Ich arbeite selbst schon mehr als ein Jahrzehnt an einer Schule (Brennpunktschule). Ich kann nicht so wirklich bestätigen, dass die Jugendlichen von heute besonders schlimm sind - sie sind oft sehr anhänglich. Unser Schultag endet um 15.30 - einzelne Stunden gehen länger bis 17.10. Es ist total erschreckend, wie viele Schüler zwischen 15.30 und 17.10 noch im Schulhaus sind, weil es da (1) warm ist (2) sie Ansprache haben (3) daheim eh niemand ist oder die familären Verhältnisse so, dass es sie nicht heimzieht.
Fehlender Respekt Crusi schrieb am 03.02.2015:Vor allem hat die heutige junge Generation tatsächlich keinen bis Minusrespekt. Tiere zertritt man aus Spaß oder wenn man sich abreagieren will ( hier in der Stadt mussten letztens eine Katze und ein großer Hund dran glauben. War ein einzelner Neunzehnjähriger, der Hund vorher gesund. Frag mich, wie er das geschafft hat).
Das beobachten wir auch, aber nur bei einem gewissen "Klientel" - und bei deren Eltern. Ich hatte beispielsweise kürzlich den Fall, dass Mitten in meinem Unterricht die Tür aufgerissen wurde (Klopfen?) und eine Mutter in meinen Unterricht stürmte, mich ignorierte und ihrem Kind mitteilte, es müsse nun mit zum Zahnarzt. Macht man ein Elterngespräch für 13 Uhr aus, kommen die Eltern um 13.20 und motzen, falls du nicht mehr da bist. So Geschichten kann dir jeder Lehrer erzählen.
So formale Dinge klappen eindeutig schlechter - wie Grüßen oder Zurückgrüßen. Oft ist es inzwischen so, dass ich als Lehrer grüße - und der Gruß einfach ignoriert wird. Formale Dinge, wie aufstehen für alte Leute im Bus etc. gibt es nur noch sehr selten. Auch "Danke" oder so ist selten geworden. Aber auch bei den Eltern und bei den noch Älteren. Da ist die gesamte Gesellschaft abgedriftet.
Reizbarkeitsschwelle Was du ansprichst, stimmt für manche Schüler auch - die kennen nur Schule (langweilig) und das Zuhause, das mit modernsten Unterhaltungsmedien vollgestellt ist - und sie finden schnell Sachen "cool", die gar nicht cool sind - für "normal sozialisierte" - vor unserer Schule brach eines Tages ein Rentner tot zusammen, da wurde auch das Handy gezückt und man wollte "voll nah eh" ein paar Aufnahmen machen und einige Schüler fanden es total lustig, den Rettungshubschrauber mit dem Notarzt, der auf dem Schulhof landen wollte, zu behindern. Das ist ein kleiner Teil, der "einfach den Schuss" nicht gehört hat.
Im Gespräch nachher waren sie eigentlich eher erschrocken - der Notarzt hat sich auch die Zeit genommen, ihnen zu erklären, dass ihr Verhalten wirklich ein Menschenleben hätte kosten können (Reanimationserfolge). Ihnen war -erschreckenderweise- gar nicht klar, dass das nun Realität ist - waren mit der Situation überfordert und dachten an das, was sie am besten können "cool agieren und Filmchen drehen".
Allerdings sind sie auch wirklich mitfühlend und in der Theorie auch sozial eingestellt, wir haben einen Rentner, der regelmäig die Mülleimer auf dem Schulhof nach Pfandflachen durchsucht, dem geben sie mitunter welche und machen sich im Winter auch Gedanken, ob er es wohl warm genug hat.
Bildungsstand coronerswife schrieb am 03.02.2015:Aber der Ausweg daraus heißt Bildung. Ich besuche öfter mal meinen alten Realschullehrer - und wenn ich seine neuen Klasse sehe, bin ich total schockiert. Wir waren auch schlimm damals, aber das war im Rahmen. Wenn es ernst war, konnten wir uns benehmen. Viele gehen mit einem schlechten Abschluss. Die, die wirklich mitmachen, haben dann einen sehr guten.
