Haben Deutsche die korrekte Rechtschreibung verlernt?

@Optimist
Habe mal nach Argumenten gesucht. Hier aus einem Interview mit einer Professorin für deutsche Sprache

Die Sorge vieler Eltern, dass sich die Kinder mit ihren lautgerechten Schreibungen, die noch nicht allen orthografischen Normen entsprechen, etwas Falsches einprägen könnten, ist meines Erachtens verständlich, aber unbegründet. Beim lautierenden Schreiben konstruieren die Kinder jedes Wort jedes Mal Laut für Laut neu. Dass sich dabei diese Schreibungen nicht in den Köpfen der Kinder festsetzen, belegen eindrucksvoll die Variationen, die die Kinder immer wieder finden: Oftmals wird das gleiche Wort in kurzer Zeit mehrfach unterschiedlich geschrieben, z. B. Fahrat, Fahrrat, Farrat. In Übungssituationen jedoch, die auf das bewusste Merken von Wörtern abzielen, ist es selbstverständlich unabdingbar, dass hier die Wörter richtig geschrieben sind, weil sonst tatsächlich Fehler antrainiert werden.

Kinder, die mit einem der typischen Lese- und Schreiblehrgänge an die Schrift herangeführt werden, können erst selbstständig lesen und schreiben, nachdem sie alle Buchstaben gelernt haben – und das ist in der Regel erst nach über einem Jahr Unterricht der Fall. Das Schreiben mit einer Anlauttabelle hilft den Kindern nicht nur, mit dem alphabetischen Prinzip die Basis unseres orthografischen Systems zu verstehen, sondern gibt ihnen auch die Möglichkeit, die Schrift von Beginn an für sich zu nutzen

Quelle und komplettes Interview
https://www.familienhandbuch.de/kita/schule/rund/Schreibenlernen.php

@Hummli
Danke, sehr interessant.

Hummli schrieb:Oftmals wird das gleiche Wort in kurzer Zeit mehrfach unterschiedlich geschrieben, z. B. Fahrat, Fahrrat, Farrat. In Übungssituationen jedoch, die auf das bewusste Merken von Wörtern abzielen, ist es selbstverständlich unabdingbar, dass hier die Wörter richtig geschrieben sind, weil sonst tatsächlich Fehler antrainiert werden.

gut, solange den Kindern gesagt wird: so wie ihr das bis jetzt schreibt, ist es noch falsch geschrieben und es dann - wie hier beschrieben - in Übungssituationen dann korrigiert wird, mag das mal noch gehen.
Ist schon plausibel diese Argumentation.
Trotzdem sehe ich keinen so richtigen Sinn darin, erst was Falsches zu lehren.

Das wird nun so begründet:

Hummli schrieb:Das Schreiben mit einer Anlauttabelle hilft den Kindern nicht nur, mit dem alphabetischen Prinzip die Basis unseres orthografischen Systems zu verstehen, sondern gibt ihnen auch die Möglichkeit, die Schrift von Beginn an für sich zu nutzen

da kann man sicher geteilter Meinung sein.
Und manche Schulen gehen ja auch schon wieder davon ab, wie du im anderen Thread verlinkt hast.

Habe jetzt auch nicht alles gelesen, nur überflogen. Mir fielen da einige Fragen ein, und bitte um Entschuldigung sowie Hinweis, wenn es wozu schon ein Ergebnis gibt:

* Wie ist es objektiv um die Rechtschreibung der/im Deutschen bestellt?

* Ist der festzustellende Trend auch in A und CH zu beobachten?

Welche Gründe können je nach Befund ausgemacht werden? Wie groß ist der Einfluss jeweils und gibt es Studien dazu? Einiges wurde wohl schon genannt, ich versuche mich trotzdem mal an einer Sammlung:

* SMS und T9?

* WA und Autokorrektur? Kann man das vom ersten trennen?

* Oder: Generell veränderter Medienkonsum?

* Schul-(Bildung)? Unterrichtsmethoden?

* Bildungsfeindlichkeit?

* Mangelnder Respekt vor dem Gegenüber oder der Schriftsprache?

* Rechtschreibreform/en?

Das vor allem auch für mich Stand der Diskussion und vor allem vieler offener Fragen. Vielleicht hilft es uns ja trotzdem auch gemeinsam weiter.

Optimist schrieb:Und manche Schulen gehen ja auch schon wieder davon ab

Wie schon erwähnt, finde ich das gut. Das liegt, zumindest in NRW, offiziell wohl daran, dass die Schüler die Rechtschreibung nicht gut genug beherrschen (hier nochmal der Link aus dem anderen Thread https://www.welt.de/vermischtes/article190940915/Nordrhein-Westfalen-Schreiben-nach-Gehoer-wird-abgeschafft.html).

