Rao schrieb am 19.02.2019:Ich bin eh dafür, daß für Leute, die gesundheitlich so schwer beeinträchtigt sind, daß sie gar nicht arbeiten und leisten können, aus Hartz (mit Sanktionen etc.) herausgenommen werden und ein eigenes System mit besseren Grundleistungen (insbesondere Zuzahlungen zu Medikamenten und anderen nötigen Hilfen, höhere Heizkostenzuschüsse für Wärmebedürftige, und natürlich schneller Ersatz, wenn man eine nötige Waschmaschine oder ein anderes wichtiges Gerät ausfällt) bekommen, leicht nachweisbar per ärztlichem Attest. So daß Hartz wirklich nur noch für grundsätzlich Arbeitsfähige da ist.
Ich würde dem nicht nur zustimmen, sondern mal kühn die These aufstellen, dass eine individuelle Einzelfallbetrachtung vermutlich das sinnvollste wäre - mit Einzelfallentscheidungen. Das widerspricht aber wieder dem Gleichheitsgesetz (und erinnert mich an eine Bekannte, die drei Geschwister hatte, die alle BaFöG bekamen und alle irgendwie unterschiedliche Sätze).
Das wäre ein riesiger Verwaltungsaufwand .... Jeder kann in eine Situation kommen, in der er Hartz4 beziehen muss (es sei denn, Jeff Bezo ist sein Onkel).
Besonders problematisch finde ich (weil ich das hautnah mitbekomme), sind die Fälle, die sich auf Hartz4 als Lebensstil nicht nur eingerichtet haben, sondern auch alles dafür tun, die Voraussetzungen weiterhin zu erfüllen. Also sprich: Wenn das letzte Kind kindergarten"reif" ist und das Arbeitsamt anklopft, ob ich nun nicht in die Erwerbstätigenwelt einsteigen könnte, dann werde ich halt wieder schwanger. Das gibt es wirklich.
Oft kostet es nicht nur Hartz4, um diese Familien am Laufen zu halten - sie brauchen Unterstützung, weil es wirklich schwierig ist, auch ganz normale Dinge von den Eltern "zu verlangen" (z.B. Kind geht regelmäßig in die Schule, bekommt ausreichend zu essen, etc.).
cejar schrieb am 19.02.2019:Wenn die Möglichkeit besteht, Hartz 4 Empfänger für einige Stunden zu beschäftigen, gibt es auch die Möglichkeit, daraus anständig bezahlte Jobs zu machen...
Fedaykin schrieb:Ist eher eine Unterfrage. Wie finanzieren wir den Sozialstaat. Oder gerne wie betreiben wir Ressourcenallokation
Ich denke, dass so ein reiches Land wie Deutschland relativ problemlos die "echten" Fälle finanieren kann. Ich wage sogar zu behaupten, dass sich diese Fälle z.T. selbst finanziert haben - z.B. wenn eine 62 Jährige arbeitslos wird und keine Festanstellung mehr findet, hat sie selbst so viel an Beiträgen eingezahlt.
Problematisch sind die Fälle, die nicht nur selbst jahrzehntelang von Hartz 4 leben, sondern so viele Kinder in diese Kultur hineingebären, die nicht mit dem nötigen Rüstzeug dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Und ich kenne auch Kinder, die in solche Familien hineinageboren werden, und völlig anders werden - und für die Kinder ist es die Hölle, in der entsprechenden Hartz4 Familie aufzuwachsen, weil sie keinerlei Unterstützung für ihre Pläne (Abitur, etc.) bekommen.
Rao schrieb:Wenn Du einen Hartzer mal für einen Stundenlohn im Winter auf öffentlichen Wegen Schnee schippen läßt, heißt das nicht daß er dann das ganze Jahr über Schnee schippen kann. Schnee gibt´s halt nur im Winter, und selbst da nicht ständig. Wer sich als Arbeitnehmer auf typische Saisonarbeiten eingestellt hat, im Sommer dies, im Winter das, wird selten in Hartz landen.
Das Problem ist auch ein anderes ... es gibt tatsächlich Hartz4 Empfänger, die keinen normalen Lebensrhythmus mehr haben und die schon überfordert sind, einen Vormittagstermin einzuhalten. Oft verschieben sich dann auch Prioritäten, man ist z.B. in der Onlinewelt gefangen, in die man sich geflüchtet hat oder sieht die Maßnahmen ohnehin nicht als sinnvoll an.
Yooo schrieb:Jemand braucht Hilfe ich geben Geld oder jemand braucht Hilfe und ich gebe kein Geld.
Was er damit macht ist seine Sache.
Das klappt bei "normal denkenden" Leuten. Was machst du, wenn der von dir unterstützte die Miete nicht bezahlt, die Kinder wochenlang mit Spaghetti füttert und sich selbst Genussmittel (Tabak, Alkohol) von dem Geld kauft?
Gast4321 schrieb:Es gibt meiner Meinung nach keinen Sozialstaat und auch kein Rechtsstaat. Die Regierung dreht sich ihre Gesetze wie sie sie gerade braucht und haben will.
Wenn wir kein Sozialstaat wären, dann gäbe es keine Transferzahlungen ...