Das ist -wieder bei einem kleinen Teil- wirklich so. Denen ist das total egal. Wir haben Schüler, die so oft wiederholen, dass sie mit dem Realschulabschluss 18 sind, es extrem stressig finden und, wenn es keine Ausbildung gibt, erst mal "ein Jahr chillen wollen". Die haben oft Eltern, die auch arbeitslos sind oder in prekären Arbeitsverhältnissen - wir haben eine Mitarbeiterin des Arbeitsamtes, die mit jedem Schüler ein Beratungsgespräch führt - aber von daheim wird das total oft boykottiert, so im Sinne von "was willst du machen?". Schüler: "Unternehmensberatung". Beraterin: "Du hast nicht mal Noten fürs Gymnasium. Für sowas braucht man ein Studium. Wie wäre es mit Maler? Da hätten wir noch etwas frei!" Schüler: "Nö, das interessiert mich nicht". Lässt sich der Schüler zu einem Probetag überreden, dann reden es ihm die Eltern wieder aus.
Bei Teilen unseres "Klientels" ist es so, dass sie sehr schlechtes Deutsch sprechen und daher in Deutsch beim Lesen und Schreiben riesige Schwierigkeiten haben - und das, obwohl sie Deutsche sind. Du kannst eigentlich gar nichts voraussetzen - auch nicht, dass Stoff daheim gelernt wird. Gehen die Noten in den Keller, werden oft die Lehrer verantwortlich gemacht "Sie mögen mich halt nicht!", "Sie sind ausländerfeindlich" ... Man schätzt die eigene Leistung falsch ein - und überschätzt sie maßlos. Es ist auch keine "Grundbildung" verhanden, so bildungsbürgerliche Werte zählen nicht. Es kann z.B. sein, dass man Verwandte in Hamburg besucht und heimfährt, ohne dass man eine Sehenswürdigkeit auch nur von außen gesehen hat. Dass es beispielsweise die Elbphilharmonie gibt, weiß man gar nicht. (Traurig, aber wahr).
Bildungsstand 2 coronerswife schrieb am 03.02.2015:Die Schere zwischen guter und kaum vorhandener Bildung zieht sich immer weiter auseinander. Mein Lehrer sagte, sie können inzwischen gar nicht mehr das eigentliche Realschulniveau unterrichten, weil 2/3 dann gar nicht mehr mitkämen mit dem Stoff. Und wir reden hier nicht von einem Elitegymnasium...
Das Problem ist, dass du endlos Zeit mit Disziplinierung verbringst und sinnlosen Diskussionen - Schüler kommen zu spät (da gibt es an unserer Schule, wenn nicht gerade Schnee fällt, ein Zero Tolerance Programm), Schüler haben keine Hausaufgaben, Schüler reden, Schüler machen nicht mit, Schüler haben kein Material, Schüler fragen nach, weil sie nicht zuhören, Schüler äußern ihren Unmut ... all das nimmt deine "Unterrichtszeit" und frisst sie auf.
Dann haben wir ca. 1/3 Schüler, die genau wissen, was sie wollen, fleißig sind, Hausaufgaben machen, gezielt nachfragen - die leiden unter der vorherigen Gruppe. Kürzlich wolle ich in einer 10. Klasse Hausaufgaben besprechen (in sechs Wochen ist Prüfung (!) - da hatten 4 von 27 die Hausaufgaben. Habe es dann trotzdem durchgezogen - die anderen fingen an zu reden, zu stören und die vier als Streber zu betiteln. Das kostet dann total viel Energie, die Kontrolle in der Stunde zu behalten.
Gesundheitszustand knopper schrieb am 03.02.2015:Wenn man nun immer nur vor der Spiele-Konsole oder Smartphone hängt kann davon ja noch kaum die Rede sein. Da sind gesundheitliche Beeinträchtigungen ja vorprogrammiert.
