Verweichlichung der heutigen Jugend
05.04.2016 um 15:03
Ich weiß ja wirklich nicht, von welchem utopischen Planeten ihr stammt, aber die beschriebenen Schulen sind hier in der Realität leider auch nur Ausnahmen. Warum Sport das Gegenteil von Verweichlichung sein soll, frage ich mich auch. Zumindest geht das aus den Implikationen, die hier gemacht werden, so hervor.
Musische Fächer sowie Sport, sollten niemals mit richtigen Fächern (Mathematik/Physik) gleichgesetzt werden, genauso benoten sollte man diese Leistungen schon gar nicht. Ich weiß von meiner Mutter, dass sie im Musikunterricht noch vor dem Lehrer (und der Klasse) vorsingen musste. Da wurde wirklich der Gesang benotet und diejenigen, die mit weniger klangvollen Stimmchen gesegnet waren, hatten sofort eine schlechte Note. Wett gemacht wurde das im Idealfall mit theoretischem Wissen, das aber hat grundsätzlich weniger gewogen. Heute ist das natürlich anders, in der Oberstufe lassen sich zumindest Kunst und Musik abwählen. Angeboten werden sollten alle drei Richtungen aber trotzdem.
Ich war an zwei Schulen (Grundschule nicht mitgezählt) und beide haben sich extrem voneinander unterschieden. Die erste lag im Problembezirk, war überfüllt und hätte wirklich in jede Dokumentation zum Thema "Unser schreckliches Schulsystem" gepasst. Die Lehrer waren mürrisch, unmotiviert und haben uns – die frischen Fünftklässlern – gleich am ersten Tag über die Waffen aufgeklärt, die nichts auf dem Schulgelände zu suchen haben. Klassenstärke war 35 Schüler, Alter 10-13. Diese Schule hat sich für kein soziales Projekt engagiert, uns wurde mehrmals die Woche eingebläut, dass wir als Kassierer oder Friseure enden. Immer wenn ich das mal zur Sprache bringe kommt der Spruch "Ja, so sind Hauptschulen nun mal". Wir waren ein Gymnasium, Grundschule mit selben Namen lag zwei Straßen weiter. Ich finde es schon ziemlich erschreckend, dass solche Missstände bei bestimmten Schulformen einfach so hingenommen werden, noch schlimmer war (auf dieses Beispiel bezogen) aber die Tatsache, dass das die Schule mit dem weitesten Einzugsgebiet war. Man hat die Unterschicht schön von Mittel- und Oberschicht fern gehalten, damit auch niemand aus dem Kreislauf ausbrechen konnte. Wenn mir also jemand sagt, dass er oder sie einen Hass auf Schule, Lehrer oder unser Bildungssystem hat, dann glaube ich das auch. Nur Menschen, die in ihrer wohlbehüteten kleinen Welt aufgewachsen sind, glauben noch an "einzelne Problemfälle" und "die meisten Lehrer/Schulen sind gar nicht so". Wenn man zur falschen Einkommensschicht gehört, dann ist das Alltag. Dass sich dieser Frust bis ins Erwachsenenleben verschleppt ist jawohl logisch.
So, einzige Alternative zu dieser Schule war das Gymnasium am anderen Ende der Stadt oder aber die Privatschule in der Mitte. Auch wenn sich bei vielen das Vorurteil der "reichen Juden" hält, war das bei meiner Familie nicht der Fall. Meine Mutter (Hartz IV, alleinerziehend, drei Kinder) hat zu dieser Zeit in zwei verschiedenen Jobs gearbeitet, bis ich dann in der siebten Klasse an die Privatschule wechseln konnte. Das hieß zwar für uns alle keinerlei Geschenke, keine Feste, keine Freizeitgestaltung, das Essen bis zur geschmacklichen Unkenntlichkeit strecken, aber weil bei Schule Nummer 1 regelmäßig Polizei und Feuerwehr auf der Matte standen, hat sie das so durchgezogen.
Wie sah es an der anderen Schule aus? Klassenstärke 20, ein funktionelles Chemielabor, PCs, eine Bibliothek, Partnerschaft mit Schulen aus England und Schottland, motivierte Lehrer und keine Schlägereien auf dem Schulhof. Ich musste nicht nachsitzen, weil ich keine Lösungswege angegeben oder im Voraus gearbeitet habe, denn: In der Oberstufe hat man uns in sogenannte Leistungskurse aufgeteilt. Das mag den "Alle müssen gleich behandelt werden" Menschen ein Dorn im Auge sein, war für uns Schüler aber die ideale Lösung. Wir alle hatten im Kern die gleichen Fächer, konnten uns aber selbst für weitere Förderung entscheiden. LRS-Schüler hatten zwar den ganz normalen Deutschunterricht, haben dann aber nicht Leistungskurs Deutsch gewählt, sondern Mathe/Physik/Bio etc. Gerade das Problem mit Mathe wurde, wie ich finde, sehr gut gelöst. Wir alle hatten Wirtschaftsmathe als Pflichtfach. Dabei geht es nur um das, was einem auch im Alltag begegnet. Prozentrechnung, Rechnungswesen und einfache Buchhaltung. Leute wie ich haben dann später noch Algebra dazu genommen und konnten somit das eigene Interesse ausbauen, während andere, weniger interessierte oder begabte, nicht mit den Formeln bestraft wurden, die man im echten Leben kaum braucht. Aber um noch einmal auf den Sportunterricht zurückzukommen: Wir hatten wirklich viele Dinge, nur keine interne Sporthalle. Die lag zwanzig Minuten entfernt, was natürlich schon immer von Eltern kritisiert wurde, aber man kann eben nicht alles haben. Sport bestand also immer aus einer Doppelstunde, sonst wäre die Rechnung nicht aufgegangen. Am Anfang des Schuljahres haben die Sportlehrer die gesetzlichen Vorgaben durchgezogen, danach hat man sich nach uns gerichtet und auch hier wurden wir wieder in Gruppen aufgeteilt. Mir lagen Leichtathletik, Volleyball und Völkerball immer sehr, vom Schwimmteam habe ich mich aber ferngehalten, weil ich Angst vor tiefen Gewässern habe. Andere, die kein Seil hochklettern oder an den Ringen turnen wollten, sind im Wasser gelandet.
Was ich damit eigentlich sagen will ist, dass das ideale Schulsystem bereits existiert, aber nicht jeder kann es sich leisten. Es ist absolut nicht falsch, Schüler in Gruppen einzuteilen. Grundlagen muss jeder erlernen, aber danach kann man sich gezielt auf die eigenen Stärken konzentrieren. Ich konnte ein sehr gutes Abitur machen, genau wie die Mehrheit aller Schüler. Bei uns gab es weniger Konflikte, weil wir zufrieden waren. Uns wurde keine Gruppenarbeit aufgezwungen, nur um den Lehrern ihren Job zu erleichtern. Bei uns gab es eine "Übungsfirma" die fiktive Geschäfte abgewickelt hat und mit anderen fiktiven Unternehmen, aus anderen Regionen Deutschlands, zusammengearbeitet hat. Wir haben also spielerisch gelernt, wie es in einem Betrieb zugeht. Wir haben richtige Kontoführung, Steuererklärung und Gesetze kennengelernt.
Und "Lehrermangel" gibt es nicht. Arbeitslose Lehrer werden in Aushilfsjobs gedrängt, während der Staat lieber in unnötige Straßen, verschwenderische Flughäfen und lächerliche Gesetzgebung investiert.