Erreger da eine Ausnahme darstellt, es wäre dann eine grundsätzliche Veränderung des gesamten Infektionsverhaltens und würde meines Erachtens auch mit anderen Symptomen einhergehen.
inquest schrieb:Mich freut auch deine Einstellung, dass "wir" alles schaffen werden. Das werden wir. Mittlerweile wird einiges getan.
Ich bin mir nur nicht sicher, ob genug Schutzkleidung zur Verfügung steht. Wirklich nachzuvollziehen ist auch nicht, ob der schwerkranke Patient aus Heinsberg, der jetzt in der Uni DD behandelt wird, sich eventuell in der Uni Köln angesteckt haben könnte. Ein Arzt vom Maria-Hilf-Krankenhaus in Mönchengladbach wurde positiv getestet. https://rp-online.de/nrw/panorama/coronavirus-nrw-300-besucher-von-karnevalssitzung-gesucht-liveblog_aid-49194351
Meine nächste Vermutung ist, dass - wenn wir die Infektionsketten nicht unterbrechen können und es zu weiteren Ausbrüchen kommt - das Gesundheitssystem zu wenig Schutzausrüstung haben wird und deswegen unter dem Personal viel Unsicherheit und Organisationsprobleme herrschen werden.
Auch hier verstehe ich nicht, warum die Behörden und Krankenhäuser nicht schon wesentlich früher neue Bestellungen aufgegeben haben und für Vorräte gesorgt haben.Dass die chinesischen Lieferanten für die Situation in Asien benötigen werden, hätte man bei der rasanten Ausbreitung dort ahnen können. Hier haben unsere Behörden in meinen Augen versagt. Für Kliniken, die nicht zu den Akut-Kliniken gehören (zum Beispiel Reha-Kliniken, Sucht-Kliniken, Psychiatrien die nicht den Akut-Bereich abdecken), sind Masken nicht einmal mehr bestellbar. Aber auch hier sind zum Teil Menschen, die wir nicht einfach nach Hause schicken können und die wir schützen müssen, ebenso das Personal.
In Kliniken, in denen ich Bekannte habe, sind neue Masken zum Teil nicht oder mit langer Lieferzeit bestellbar, die Vorräte sind knapp. Mitarbeiter verstecken zum Teil Masken für sich selbst, weil sie Angst haben, später keine mehr zu haben. Nicht hilfreich für unser Gesundheitssystem, aber in meinen Augen verständlich, denn sie haben Angst an ihrem Arbeitsplatz ihr Leben und das ihrer Familien zu gefährden.
Ich denke dennoch, dass die Gefahr für den einzelnen nicht groß ist. Mir macht ohnehin nicht die Letalität der Erkrankung per se Sorgen. Meine Sorge ist, ob bei flächendeckenden Ansteckungen die Versorgung der schweren Verläufe mit intensivmedizinischer Betreuung und Beatmung gewährleistet werden kann.
Ich denke, dass die in den Medien zum Teil propagierte Zunahme der Legalität unter Umständen auch der Tatsache geschuldet werden kann, dass das Gesundheitssystem in China die Masse an schweren Verläufen nicht adäquat versorgen kann. Der 47-Jährige, der derzeit an der Uniklinik Düsseldorf behandelt wird, wäre ohne Intensivmedizin vermutlich längst gestorben, da er ein Lungenversagen mit obligatorischer künstlicher Beatmung (in Narkose) hat.
Daher ist meine Hoffnung, dass es zu einer verzögerten Verbreitung bei uns kommt, wenn man die Infektionen nicht eindämmen kann. Auch sind grundsätzliche Hygienemaßnahmen für alle jetzt wichtig, um ein Zusammenfallen des Grippe-Höhepunkts und Corona zu verhindern. Noch bin ich aber optimistisch.
Ob der Mann aus der Uniklinik Düsseldorf sich in Köln angesteckt hat... er soll am 13. und am 19. dort gewesen sein. Wenn zu dem Zeitpunkt bereits ein "streuender" Mitarbeiter noch andere dort angesteckt hat, müsste es im Umfeld der Klinik (Mitarbeiter, Patienten, Angehörige) jetzt auch weitere Infektionen geben und auch symptomatische Verläufe. Es wäre mittlerweile aufgefallen. Ich denke daher, die Infektionsquelle ist nicht die Uniklinik Köln gewesen.
Ich denke derzeit müssen wir einfach abwarten und schauen, ob unsere Behörden diesen Ausbruch in NRW eindämmen können und wie viele neue Infektionen es im Umfeld der bekannten Fälle in den nächsten Tagen geben wird.
Ich bin aber positiv überrascht, dass heute viel unternommen wird und sie weiterhin versuchen, die Infektionskette zu unterbrechen.