Ich denke, inoffiziell sind da einfach zu viele Eltern auf die Barrikaden gegangen. Ich habe Fälle mitbekommen, da haben Eltern es in Kauf genommen, ihr Kind jeden Tag zig Kilometer zu einer Schule zu fahren, an der diese Methode nicht verwendet wurde.

zigushen schrieb:* Wie ist es objektiv um die Rechtschreibung der/im Deutschen bestellt?
* Ist der festzustellende Trend auch in A und CH zu beobachten?

Das sind sehr interessante Fragen.

Deine aufgezählten möglichen Gründe: Ich denke, es wírd von allem ein bisschen sein - also ein Mix und kein "allein Schuldiger"

Hummli schrieb:Ich habe Fälle mitbekommen, da haben Eltern es in Kauf genommen, ihr Kind jeden Tag zig Kilometer zu einer Schule zu fahren, an der diese Methode nicht verwendet wurde.

interessant, dass die Eltern diese Mehrbelastung auf sich nehmen, kann ich gut nachvollziehen.

Klingt für mich, nach dem was ich über das Lernen gelernt habe, nicht so sinnvoll. Werden wir doch für jeden Lernerfolg belohnt, und das scheint mir erstmal das Schreiben des Begriffs zu sein. Ob die spätere Korrektur ein ebenso nachhaltiger Eindruck ist?

@zigushen

zigushen schrieb:Klingt für mich, nach dem was ich über das Lernen gelernt habe, nicht so sinnvoll

Was meinst du? Das Schreiben nach Gehör?

Was ich in meiner Liste möglicher Gründe vergessen habe:

* Genderschreib?

@Optimist Ja, es wird wohl vieles reinspielen. Aber vielleicht können wir ja unerwartet ein paar Verdächtige freisprechen. ;)

@Hummli: Ja, genau

zigushen schrieb:Aber vielleicht können wir ja unerwartet ein paar Verdächtige freisprechen. ;)

was schlägst du vor was man streichen könnte?
Mir fällt eigentlich nichts ein :)

Im Moment fällt mir auch nichts ein, aber das muss nach näherer Untersuchung ja nicht so bleiben.

Vielleicht hat der zuletzt genannte Genderschrieb gar keinen oder zu vernachlässigenden Einfluss, auch wenn hier hauptsächlich Institutionen falsches Deutsch schreiben, die einen gewissen Vorbildcharakter haben.

Dass ich nicht weiß, ob wir die Schulen so einfach verantwortlich machen können, hätte ich nebenan ja schon geschrieben.

Fraglich ist allerdings, ob wir dazu vernünftige Zahlen finden. :(

zigushen schrieb:Dass ich nicht weiß, ob wir die Schulen so einfach verantwortlich machen können, hätte ich nebenan ja schon geschrieben

naja ich würde denken, die Schulen sind nicht ganz auszuklammern, schon alleine wegen des Lehrermangels.
Dadurch sind sicherlich einige Lehrer auch sehr überlastet, die Schüler sind auch oft keine Schäfchen mehr usw... Das alles fördert bestimmt nicht die Lust, sich da so richtig reinzuhängen (was man auch vollkommen verstehen kann).

@Optimist Ich will da noch nichts ausklammern. Und ich bestreite auch nicht die von dir genannten Probleme. Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob die Voraussetzungen damit nicht immer noch besser sind als die des WK2-Frontsoldaten

Kontext von nebenan für die anderen:

zigushen schrieb:Die Bildung sehe ich da weniger als Schuldigen, zumindest nicht, was die Möglichkeiten betrifft. Ich habe mal einen Sammelband mit Feldpostbriefen aus dem WK2 gelesen - mutmaßlich nicht von der intellektuellen Elite verfasst, trotzdem in hervorragender Rechtschreibung nach heutigem Internet-Standard. Ich denke die wenigsten der Autoren waren 10 Jahre in der Schule.

zigushen schrieb:mutmaßlich nicht von der intellektuellen Elite verfasst, trotzdem in hervorragender Rechtschreibung nach heutigem Internet-Standard. Ich denke die wenigsten der Autoren waren 10 Jahre in der Schule

du hast "mutmaßlich" und "Ich denke" benutzt.
Es ist also nicht sicher, ob die nicht doch vielleicht eine gute Bildung genossen hatten. :)
Dieses Beispiel kann man somit mMn nicht als Argument heranziehen - finde ich zu vage.

@Optimist

Optimist schrieb:Dieses Beispiel kann man somit mMn nicht als Argument heranziehen

Eventuell doch, wenn man Genaueres über die Verfasser erfahren kann.