Bei unseren Problemschülern ist das Problem noch vielschichtiger. Da ist es oft so, dass nur noch ein Elternteil verantworlich vorhanden ist und das arbeitet. Geld ist immer knapp - da wird oft am Essen gespart. Mensaessen ist zu teuer - es gibt Schüler, die trinken am Tag 1,5l Eistee und essen einen weißen, ungetoasteten Toast mit Billigbelag (Butter, Erdnussbutter). Also: Ernähungszustand schlecht. Das ist v.a. bei den deutschen Schülern so. Ich habe immer den Eindruck, dass in den türkischen Familien sehr viel gesünder gekocht wird, mit viel mehr Gemüse, etc.
Dann ist die Freizeit nicht anregungsreich gestaltet, oft hat das Kind häusliche Verantwortung (z.B. kleine Geschwister vom Kindergarten holen). Ist das kleine Geschwisterkind krank und die Mutter oder Vater muss arbeiten, schreibt man dem großen eine Entschuldigung, dass sie daheim bleiben - den Stoff holen sie nie auf.
Generelles Verhalten und Kleidung Geisonik schrieb am 03.02.2015:Nichtsdestotrotz finde ich es auch erschreckend wie sich viele der Jungen Leute, also ich meine in dem Alter 14-20 so verhalten. Das mit dem "gehen nicht mehr raus", ja das ist bei mehr Jugendlichen der Fall als es früher, noch so vor 15-20 Jahren war. Auch damals gabs Technik. Die Frage ist aber wie man damit umgeht.
Ich habe insgesamt den Eindruck, dass die gesamte Verbindlichkeit einfach durch alle Bevölkerungsschichten abnimmt und alles unverbindlich und lockerer ist. Als ich an meiner Schule anfing zu unterrichten, war es undenkbar, dass man T-Shirt und Jeans trägt - ich habe mein ganzes Erspartes damals ausgegeben, mir eine "Lehrerarbeitskluft" zuzulegen, mit netten Blusen, Stoffhosen, ... heute wäre ich damit völlig overdressed. So kommen auch unsere Schüler (und die dazu gehörigen Eltern) - in Jogginghose, Hotpants, bauchfreien Tops. Auch das gilt v.a. für die deutschen Schüler - und muslimische Jungs.
Generell werden Abmachungen nicht eingehalten - und das hat mit Jugendlichen nichts zu tun - das passiert bei Ebay Kleinanzeigen, bei Handwerkern, ... die gesamte Welt ist sehr unverbindlich geworden.
Verhalten von Erwachsenen - Egozentrik und Markenwahn CthulhusPrison schrieb am 03.02.2015:Das sind nicht nur Eigenschaften der Jugendlichen. Erwachsene sind auch keinen Deut besser. Hab gestern von dem schrecklichen Unfall gelesen wo die doch alle nur dran vorbeigefahren sind und Fotos geschossen haben aber keiner hat geholfen.
Diese ganze Handykultur trägt dazu bei ... Irgendwie hat sich die Gesellschaft dahingehend verändert, dass jeder in erster Linie nach sich selbst und seinem Wohlbefinden schaut. Das färbt auf die Kinder ab. Konsum spielt eine riesige Rolle - mein Sohn (heute 12) schaute bis vor ca. 1 Jahr überhaupt kein Fernsehen, wusste aber schon in der 3. Klasse dass Nike Air Max die coolsten Schuhe des Planeten sind. Ich habe ihm dann ein paar ungetragene gebrauchte gekauft - und prompt wurde er gemobbt, weil die vom Vorjahr waren.
In der Schule erlebe ich bei Schwierigkeiten zwei Arten von Eltern: Das eine sind die Eltern, die die Bedürfnisse der Kinder über ihre eigenen stellen. Heißt: Hat das Kind Probleme bei den Hausaufgaben, wird geschaut und geholfen, auch wenn die Mutter gerade übermüdet von der 12 Stunden Schicht heimkommt oder wenn die Familie eine Woche nur Nudeln isst, dass das Kind mit ins Schullandheim kommen kann. Der zweite Typ Eltern sieht das Projekt Kinder als WG und ist auf dem Standpunkt, das Kind müsste Probleme jeder Art alleine lösen. Punkt.
