AzuraAstraea schrieb:Man kann sich streiten wie sinnvoll so eine Entscheidung ist und ich will mir nicht das Recht rausnehmen diese Lebensweise in Frage zu stellen, nur ist es mir persönlich völlig fremd zufriedener mit so einer Situation zu sein.
Auch wenn ich immer wieder enttäuscht wurde und fertiggemacht, ist der Wunsch und das Bedürfnis nach Nähe, Freunden, Beziehungen, gemeinsamen Erfahrungen, Liebe,... etc. immer unglaublich stark in mir drin gewesen, auch an meinen Tiefpunkten war das in mir verborgen, nur überschattet von den Problemen.
Ich weiss nicht ob alle Einzelgänger in gewisser Weise so von negativen Erlebnissen beeinflusst wurden sodass ein Leben in Einsamkeit wirklich besser scheint oder ob es eine Art Weltflucht ist oder ein ausgeprägter Schutzmechanismus... etc.. , mir fällt es jedenfalls sehr schwer das nachzuempfinden. Ich kann es nachvollziehen warum man sich dafür entscheidet, aber gefühlstechnisch geht das nicht in meinen Kopf.
Ich fänds persönlich mein Ende. Deswegen empfinde ich eher Mitgefühl. (auch wenn die Personen damit zufrieden sind und kein Mitgefühl wollen, kommt das bei mir einfach)
Für mich, als Mensch mit stark ausgeprägter Schizoider Persönlichkeitsstörung (Kein besonders guter Text, aber kompakt und einfach erklärt:
http://www.medizin-im-text.de/blog/2016/166/schizoide-neurose/ ), gibt es diese Gefühle nicht, die der Gedanke an "Einsamkeit" in dir auslöst. Das fängt schon mit der Begrifflichkeit an - ein freiwilliger Einzelgänger ist nicht einsam (denn Einsamkeit impliziert eine Unfreiwilligkeit), sondern gern allein.
Ich für meinen Teil (und ich bin mir bewusst, dass sich das keineswegs auf die breite und diverse Masse der Einzelgänger übertragen lässt) habe Fühlen und Denken schon im Jugendalter stark voneinander abgespalten, sodass ich dazu in der Lage bin, sowohl meine belastende Vergangenheit als auch heutige, potenzielle Gefühle zu rationalisieren. Ich weiß zwar, dass diese Dinge schlimm waren, ich weiß, dass sie meine Entwicklung beeinträchtigt haben, aber ich fühle es nicht (mehr). Ebensowenig fühle ich heute die Angst oder die Enttäuschung anderen Menschen gegenüber, obgleich ich weiß, dass sie irgendwo tief verborgen noch da sein müsste. Im Großen und Ganzen fühle ich anderen Menschen gegenüber gar nichts (mit wenigen Ausnahmen!) - ich gehe Zweckbündnisse ein, wenn diese erforderlich sind, verspüre darüber hinaus gehend jedoch keine emotionale Verbindung.
So gesehen ist das Einzelgängertum in meinem Fall also alles andere als "leidhaft". Ich bin gerne mit mir allein, weil ich mit anderen sowieso nichts anfangen kann, jedenfalls nicht auf der Gefühlsebene. Das Alleinsein bietet überdies viele Möglichkeiten, sich mit seiner Umwelt zu beschäftigen - mit der Natur, der Welt, der Gesellschaft, der Wissenschaft, der Politik. Ich finde es ungemein spannend, Menschen aus meiner sehr rationalen und gefühlsarmen Position zu beobachten, ihre Handlungen logisch zu analysieren, nachzuvollziehen und in einen Kontext zu setzen. Der Mensch ist unfassbar irrational in all seinen Gedanken und Handlungen, dass es umso spannender ist, sich diese Irrationalitäten mit Hilfe der Psychologie, Psychiatrie und Neurobiologie rational zu erklären.
Um mal ein wenig von meiner eigenen Person wegzukommen: Es gibt selbstverständlich, und das hatte ich ja bereits in Klammern dazu geschrieben, unterschiedliche Beweggründe, weshalb Menschen zu Einzelgängern werden. Wenn wir jetzt mal bei den Persönlichkeitsstörungen bleiben, dann lässt sich sagen, dass sowohl Menschen mit ängstlich-vermeidenden bzw. selbstunsicheren Anteilen oder Störungen häufig in ein mehr oder minder freiwilliges Einzelgängertum schlittern, weil sie zwischenmenschliche Kontakte überwiegend als negativ, ängstigend, bloßstellend erleben und diese Gefühle mit allen Mitten "vermeiden" wollen.