@zigushen
Was war das für ein Sammelband? Gab es da genauere Angaben über die Verfasser?

@Optimist Ich habe mich absichtlich so vorsichtig - du kannst auch vage sagen - ausgedrückt, weil ich es nicht genau weiß. Und dann behaupte ich in der Regel nicht.

Scheint mir aber ein interessantes Indiz, wenn man sich den Komplex Bildung vornimmt.

@Hummli Tut mir leid, das war zu Schulzeiten und mindestens ein Vierteljahrhundert her. Fiel mir aber damals schon auf. Vielleicht ist das Problem doch schon älter?

Ich bestehe aber auch gar nicht auf dem Argument, war nebenan erstmal ad-hoc.

Ich gebe mir mit der Rechtschreibung nur wirklich Mühe, wenn ich etwas schriftliches verfasse, was dann auch vielleicht, mit viel Glück, von vielen gelesen werden wird. Und da helfen doch auch heutzutage die eingebauten Rechtschreibprogramme wie in Word... die sind gar nicht mal so schlecht... natürlich bei Ausdruck und Form muss man schon selber aufpassen, aber Rechtschreibfehler werden doch nun wirklich ziemlich gut erkannt.

Ansonten ist es mir total schnuppe, ob ich mal einen Fehler mache oder nicht... und vor allem, ob andere Fehler machen oder nicht... okay... ich lese eigentlich jeden Text von mir nochmal kurz durch, auch bei den Posts hier, ob da noch etwas richtig peinliches steht... das verbessere ich dann schon.

...aber sonst lasse ich jeden schreiben, wie sie/er will... vor allem -und das sollte man bedenken, wenn man andere verbessert- werden sie dann auch genau darauf achten, was du so verzapfst... und, man, wer will denn so was? Ist doch nur ein zanken und gegenseitiges ärgern nachher... also, ich will das nicht.

moric schrieb:vor allem -und das sollte man bedenken, wenn man andere verbessert- werden sie dann auch genau darauf achten, was du so verzapfst...

Das wäre mir sogar recht, wenn Andere mich verbessern, da kann ich nur dazu lernen (was vielleicht in Vergessenheit geriet) :)

Man muss ja auch unterscheiden zwischen Flüchtigkeitsfehlern und welchen, die man immer macht, weil man es nicht anders weiß.
Bei Flüchtligkeitsfehlern oder Fehlern durch die Autokorrektur, da möchte weder ich verbessert werden noch tue ich das bei Anderen.

Ansonsten, wenn niemand verbessert wird, dann schleichen sich doch allgemein gesehen in die Rechtschreibung immer mehr Fehler ein (wenn Viele bestimmte Dinge permanent falsch machen). Und am Ende schreibt jeder wie er lustig ist, da braucht man auch keine Regeln mehr und kann gleich zu "Schreiben nach Gehör" über gehen :)

Optimist schrieb:Das wäre mir sogar recht, wenn Andere mich verbessern, da kann ich nur dazu lernen (was vielleicht in Vergessenheit geriet)

Ja, stimmt, das ist schon okay. Ich habe so ein paar Sachen, bei denen ich unsicher war/bin. Mal überlegen, was das genau war... zum Beispiel bei einem "r" in einem Wort... also "voraus" oder "herrisch" ober "herausragend". Mittlerweile habe ich das im Griff, aber es gab schon Zeiten, da habe ich immer wieder gezögert, ob dieses oder jene Wort mit einem "r" oder zwei "rr" dann geschrieben wird. Hm... na ja... manchmal überlege ich da auch heute noch, je nach Tagesform... es gab auch eine Zeit, da habe ich anscheinend Probleme mit dem Wort "erwischen" gehabt und es ohne "s" in der Mitte geschrieben. Ansonsten kam und komme ich ganz gut klar, aber unverständlicherweise gibt es da ein oder zwei Ausnahmen, die mich zumindest ins Überlegen bringen. Schon seltsam...

Ich habe da bestimmt noch ein paar Unsicherheiten mehr.

Früher, als man sich noch Tage lang Zeit lassen konnte, um einen Brief zu formulieren, hatte man auch noch die Zeit, ihn auf Fehler durchzusehen. War der Chef Legastheniker, dann bügelte das seine Sekretärin aus. Heute schreibt der Chef seine Emails schnell selbst. Tempo geht in der privaten wie geschäftlichen Kommunikation vor Qualität. Das gilt für den Brief wie für das Manuskript, für das Internet wie die Zeitung.

Daraus nun einen kulturellen Verfall abzuleiten, halte ich dann doch für übertriebenen Alarmismus.

Sprache und damit auch Geschriebenes ist und war schon immer stetem Wandel unterworfen.