Depression - Selbsthilfe?
14.10.2016 um 08:26
Ich hatte jahrelang Probleme mit Depressionen, eigentlich schon seit Kindheit auf. Nur als Kind war mir das nicht bewusst, beziehungsweise ich wusste nicht, was los ist oder hielt das für normal, dass man "immer irgendwie traurig ist, ohne das etwas passiert ist".
Erst vor ca. fünf Jahren, als ich jemanden mit den gleichen Symptomen kennenlernte, der sich ärztliche Hilfe holte, wurde mir bewusst, was mit mir nicht stimmen könnte, das dieses "grau über und in mir" und auch diese Angstzustände nicht normal sind - irgendwie hatte ich das Gefühl schon vorher, immerhin waren alle anderen immer glücklich und fröhlich?
Daraufhin bin auch ich zum Arzt und mir wurde eine bipolare Störung mit einer Angststörung diagnostiziert. Ich begann eine Gesprächstherapie (die mir persönlich nicht wirklich was gebracht hatte, eine Verhaltenstherapie wäre sinnvoller gewesen) und bekam Psychopharmaka, erst Citalopram dann Fluoxetin.
Psychopharmaka sind keineswegs die Lösung, vor allem nicht die alleinige. Aber sie haben mir doch eine Zeit lang geholfen, nicht in ein riesen Loch zu fallen, sondern den Fall abzubremsen und quasi das "Handwerkszeug" zu erlangen (Ablenkung, Hobbies, Freunde, Sport, mit sich selber zurecht kommen), die schlimmsten Phasen abzufangen. Mittlerweile bin ich seit fast genau einem Jahr pillenfrei und es geht mir meistens gut. Es kommen immer wieder Situationen, die mich einfach aus der Bahn werfen, Kleinigkeiten manchmal. Aber ich weiß, was ich tun muss, um dagegen anzukämpfen. Die Tabletten waren halt ein riesen Wattebausch, der alles abgefedert hat und schön weich um die Seele lag. Abgesetzt habe ich sie freiwillig, da ich gemerkt habe, dass sie zunehmend mein Wesen verändern (mir wurde vieles egal, ich fühlte mich manchmal kaltherzig, zu aufgedreht, überselbstbewusst, als richtiges Arschloch manchmal)
Am Meisten hat mir geholfen, mich selber kennenzulernen. Ich kannte und mochte mich nicht. Zeit allein war grausam, diese ganzen Gedanken, die im Kopf flattern und mit denen man zurecht kommen muss, wenn man auf einmal alleine ist. Selbstzweifel, Zukunftsängste, Gewissensbisse, Zweifel. Ich habe mich mir selber direkt ausgesetzt und gelernt, mich zu akzeptieren, sogar zu mögen und Zeit mit mir selber zu schätzen und gern zu verbringen, auch mehr Selbstbewusstsein zu erlangen. Meine Freunde habe ich eingeweiht, sie standen und stehen mir immer zur Seite und waren ebenfalls eine riesige Hilfe.
Recht am Anfang gab es eine Diskussion über Sport bzw. Fitness bei Depressionen. Ja, Sport hilft ungemein, da man den Kopf freikriegt, Endorphine ausgeschüttet werden, man seinen Schweinehund eine Ohrfeige gibt und dazu noch sichtliche Effekte am Körper erzielt. Sport wirkt da wirklich Wunder. ABER: wenn eine Depression richtig ausgeprägt ist, hat man nicht mal die Kraft, das Bett zu verlassen. Bei mir gab es Tage, an denen ich nicht mal mehr getrunken habe, weil mir die Kraft dazu gefehlt hat. Ich KONNTE nicht aufstehen, es ging einfach nicht. An Sport war da nicht zu denken. Sport ist dann eine super Zusatztherapie, aber auch nur, wenn es wirklich möglich ist und als alleiniges Mittel meiner Meinung nach nicht zu empfehlen.
Ich glaube, zu 100 % ist man nie geheilt, mit Rückschlägen muss man immer rechnen. Aber solange man das Leben genießen kann, ist das okay. Und ich glaube, ich kann es mittlerweile.
Viel Kraft allen, die kämpfen und an alle Angehörigen und Beteiligten. Gerade für nahe Freunde oder Familie ist es schwer, das alles zu verstehen. Ich empfehle das Buch "Wenn die Liebe überschattet wird. Leben mit einem depressivem Partner".
Alles Gute allen!