Werte ... Kc schrieb am 03.02.2015:Das zum Teil miese Benehmen von Teenagern, Kindern und jungen Erwachsenen haben sich die älteren Generationen auch zu guten Teilen selbst zuzuschreiben. Kinder und Teenager testen aus, was sie machen dürfen und was nicht, wie weit sie gehen dürfen und wo Grenzen überschritten werden. Und sie orientieren sich an Wertvorstellungen, die ihnen die älteren Generationen beibringen und vorleben.
Es gibt generell einen Werteverfall - nicht nur bei der jüngeren Generation, finde ich und nicht bei allen. Wir müssen Werte in der Schule oft nicht nur mit Kindern, sondern auch mit den Eltern diskutieren und werden dabei oft als "spießig" und "streng" empfunden. Zudem werden oft Grenzen überschritten -meine Kollegin bekam letzte Woche morgens um 4:45 einen Anruf einer Mutter, die ihr Kind krank melden wollte - vor der Frühschicht und die meinte, meine Kollegin sei doch selbst Schuld, dass sie das Handy nachts nicht auf lautlos stellt.
Gewaltbereitschaft moric schrieb am 03.02.2015:Sehr guter Einwand... obwohl ja die Lehrer an sich auch behaupten, dass die Gewaltbereitschaft zugenommen hätte... also unter den Schülern und so... ich weiß nicht, was ich davon halten soll, ich kann es nicht beurteilen.
Wir haben immer wieder gewalttätige Schüler, aber habe nicht den Eindruck, dass die körperliche Gewalt zunimmt. Was definitiv zunimmt ist die Verrohung der Sprache "Alta, komm fick deine Mutta" oder so ... und wenn du das sanktionierst kommt immer "war doch nur Spaß".
Diskussionen Abudawi schrieb am 03.02.2015: Mit welchen Lehrern wir mehr oder weniger gut klar kommen dürfte offensichtlich sein. Jedoch bemühen wir uns bei Diskussionen ect. einen angemessenen Ton zu bewahren. Natürlich kommt es auch mal vor, dass sich ein Schüler in Ton und/oder Wortwahl vergreift. Auch hier ist wieder der Unterschied zwischen entspannteren und strengeren Lehrern deutlich. Während ein lockerer Lehrer sowas mit einem Hinweis auf die richtige Wortwahl oder einem lockeren Spruch ablegt, droht der auf seine Meinung verbissene Lehrer mit Strafaufgaben, einem Gespräch mit dem Direktor oder Eltern und schlechten Noten. Solche Maßnahmen sind zwar nicht vollkommen unberechtigt, bei einem einmaligen Fehltritt jedoch leicht überzogen.
Als Lehrerin finde ich diese Endlosdiskussionen mit Schülern (und immer den gleichen Schülern) sehr schwierig. Schüler greifen einen auch mal persönlich an - ich komme im Großen und Ganzen gut mit den Schülern aus, habe aber ein paar, wo es jede Stunde den gleichen Affentanz gibt.
Schule früher niurick schrieb am 04.02.2015:Mein Schwiegervater hat mal gesagt, er sei früher nur zur Schule gegangen, um die Lehrer zu ärgern. Wer so ehrlich und selbstkritisch ist, wird schnell erkennen, dass früher nicht alles besser war.
Ich weiß nicht ... mein Vater (Kriegsgeneration) hat genau erkannt, was Bildung wert ist - das Gymnasium kostete viel Geld und es war für meine Großeltern fast unmöglich, das zu finanzieren, sie haben an sich gespart, wo es ging, auch für das Studium - da war er schon moralisch verpflichtet, das Maximum rauszuholen.
Bei uns im Dorf gab es eine formal sehr ungebildete ältere Frau, die "alles konnte" und alles können musste, um die Familie über Wasser zu halten - die konnte aus Gardinen Kommunionskleider nähen, oder aus alten Hochzeitskleidern, hat gegen Bezahlung die Wohnung strahlend gewienert, Hochzeitstorten gebacken, Kräuter im Wald gesammelt, eingekocht -egal, welches Gemüse man ihr vorbeibrachte, sie konnte damit was anfangen. Das war ziemlich cool. Sie litt aber immer unter ihrer mangelnden Bildung und las sehr viel, um diese auszugleichen.