Rao schrieb:Die hiesige kostenlose Samstagszeitung brachte vor kurzem einen Artikel zu Hartz, mit der vielsagenden Überschrift, daß Hartz alles andere als beliebt ist, weshalb jeder zuschaut, lieber eine Arbeit zu finden, egal wie schlecht bezahlt. (Muß schauen ob ich die Zeitung noch finde.) In Bayern mit regional momentan praktisch Vollbeschäftigung geht das meistens auch, wenn sich einer nicht superblöd anstellt oder systematisch die Arbeit verweigert.
Ich habe ja schon geschrieben, dass es meiner Meinung nach verschiedene Untergruppen gibt - es gibt eine Gruppe, die arbeitet lieber, auch wenn Netto weniger übrigbleibt als bei Hartz4. Es gibt aber auch Leute, die sich in der Langzeitarbeitslosigkeit einrichten.
Beispiel (aus meinem Umfeld): Gut gehendes Hotel. Arbeitsamt klopfte an, ob es möglich wäre -gegen Kostenübernahme- eine Küchenhilfe aus dem Bereich der Langzeitarbeitslosen einzustellen. Chef sieht Sparpotential und probiert das aus. Aufgabengebiet: Spülen (also nicht von Hand, sondern mit der Industriespülmaschine). Kandidatin 1 - ältere Frau, körperlich angeschlagen, Probleme beim Stehen, vom Arzt fit genug befunden, 50% zu arbeiten - klappte super. Sie kam pünktlich, arbeitete gewissenhaft, freute sich sogar über "Überbleibsel" aus der Küche, ... arbeitete dann dort, bis sie über 70 war (anderes Thema). Kandidatin 2 - Alleinerziehende - sagte öfter wegen der Kinder ab (das jüngste Kind war 12), kam nicht pünktlich, machte Rauchpausen, auch in ungünstigen Momenten, wusste alles besser ... und kam eines Tages nicht mehr. Keiner war traurig, weil Arbeitsleistung, Sozialverhalten und Zuverlässigkeit um in Schulnoten zu sprechen nicht ausreichend war. Wer macht den Job heute? Oft Ausländer, man muss oft über Google Sprachtools mit ihnen sprechen, aber es läuft.
Yooo schrieb am 19.02.2019:Was ich sowieso generell nie verstehe, warum man in einen positiven Trend die Zwänge verschärfen will.
Das Problem ist, dass Hartz4 und Mindestlohn vermutlich keine Trennschärfe haben. Ich habe keine Zahlen parat, aber gerade, wenn du mehrere Kinder hast, fährst du vermutlich mit Hartz4 viel besser.
sacredheart schrieb am 19.02.2019:Die Grundidee, dass man für Arbeit Geld bekommt, ist ja so weit hergeholt nicht. Die Grundidee, dass diese Arbeit in jeder Sekunde beglückend und unmittelbar sinnstiftend sein muss, ist die Idee einer Generation Y.
Es ist auch generell ein neuer gesellschaftlicher Trend, dass man in sich hineinhört, nach seinem eigenen Wohlbefinden heraus agiert, sich generell mehr um sich selbst dreht ....
sacredheart schrieb am 19.02.2019:Für mich ist die Grenze da erreicht, wo Menschen von ca 40-45 Wochenstunden leben können, nicht zwingend luxuriös. Wenn das nicht möglich ist, gehe ich diese Vokabel eventuell mit.
Das ist ziemlich skandalös, gerade, dass es das in Deutschland gibt. Als Studentin (vor Mindestlohn) hatte ich einen Job in einem ausländischen Hotel (Vorteil für mich: Ich lernte die Sprache und war froh, dass ich mich über Wasser halten konnte). Ich lebte bei einer Frau, die auch in dem Hotel arbeitete ... mal mehr, mal weniger (Saison). Sie vermietete im Sommer noch ein Zimmer, manchmal auch zwei (und schlief dann selbst im Wohnzimmer), brachte heimlich Essen aus dem Hotel mit, wusch mitunter ihre Wäsche im Hotel ... alles, um Kosten zu sparen. Das war echt böse ...
sacredheart schrieb am 19.02.2019: Das kann funktionieren, wenn man die Bequemlichkeit dieses Lebensstils, der völlig unproduktiv ist, absenkt. Davon profitieren dann in erster Linie deren Kinder, die am Beispiel ihrer Eltern sehen, dass man nicht einfach den Tag verbummeln kann, sondern etwas dafür tun muss, dass man irgendwo wohnt, was auf der Gabel hat usw.
Auch für die Eltern ... Ich denke, auch wenn es blöd klingt, dass manche Leute einfach nicht gut mit den Freiheiten umgehen können, die uns die Gesellschaft gibt. Ich frage mich immer, was aus so "dauerfaulen" Leute in sehr restriktiven Systemen, wie z.B. bei den Amish Peoplen werden würde. Vermutlich würden sie von der Gemeinschaft mitgezogen werden und würden gezwungenermaßen produktiv tätig sein.
Rao schrieb am 19.02.2019:Die meisten Obdachlose sind durch eigene Schuld hineingerasselt, sehr oft war Alkohol im Spiel, Jobverlust oder Trennung vom Partner. Und wer in dieser Anfangsphase nicht kämpft oder kämpfen kann, um wieder nach oben zu kommen, resigniert irgendwann und bleibt dauerhaft in der Obdachlosigkeit.
Gerade in der heutigen Zeit (Wohnungsnot) und ohne gutes soziales Netz kann das glaube ich schnell passieren.