Auch Menschen mit Narzisstischer Persönlichkeit neigen dazu, sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen, vorrangig dann, wenn es sich um erfolglosen Narzissmus handelt. Narzissten sind Menschen mit extrem niedrigem und brüchigem Selbstwert, die sich in der Regel ein illusorisches und stark erhöhtes Selbstbild aufbauen und von der permanenten Bestätigung und Anerkennung von Außen angewiesen sind. Dies ist i.d.R. eine Folge von (starken) Abwertungen und gestörten Beziehungen in der Kindheit. Narzisstische Menschen konnten nie ein stabiles Selbstwertgefühl entwickeln und haben oft die Lernerfahrung gemacht: "In Beziehungen wirst du enttäuscht", "Anderen Menschen kann man nicht vertrauen". So geschieht es auch schnell, dass sich eher erfolglose narzisstische Persönlichkeiten aus dem Kontakt zu anderen Menschen zurückziehen, weil sie damit so etwas wie eine "Enttäuschungsprophylaxe" fahren. So vermeiden sie Abwertungen und Kränkungen einfach im Vorfeld, denn wo kein Mensch, da keine Abwertung. Hinzu kommt, auch wenn das mit der Einzelgängerthematik nichts mehr zu tun hat, dass solche Menschen auch oft Leistungen scheuen und verweigern, weil sie lieber gar nichts machen, statt eine Niederlage (und somit persönliche Kränkung) in Kauf zu nehmen.
AzuraAstraea schrieb:Menschen können allerleih verrückte Dinge in anderen Menschen auslösen und die Abgründe der Psyche sind furchteinflößend. Und diese sind mir häufig in anderen Menschen, aber auch in mir begegnet, nur wäre das Einzelgänger-Leben für mich ein extremer Schutzmechanismus.
Ja! Es ist ein Schutzmechanismus, ebenso wie viele andere Dinge Schutzmechanismen sind. Sehr interessant dazu zu lesen, falls es dich interessiert (wenn du es nicht sowieso schon kennst):
http://www.seele-und-gesundheit.de/psycho/abwehrmechanismus.htmlruku schrieb:So freiwillig wird es bei vielen gar nicht sein, sondern eher als "alternativlos" empfunden.
Die Alternative wird wahrscheinlich als unmöglich angesehen oder wurde schon als solche erlebt.
Der Rest ist Schönfärberei. Klar. Wenn ich in den Knast müsste, würde ich auch versuchen, meine Zelle möglichst schön zu machen. Würde Bilder aufhängen usw.
So wird auch die Situation, in der man sich befindet, oft schöngeredet und das "andere" schlecht gemacht, um nicht zu verzweifeln.
Das würde ich auf jeden Fall so unterschreiben. Kein gesund entwickelter Mensch mit stabilem Selbstwert und einer guten Beziehung zu seiner Umwelt und anderen Menschen, wird sich freiwillig aus dem sozialen Gefüge abkapseln und zum Einzelgänger werden. Solch eine Entwicklung ist IMMER eine Reaktion auf indäquate Zustände.
Das, was den unfreiwilligen von dem freiwilligen Einzelgänger unterscheidet, ist die stärke der Abwehrmechanismen, der Verdrängung, Spaltung, etc. Ein freiwilliger Einzelgänger lebt in der Regel ich-synton, also mit seiner abweichenden Persönlichkeit im Einklang und ohne Leidensdruck, während der unfreiwillige Einzelgänger unter seiner Einsamkeit leidet, also ich-dyston lebt. Ich würde behaupten, dass letztere, also die unfreiwilligen Einzelgänger, es letztlich leichter haben, wieder in ein gesellschaftliches Leben zurück zu finden.
Anmerkung: Menschen, die generell und von Natur aus eher introvertiert sind, aber keine krankhaften Einzelgänger, sind hiermit natürlich aus meinen Schilderungen ausgeschlossen.